# taz.de -- „A l’Arme“-Festival für ungestüme Musik: Laut ist gut, lauter noch besser
       
       > Statt Schönklang gibt es fiese Störgeräusche zum Verzücken der
       > Noise-Aficionados. Die haben glückliche Momente beim „A l’Arme!“-Festival
       > in Berlin.
       
 (IMG) Bild: Keiji Haino ist bekannt für sein explosives Gitarrenspiel
       
       Dieser Lärm immer, es nervt. Da hupt wieder einer, weil es nicht nach
       seinem Willen vorangeht. Hupt noch einmal, dringlich. Über die Straße
       hinweg grölen die Leute, ein Lastwagen donnert vorbei, langsam schiebt sich
       eine Sirene ins Bild, so laut, lauter, ohrenbetäubend, dass man gleich
       woanders sein möchte.
       
       In Bhutan zum Beispiel, wo es doch stiller und geruhsamer zugeht, wenn man
       diesem Film glauben darf, [1][„Was will der Lama mit dem Gewehr?“], der
       gerade in den Kinos zu sehen ist.
       
       Da gibt es schon auch Konflikte. Aber halt nicht so schrill.
       
       Andererseits: Laute Musik ist gut. Noch besser ist sie lauter. Einfache
       Rechnung: Mit dem Hochdrehen des Lautstärkereglers gewinnt die Musik an
       Intensität. Leise ist indifferent, das Laute zieht einen in den Bann. Das
       weiß natürlich auch Keiji Haino, der [2][japanische Gitarrenberserke]r, der
       so einen Lärm machen kann wie den, als sich einst im Märchen
       Rumpelstilzchen zerrissen hat vor Wut.
       
       ## Zickig-hohl-drehende Spielautomatenmusik
       
       Keiji Haino ist ein Stargast des Berliner [3][„A l’Arme!“-Festivals], das
       ja bereits im Namen anklingen lässt, dass es da nicht unbedingt still und
       leise zugehen wird mit dem Schlachtruf „Zu den Waffen!“, der in dem
       deutschen „Alarm“ drinsteckt. Und dadrin steckt der Lärm.
       
       Um Keiji Haino den rechten Resonanzboden zu bereiten, gab es vorab
       beispielsweise mit dem Elektronik-Schlagzeugduo Elias Stemeseder und
       Christian Lillinger einen zersplitterten Jazz und zickig-hohl-drehende
       Spielautomatenmusik zu hören.
       
       Und die aus Frankreich kommende und in New York lebende [4][Laura
       Bordreuil] präsentierte ein harsches Cello-Elektronik-Brett, auf dem
       bereits alles draufgenagelt war: mit den fiesen Störgeräuschen, dem Fiepen
       und ohrenklingelnden Donnergrollen, was Noise-Aficionados ins Verzücken
       bringt. Wurde es noch lauter, schauten viele auch gleich verzückter.
       
       ## Es klimpert und kracht
       
       Lärm ist was Wunderbares. Er macht Spaß.
       
       Denn es war doch so, damals in den Kinderzimmern: Dieses Aufgehobensein im
       Lauten, diese mit den Lärmziegeln aufgeschichtete Mauer, hinter der man
       sich verbergen konnte.
       
       Mach doch mal die Musik leiser!, brüllte es dann ins Zimmer. In autoritärer
       geführten Haushalten wurde sie einfach ausgeknipst.
       
       Keiji Haino sah aus wie immer. Ein schmächtiger Mann, schwarz gekleidet.
       Natürlich Sonnenbrille. Lange Haare, die mal grau waren und davor schwarz
       und die jetzt eben weiß sind. Mittlerweile 72-jährig ist dieser japanische
       Zenmeister des Lärms, und so schleuderte er wenigstens am Anfang seine
       zuckenden Explosionen auf dem Stuhl sitzend aus seiner Gitarre heraus.
       Rupfte Klangfetzen aus den Saiten, klimperte, krachte über verstümmelte
       Melodien und freute sich am Ungestalten. Wie eine musikalische Übersetzung
       eines Bildes von Jean Dubuffet. Gekrakel, formlose Schlieren. Art brut.
       
       Manchmal lief das, vorangetrieben von den wuchtigen Schlägen von Paal
       Nilssen-Love und dem röhrenden Geschnatter der Saxofonistin Sofia Salvo als
       Keiji Hainos Begleitung, zum brachialen Free Jazz auf, in dem man sich
       immer neu anrennend gegen die Wand krachen ließ. Tief drinnen auch in
       dieser Musik steckt aber der Blues, den Keiji Haino als einen wesentlichen
       Einfluss zitiert, so wie den Jazzer Charlie Parker, den
       Avantgardekomponisten Iannis Xenakis und Pink Floyds einstigen Mastermind
       Syd Barrett. Und, für den Glamour: Marlene Dietrich.
       
       Schwere Klangschlacken wurden auf der Bühne des Radialsystems
       herumgewuchtet. Manchmal dröhnte und vibrierte die Musik wie ein startender
       Düsenjet.
       
       Abheben. Wegfliegen.
       
       Die schiere Gegenwärtigkeit in diesem Moment. Aufgehoben im Lärm. Glück.
       
       Tatsächlich ist das Laute ja auch eine Form der Meditation, und dazu und
       zum Geschehen auf der „A l’Arme!“-Bühne hätte gut das Tröten und Trommeln
       der Mönche aus dem besagten Film gepasst, das in „Was will der Lama mit dem
       Gewehr?“ zu hören ist. Es gefällt nicht allen. Diejenige, die die Moderne
       ins stille Hinterland bringen möchte, seufzt da und fragt, warum die immer
       so einen Lärm machen müssen.
       
       9 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] https://www.alarmefestival.de/
 (DIR) [4] https://leilabordreuil.bandcamp.com/album/not-an-elegy
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Mauch
       
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