# taz.de -- AfD nach Hessen und Bayern-Wahl: Rechtsextrem, aber normal
       
       > Vielen Wähler*innen ist es egal, dass die AfD rechtsextrem ist. Was
       > kann man nach den Erfolgen im Westen lernen? Was aus ihren Niederlagen im
       > Osten?
       
 (IMG) Bild: Alice Weidel auf einer Pressekonferenz nach den Wahlen
       
       BERLIN taz | Lange dauerte es nicht, bis Partei-Chefin Alice Weidel am Tag
       nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen zum Rundumschlag ausholte –
       allerdings nicht wie sonst mit geschürten Abstiegsängsten und
       populistischer Hetze gegen Menschen, die nicht ins Weltbild der
       Rechtsradikalen passen, sondern auch gegen einen vermeintlichen
       Parteifreund.
       
       Ihr Fraktionsvize im Bundestag, Norbert Kleinwächter, hatte ihr
       vorgeworfen, statt einen Wahlkampftermin wahrzunehmen, auf Mallorca mit
       ihrer Familie Urlaub gemacht zu haben. In einem der taz vorliegenden
       internen Brief heißt es: „Wer vor 5.000 Besuchern aus ganz Deutschland mit
       der Begründung absagt, nichts würde er lieber tun, als vor dieser Menge zu
       sprechen, kann aber nicht kommen, weil sein Leben nicht mehr sicher ist,
       sollte nicht fast zeitgleich in einem öffentlichen Strandlokal in Mallorca
       zu erkennen sein.“
       
       Weidel wies die Vorwürfe empört zurück, nannte die Angriffe von
       Kleinwächter vor der Presse eine „Unverschämtheit, die nicht mehr zu
       unterbieten sei“. Man werde die Angelegenheit bei der am Dienstag
       anstehenden Fraktionsvorstandswahl klären, drohte sie. Ähnlich wütend wurde
       sie, als sie von Journalist*innen zu den fehlenden Hinweisen und nicht
       abgeschlossenen Ermittlungen zum von der AfD [1][trotz aller Fakten weiter
       behaupteten angeblichen „Attentats“] auf ihren Co-Vorsitzenden Tino
       Chrupalla konfrontiert wurde. Dicke Luft bleibt in der AfD also eine
       Konstante.
       
       Neu hingegen sind Rekordergebnisse in westdeutschen Flächenbundesländern
       für die extrem rechte AfD: die vorläufigen Endergebnisse der Landtagswahlen
       liegen in Bayern bei 14,6, einem Plus um 4,4 Prozentpunkte, und in Hessen
       gar bei 18,4, einem Plus von 4,9 Prozentpunkten, dem höchsten Ergebnis, das
       die AfD in einem West-Bundesland jemals erreichte. Die rechtsradikale AfD
       ist ein gesamtdeutsches Problem.
       
       ## AfD will Untersuchungsausschuss zu Corona in Hessen
       
       Das Erschreckende: Die AfD hat sich in den zehn Jahren seit ihrer Gründung
       radikalisiert, wird vom völkisch-nationalistischen Flügel dominiert,
       normalisiert sich aber gleichzeitig. Besonders verdeutlicht das eine
       Umfrage von Infratest dimap nach der Bayernwahl, die zum Schluss kommt,
       dass es 85 Prozent der AfD-Wähler in Bayern „egal“ ist, dass die AfD „in
       Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht“.
       
       Was sich faktisch feststellen lässt, ist ein Rechtsruck, von dem die AfD am
       meisten profitiert. Während es in Hessen etwa 2008 noch eine rot-rot-grüne
       Mehrheit gegeben hätte und es 2018 auch noch fast zu Rot-Rot-Grün gereicht
       hätte, haben jetzt zwei Drittel CDU, Freie Wähler, AfD oder FDP gewählt,
       die Linke ist aus dem Landtag geflogen und SPD und Grüne haben noch ein
       Drittel der Sitze. In Bayern hat sich das Spektrum ebenfalls deutlich
       ausgeweitet, dort nehmen CSU, Freie Wähler und AfD zusammen drei Viertel
       der Sitze im Landtag ein. In beiden Ländern wird die AfD voraussichtlich
       Oppositionsführerin.
       
       Was das konkret bedeutet, kann man bereits deutlich in Hessen erahnen.
       Anstatt dass die Linke in Hessen weiter Aufklärung über Rechtsterrorismus
       in Untersuchungsausschüssen betreiben kann, will die AfD mit 28
       Abgeordneten einen zur Coronapandemie einsetzen und damit
       Verschwörungsideologien befeuern. Sinnbildlich für diese Veränderung steht
       etwa Sascha Herr, der für die AfD in den Hessischen Landtag einziehen wird.
       Herr hatte Verbindungen zur 2020 verbotenen militanten Neonazi-Organisation
       „Combat 18“ (übersetzt: „Kampfgruppe Adolf Hitler“) und besuchte ein
       Rechtsrockkonzert, wie die [2][Frankfurter Rundschau] berichtete.
       
       Gegen ein anderes neues Mitglied des hessischen Landtags, Karsten Bletzer,
       gibt es derzeit zudem den [3][Vorwurf der Untreue]. Wie die Frankfurter
       Rundschau berichtete, soll er 16.000 Euro aus der Parteikasse an sich
       selbst ausgezahlt haben. Das ist ein Offizialdelikt, zu dem die
       Staatsanwaltschaft tätig werden müsste. Die teilte auf taz-Anfrage mit,
       dass ihr derzeit noch keine ausreichenden Informationen vorlägen, die einen
       Anfangsverdacht begründeten. Aber man werde den Sachverhalt prüfen.
       
       ## Wählerwanderungen geben vielschichtiges Bild ab
       
       Auch die Wählerwanderungen sind in Bayern besonders mit Blick auf Union,
       Freie Wähler und AfD interessant: Hier gab es einen populistischen
       Bierzelt-Wahlkampf gepaart mit Kulturkampf von rechts. In Folge haben CSU
       und Freie Wähler deutlich Stimmen an die AfD verloren, ebenso bewegte die
       AfD Nicht-Wähler*innen an die Wahlurne.
       
       In Hessen hingegen übernahm die Union keine unseriösen AfD-Forderungen wie
       etwa „Sachleistungen für Asylbewerber“ – und es gab deutlich weniger
       Abwanderung zur AfD. Hier verloren in erster Linie die Ampelparteien.
       
       Wolfgang Schroeder, AfD-Experte und Politikprofessor der Uni Kassel, sagte
       der taz dazu: „Besonders für Hessen ist auffallend, dass die Wahl der AfD
       sich nicht primär aus dem Bereich der Nichtwähler oder der Union speist,
       sondern vor allem aus den Bereichen von SPD, FDP, Grünen und Linken.“ Das
       zeige, dass viele AfD-Wählende auch Protestwähler seien. Die Wählerschaft
       sei etwa zur Hälfte geteilt: In rechtsextrem überzeugte, reaktionär
       geprägte Personen, aber auch in viele Menschen, die sich von der Regierung
       nicht repräsentiert fühlten. Insofern habe die Wahl in Hessen das Momentum
       einer bundesdeutschen Zwischenwahl gehabt.
       
       „Die wesentliche Ursache liegt in der Polykrise, in der vieles gleichzeitig
       passiert und Entscheidungen in die Lebenswelt eingreifen, wie etwa beim
       Heizungsgesetz und in Migrationsfragen“, sagt Schroeder. Diese Probleme
       müsste die Politik mit ernsthafter Kommunikation klar ansprechen, dabei
       aber keine Scheinlösungen der AfD übernehmen, die komplexe Sachverhalte
       vereinfachten.
       
       „Es ist nicht zu schaffen, indem man der AfD nach dem Mund redet“, man
       müsse aber anerkennen, dass es eine strukturelle Disharmonie zwischen der
       Bevölkerung, der Regierung und den Parteien gebe – „angesichts der
       Normalisierung einer rechtsradikalen Partei in einem der größten und
       wirtschaftlich stärksten Bundesländer.“ Vor diesem Hintergrund kritisierte
       er vor allem den Wahlkampf, der mit überspitzten Forderungen teils eine
       „postfaktische Dimension“ erreicht habe, die wenig mit ernsthafter Politik
       zu tun habe.
       
       ## Niederlage in Sachsen-Anhalt
       
       Der Rechtsextremismus-Experte aus Sachsen-Anhalt, David Begrich, plädiert
       dafür, sich genauer mit den Niederlagen der AfD auseinanderzusetzen: Am
       Sonntag hat die AfD nämlich in Sachen-Anhalt eine schon sicher gewonnene
       [4][Oberbürgermeisterwahl in Bitterfeld-Wolfen verloren] – nachdem sie in
       [5][Nordhausen zwei Wochen zuvor ebenfalls unterlag]: „Es ist an der Zeit,
       die Perspektive zu wechseln, wir haben sehr viel Zeit damit verbracht, die
       Erfolge der AfD zu verstehen. Wir sollen nun vielleicht auch beginnen, ihre
       Niederlagen zu analysieren und daraus zu lernen.“ Die AfD habe bei der
       verlorenen Stichwahl zwar einen hohen Stimmenanteil, „aber es gibt ein
       Momentum, dass sie es im letzten Moment eben doch nicht in die
       Verantwortung schafft.“
       
       In Bitterfeld-Wolfen habe die AfD perfekte Bedingungen vorgefunden, sie sei
       hervorragend kommunalpolitisch verankert, die Stadt sei eine AfD-Hochburg –
       „aber am Ende hat es auf Mobilisierungsbasis für den CDU-Kandidaten
       gereicht.“ Es gebe kein Geheimrezept gegen die AfD, aber offenkundig
       ausschlaggebende Faktoren, die man sich sehr genau anschauen und auf die
       man lokal setzen müsse, so Begrich: „Der psychologische Effekt innerhalb
       der AfD, dass sie in einer ihrer Hochburgen eine Niederlage erlitten hat,
       ist nicht zu unterschätzen.“
       
       9 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nach-den-Wahlen-in-Bayern-und-Hessen/!5964429
 (DIR) [2] https://www.fr.de/rhein-main/afd-kandidat-sascha-herr-posierte-mit-neonazi-92560452.html
 (DIR) [3] https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/untreue-bei-der-afd-92563087.html
 (DIR) [4] /Kein-AfD-Oberbuergermeister-in-Bitterfeld/!5965657
 (DIR) [5] /Oberbuergermeisterwahl-in-Nordhausen/!5959707
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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       Migration.