# taz.de -- Autorin über Stauffenberg-Attentat: „Eine Verengung aufs Militärische“
       
       > Vor 80 Jahren scheiterte das Hitler-Attentat der Offiziere um
       > Stauffenberg. Das Gedenken blende die vielen zivilen Unterstüzter aus, so
       > eine Expertin.
       
 (IMG) Bild: Einer, auf den sich die Bundeswehr gern beruft: Stauffenberg-Foto wacht über den Festakt im Berliner Bendlerblock
       
       taz: Frau Hoffmann, war das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wirklich
       die Tat einiger Weniger? 
       
       Ruth Hoffmann: Nein, im Gegenteil. Hinter dem Hauptakteur, Oberst Claus
       Schenk Graf von [1][Stauffenberg], stand ein breites Bündnis. Rund 200
       Menschen waren an der konkreten Vorbereitung beteiligt, zum weiteren
       Netzwerk zählten mehrere Tausend. Da das Attentat einen Umsturz einleiten
       sollte, standen Zivilisten in ganz Deutschland parat, um Posten in Politik
       und Verwaltung zu übernehmen.
       
       Seit wann wurde der Umsturz vorbereitet? 
       
       Das Attentat war der Endpunkt einer Entwicklung über viele Jahre,
       einschließlich mehrerer [2][gescheiterter Attentate]. 1938 gab es erste
       Vorbereitungen für einen Staatsstreich, aber bis zum 20. Juli 1944 haben
       die Beteiligten gewechselt – weil Leute der Mut verließ, weil sie verhaftet
       oder an die Front gerufen wurden. [3][Stauffenberg] selbst stieß erst im
       Herbst 1943 dazu. Bis dahin war er überzeugter Nazi gewesen. Vor ihm war
       Henning von Tresckow die treibende Kraft, der seit 1939 nach Wegen suchte,
       Hitler zu töten. Andere, wie der Sozialdemokrat [4][Julius Leber,] der 1944
       dabei war, waren gleich 1933 für mehrere Jahre im KZ verschwunden.
       
       Aus welchen politischen Milieus kamen die Unterstützer? 
       
       Aus allen. Da waren Berufsoffiziere wie Stauffenberg oder Tresckow, der
       bürgerlich geprägte Kreisauer Kreis um Helmut James [5][von Moltke], aber
       auch Arbeiter, Sozialdemokraten und Gewerkschafter wie Wilhelm Leuschner.
       Außerdem Christen beider Konfessionen und Nationalkonservative wie Carl
       Goerdeler. Im Juni 1944 hatten Verschwörer um Stauffenberg sogar zum
       kommunistischen Untergrund Kontakt aufgenommen, weil man für den Umsturz
       die breite Unterstützung der Bevölkerung brauchte. Das ist das Besondere am
       20. Juli: dass Menschen über große soziale und weltanschauliche Gräben
       hinweg kooperierten. Leider hat sich die Rezeption des 20. Juli auf den
       konservativ-militärischen Teil verengt. Damit geben wir die schönste
       Botschaft dieses Tages aus der Hand.
       
       Warum verübten eigentlich junge Offiziere das Attentat – und nicht die
       Generäle? 
       
       Die Verschwörer haben bis zuletzt um die Unterstützung der Generäle
       gekämpft, aber die haben sich auf ihren Eid zurückgezogen und weiter Krieg
       geführt, obwohl die militärische Aussichtslosigkeit spätestens 1942
       offensichtlich war – und die Verbrechen sowieso. Das ist unverzeihlich.
       Dass es den Widerständlern nicht gelang, die Generäle für den Staatsstreich
       zu gewinnen, ist ein wesentlicher Grund für das Scheitern des 20. Juli.
       
       Inwiefern? 
       
       Als Befehlshaber hätten die Generäle maßgeblich etwas bewirken können,
       etwa, indem sie ihre Truppen oder Teile davon in den Dienst des
       Umsturzversuchs gestellt hätten. Das wäre auch nach dem gescheiterten
       Attentat noch möglich gewesen, wie das Beispiel des in Paris stationierten
       Generals Carl Heinrich von Stülpnagel zeigt, der am 20. Juli 1944 Gestapo-
       und SS-Einheiten verhaften ließ.
       
       Wieso war eigentlich jeder Zweite der Verschwörer adlig? 
       
       Der hohe Adelsanteil unter den Verschwörern bedeutet nicht, dass diese
       Schicht dem Widerstand per se nahestand. Im Gegenteil: Innerhalb des Adels
       war der Anteil der Widerständler minimal. Aber viele Adlige standen dem
       NS-Regime nahe und waren in Machtpositionen gekommen, die für einen Sturz
       des Regimes von Nutzen sein konnten. Und eine kleine Minderheit von ihnen
       hat sich zum Widerstand entschlossen.
       
       Nach dem gescheiterten Attentat feierte das Volk Hitler. Wie kam das? 
       
       Der Historiker [6][Hans Mommsen] hat den deutschen Widerstand als
       „Widerstand ohne Volk“ bezeichnet. Tatsächlich hielt die Mehrheit Hitler
       bis zuletzt die Treue. Auch wenn wir von mehreren Tausend im
       Verschwörer-Netzwerk sprechen, war das gegenüber 65 Millionen Deutschen
       eine winzige Minderheit. Im ganzen Land gab es – freiwillige –
       Solidaritätsbekundungen für den „Führer“, der angeblich „durch die
       Vorsehung geschützt“ sei.
       
       Wie lange galten die Verschwörer nach dem Krieg noch als „Verräter“? 
       
       Der hessische Generalstaatsanwalt [7][Fritz Bauer] erreichte 1952 die
       Verurteilung des früheren Wehrmachtsoffiziers Otto Ernst Remer, der als
       Zugpferd der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei (SRP) Wahlkampf
       mit der Verunglimpfung der Widerständler des 20. Juli betrieb. Damit gelang
       Bauer die juristische Rehabilitierung der Verschwörer. Erstmals sagte ein
       deutsches Gericht: Das NS-Regime war ein Unrechtsstaat, und dagegen war
       Widerstand geboten. In großen Teilen der Bevölkerung hielt sich der
       [8][Verratsvorwurf]+ aber bis in die 1970er-Jahre. Und die Urteile des
       „Volksgerichtshofs“ wurden erst 1998 offiziell aufgehoben, die der
       Militärjustiz wegen „Kriegsverrats“ erst 2009.
       
       Wann setzte die Heroisierung der Attentäter ein? 
       
       Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) hat gegenüber den Alliierten früh auf
       sie verwiesen. Zugleich sorgte die Regierung mit Zustimmung des Bundestags
       dafür, dass NS-Beamte und -Richter wieder auf ihre Posten kamen. Der Erste,
       der die Attentäter auf großer Bühne würdigte, war 1954 Bundespräsident
       Theodor Heuss (FDP). Danach haben sich Gedenkfeiern eingebürgert, die aber
       vor allem auf den militärischen Teil der Verschwörung fokussiert waren.
       
       Warum diese Verengung? 
       
       Hier hat die Gründung der Bundeswehr eine wichtige Rolle gespielt. Für sie
       sollte der 20. Juli zum einen die Existenzberechtigung liefern, zum anderen
       traditionsstiftend sein. Denn das Personal speiste sich überwiegend aus der
       alten Hitler-Armee. Adenauer hat darum schon 1950 Männer aus dem Umkreis
       des 20. Juli mit der Vorbereitung der Wiederbewaffnung beauftragt. Und das,
       obwohl er ansonsten kein Wort zum Widerstand verlor.
       
       Wie kam es zur starken Militärpräsenz bei den Gedenkfeiern? 
       
       Für die allmähliche Verankerung eines positiven Bildes vom 20. Juli hat der
       Traditionsbezug der Bundeswehr eine wichtige Rolle gespielt. Insofern sehe
       ich ihre Präsenz auch bei den Gedenkfeiern nicht nur kritisch.
       Problematisch finde ich aber, dass der zivile Teil der Verschwörung dabei
       schon rein optisch ins Hintertreffen gerät. Das alljährliche Gelöbnis der
       neuen Rekruten am 20. Juli, das Verteidigungsminister Rudolf Scharping
       (SPD) 1999 einführte, betont das Militär noch einmal besonders. Dass diese
       Dominanz viele Angehörige und Nachkommen des zivilen Widerstands stört und
       kränkt, kann ich gut verstehen.
       
       Warum ist kaum bekannt, dass auch Kommunisten in die Verschwörung
       einbezogen werden sollten? 
       
       Das ist ein Ergebnis des Ost-West-Konflikts: In der BRD wurde der
       kommunistische Widerstand auch deswegen abgewertet, um sich gegen die DDR
       abzugrenzen. Denn dort galt der kommunistische Widerstand als der einzig
       wahre – und der 20. Juli als Aufstand reaktionärer Offiziere. So wurde auch
       das Gedenken ein Opfer der deutschen Teilung.
       
       Und darunter litt auch der sozialdemokratische Anteil am Attentat des 20.
       Juli? 
       
       Die ersten 20 Jahre konservativer Regierung nach dem Krieg haben
       entscheidende Weichen gestellt. Der Emigrant [9][Willy Brandt] (SPD) wurde
       von der CDU als „vaterlandsloser Geselle“ diffamiert, wie alle Exilanten.
       Diese Abwertung des linken Widerstands und das konservative Narrativ halten
       sich bis heute. Es ist nicht zu verstehen, warum die SPD dem so wenig
       entgegenhielt und nicht viel entschiedener auf die Widerstandskämpfer in
       den eigenen Reihen hinwies.
       
       Fazit: Inwiefern ist der 20. Juli ein „deutsches Alibi“? 
       
       Insofern, als er sich von unterschiedlichen politischen Gruppierungen und
       der deutschen Bevölkerung insgesamt instrumentalisieren lässt. Vor einigen
       Jahren ergab eine Umfrage, dass fast jeder dritte Deutsche glaubt, seine
       Vorfahren hätten Widerstand geleistet, indem sie Verfolgten halfen. Das ist
       leider weit jenseits der Realität. Aber daran sieht man, wie stark sich das
       Entlastungsnarrativ durchgesetzt hat.
       
       19 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Hitler-Attentat-von-Stauffenberg-1944/!6020557
 (DIR) [2] /Widerstandskaempfer-Georg-Elser/!5844487
 (DIR) [3] /Jahrestag-des-Stauffenberg-Attentats/!5865919
 (DIR) [4] /Gedenken-an-Widerstandkaempfer/!5218742
 (DIR) [5] /Doku-ueber-eine-Widerstandskaempferin/!5395706
 (DIR) [6] /Nachruf-Historiker-Hans-Mommsen/!5248963
 (DIR) [7] /25-Jahre-Fritz-Bauer-Institut/!5654860
 (DIR) [8] /75-Jahre-Attentat-auf-Adolf-Hitler/!5607271
 (DIR) [9] /Willy-Brandts-Kniefall-vor-50-Jahren/!5731076
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) NS-Verbrechen
 (DIR) NS-Widerstand
 (DIR) Hitler
 (DIR) NS-Justiz
 (DIR) NS-Gedenken
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
 (DIR) SPD
 (DIR) Buch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Umgang mit Hitler-Attentätern: Sie haben es gewusst
       
       80 Jahre nach dem Attentat dekonstruiert die Historikerin Ruth Hoffmann in
       ihrem Buch die Instrumentalisierung von Stauffenberg und seinen
       Mitstreitern.
       
 (DIR) Weltmeister 1974: Keine Helden der Nation
       
       1974 kam es zum Konflikt zwischen liberalen Kickern und NS-sozialisierten
       Funktionären. Der DFB tat sich mit der neuen Weltmeister-Elf schwer.
       
 (DIR) SPD-Ostpolitik von Brandt bis heute: Was würde Willy tun?
       
       Vor 50 Jahren, am 6. Mai 1974, endete Willy Brandts Kanzlerschaft. Eine
       Konferenz verhandelt, ob die SPD heute von der Ostpolitik etwas lernen
       kann.
       
 (DIR) Buch über Widerstand zur NS-Zeit: Kommunistischer Adel
       
       Gottfried Paasche geht in „Hammersteins Töchter“ der Historie seiner
       kommunistischen Verwandten nach. Sein Buch ist ein eindrückliches
       Zeitzeugnis.