# taz.de -- Polnische Medienkunst in Oldenburg: Die Kunst des Kaputten
       
       > Soziologisch anmutende Recherchen, entwickelt mit den Betroffenen: Das
       > Edith-Russ-Haus zeigt Arbeiten der Video- und Fotokünstlerin Karolina
       > Bregula.
       
 (IMG) Bild: Noch ist nichts zu sehen von all dem geplanten Neuen: „Demolition Debris“ (2021)
       
       Eine Fischerin verwandelt sich in ein Meereswesen. Eines Tages springt sie
       von Bord ihres kleinen Kutters in die See, taucht unter und kommt nicht
       wieder an die Oberfläche. Solche Geschichten beginnen für gewöhnlich mit
       Worten wie „Es war einmal …“, aber das Video „The Fish“ von [1][Karolina
       Bregula] ist ganz im Hier und Jetzt verortet. Märchenhaft ist auch
       allenfalls sein Ende: Der Rest des 27 Minuten langen Films zeigt die
       schwedische Fischerin Mahjula Gulliksson und ihren Ehemann Stefan Nordin
       dabei, wie sie immer weniger Fische in ihren Netzen finden – eine Folge der
       Überfischung.
       
       Erfunden, oder sagen wir: mythologisch überhöht ist nur der Schluss, in dem
       Mahjula Gulliksson tatsächlich ins augenscheinlich ziemlich kalte Wasser
       springt und verschwindet. Der kurze Film fußt auf den tatsächlichen
       Erfahrungen der Fischerin: Künstlerin Bregula hat ihn zusammen mit den
       beiden Protagonist:innen gestaltet; im Grunde weist er mehr
       dokumentarische als fiktive Elemente auf.
       
       „The Fish“ ist eine von zwei Arbeiten, die im Auftrag des [2][Oldenburger
       Hauses für Medienkunst] entstanden sind. Im vergangenen Jahr erhielt
       Bregula dort ein Stipendium der Stiftung Niedersachsen. Präsentiert werden
       die beiden 2024 abgeschlossenen Kunstwerke nun in der Ausstellung „The
       Waves Are Rubling so Loud“. Den Fischerinnen-Film präsentiert man in einem
       kleinen Kasten, in dem das Publikum ihn mittels Monitor und Kopfhörern
       sehen und hören kann. Weiterhin hängen im Ausstellungsraum einige
       Fotografien und Texte von Bregula an den Wänden.
       
       ## Dokumentarisches trifft auf Fiktionales
       
       Beherrscht wird er aber eindeutig von ihrer Videoinstallation „The Storm“:
       Zu sehen auf fünf Bildschirmen, erzählen da fünf irische
       Küstenbewohner:innen davon, welche Zerstörung ein gewaltiger Sturm
       auf einer kleinen Insel anrichtet. Die Katastrophe selbst wird nicht
       gezeigt, es gibt nur diese fünf Gesichter, diese fünf Stimmen. Und fünf
       Erzählungen, die nicht ganz deckungsgleich sind, sodass sie die
       Betrachtenden nicht sicher sein können, was denn nun tatsächlich passiert
       ist.
       
       Auch in „The Storm“ vermischt Bregula Dokumentarisches mit Fiktivem. Die
       fünf gezeigten Personen sind Künstler*innen aus dem Ort Buncrana an der
       irischen Nordwestküste, die Bregula bei Recherchen kennenlernte. Zusammen
       entwickelten sie die Videoarbeit, und so lässt sie auch hier ganz reales
       Lebensgefühl dieser Menschen in die Arbeit einfließen, ihre Ängste und
       Fantasien.
       
       Dabei ist und bleibt die Künstlerin natürlich stets die „Autorin“ ihres
       Werks, bestimmt etwa die genaue Form so einer Arbeit. Inhaltlich aber
       scheint sie den Gezeigten Vortritt zu gewähren: Sie setzt sie ins Bild,
       bleibt aber selbst unsichtbar. Auf ihren Reisen – hier also an nordische
       Küsten, davor für einige Jahre in Taiwan – spürt sie zunächst
       gesellschaftliche und ökologische Konflikte auf. Zusammen mit den
       Betroffenen, auch Künstler*innen vor Ort, erarbeitet sie dann, wie
       daraus Kunst werden kann.
       
       Die besteht bei der 1979 geborenen Polin nicht nur in Videos und
       Videoinstallationen: Bregula fotografiert auch, etwa überschwemmte oder
       halb abgerissene Häuser; verfertigt Kunst-Objekte, unter anderem schon aus
       Abfällen, die in Galerien und Ausstellungen gesammelt wurden; zusammen
       [3][mit Gentrifizierungs-Leidtragenden in Taipeh hat sie ein Buch
       verfasst].
       
       Etliche dieser früheren Arbeiten zeigt das Oldenburger Medienkunst-Haus in
       einem zweiten Raum. Hier zeigt sich, wie originell Bregula ihre
       soziologisch, auch anthropologisch wirkenden Recherchen in künstlerisch
       zugleich einfache und hochkomplexe Ergebnisse übersetzen kann.
       
       ## Am Ende ist der Kampf verloren
       
       Nehmen wir die [4][4-Kanal-Videoinstallation „Dust“] aus dem Jahr 2019:
       Darin sind zwei Frauen zu sehen, die in der Gemeinde Daguan bei Taipeh
       leben, die Schritt für Schritt abgerissen wird. Als einzige sind sie in
       ihrer Wohnung geblieben, während rund um sie herum schon Bulldozer die
       leerstehenden Wohnhäuser einreißen. Der Lärm und der Staub in der Luft –
       daher der Titel – machen das Leben zu einer Tortur, doch zusammen mit
       einigen Nachbar*innen kämpfen die beiden gegen ihre Zwangsräumung. In
       dem Raum hört man ständig den Lärm der Abrissarbeiten – auch das ist ein
       enervierendes und gerade deswegen sehr wirkungsvolles Stilmittel.
       
       Die bittere Pointe der Geschichte erzählt Bregula in einer kleinen
       Fotografie an der Wand: „Daguan“ zeigt ein unbebautes Feld – an dem Ort, wo
       einst die Häuser standen. Im Jahr 2019, drei Monate nach den Dreharbeiten
       von „Dust“, waren alle Bewohner*innen endgültig vertrieben worden. Die
       Arbeiten an den dort geplanten Neubauten aber haben bis heute nicht
       begonnen.
       
       22 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://karolinabregula.com/
 (DIR) [2] https://www.edith-russ-haus.de/
 (DIR) [3] https://karolinabregula.com/portfolio/excercises_in_losing_control/
 (DIR) [4] https://karolinabregula.com/portfolio/dust/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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