# taz.de -- Aktivist:innen über Klimaneutral 2030: „Angst fordert kein Handeln“
       
       > Nach dem Scheitern des Volksentscheids bereiten sich die
       > Initiator:innen darauf vor, Klimaschutz in der CDU-SPD-Koalition
       > voranzutreiben.
       
 (IMG) Bild: Bis zum Erfolg haben leider noch über 160.000 Ja!'s gefehlt
       
       taz: Die Klimagerechtigkeitsbewegung musste in der letzten Zeit viele
       Rückschläge erleiden. Zuerst der [1][Wahlsieg der CDU], dann der verlorene
       Volksentscheid. Wie fühlen Sie sich gerade?
       
       Jessamine Davis: Durchwachsen. Mit dem Koalitionsvertrag, der vor einer
       Woche veröffentlicht wurde, fühle ich mich, was die politische Situation
       angeht, nicht so gut. Auf der anderen Seite denke ich mir, gerade jetzt
       müssen wir zusammenhalten und gucken, wo wir ansetzen können, um die
       progressiven Kräfte in Berlin zu bündeln. Ich habe auch noch viel
       Motivation, um weiterzumachen.
       
       Michaela Zimmermann: Mit etwas emotionalem Abstand sehen wir auch, was wir
       erreicht haben. Wir haben eine breite öffentliche Diskussion angeregt; auch
       das Klimaschutz-Sondervermögen der schwarz-roten Koalition war eine
       Reaktion auf den Volksentscheid. Uns ging es immer auch darum, zu zeigen,
       dass der Politik schon viele Maßnahmenvorschläge vorliegen, aber kaum etwas
       umgesetzt wird.
       
       Gerade in der Endphase vor dem Entscheid am 26. März haben Sie unglaublich
       viel Energie und Zeit in den Wahlkampf gesteckt. Gibt es schon Ideen für
       neue Projekte? 
       
       Davis: Uns ist wichtig, allen Mitgliedern Zeit und Raum zu lassen, um ihre
       Emotionen zu verarbeiten. Sehr viele Leute haben sehr viel Energie und
       Leidenschaft in den Volksentscheid reingesteckt. Es hätte sich falsch
       angefühlt, sofort mit etwas Neuem anzufangen. Ende April werden wir einen
       Strategieworkshop machen und schauen, wie es dann weitergeht.
       
       Zimmermann: Wir gehen erst einmal in den Reflexionsprozess und werden mit
       anderen Organisationen zusammen eine repräsentative Umfrage in Auftrag
       geben, warum Leute nicht zur Abstimmung gegangen sind oder warum sie mit
       Nein gestimmt haben. Wir werden auch noch mal intern unsere
       Organisationsstrukturen reflektieren: Was hat gut im Wahlkampf geklappt,
       was nicht, um uns für die nächste Kampagne besser aufzustellen.
       
       Wie glaubwürdig sind für Sie die Klimaschutz-Ambitionen von Schwarz-Rot? 
       
       Santiago Rodriguez: Es ist enttäuschend, was im Koalitionsvertrag
       herausgekommen ist – besonders im Kontext von dem, was wir in dem
       Volksentscheid gefordert haben. Der Koalitionsvertrag sagt nichts darüber
       aus, wie man Klimaschutz in dieser Stadt realistisch umsetzen kann. Es ist
       vor allem eine Wunschliste von den Dingen, die man gern machen möchte, aber
       über die Realisierbarkeit wird nicht gesprochen. Es wird beim Thema
       Klimaschutz weiterhin sehr, sehr viel Druck brauchen.
       
       Zimmermann: Ich finde es sehr beunruhigend, dass der Koalitionsvertrag sehr
       konkret aufzeigt, dass man zum Beispiel die Versammlungsfreiheit
       einschränken und den Präventivgewahrsam ausweiten möchte. In der
       Vergangenheit zielte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mit diesen
       Forderungen ganz klar auf Klimaaktivist:innen ab. Konkrete Vorschläge
       hingegen, wie das Sondervermögen eingesetzt wird, gibt es kaum. Uns ärgert
       auch, dass die Ergebnisse von früheren Volksentscheiden nicht anerkannt
       werden.
       
       Sie meinen damit Deutsche Wohnen [2][Enteignen, dessen Umsetzung de facto
       hinter das Ende der Legislatur verschoben worden ist,] und die
       vorgeschlagene Randbebauung des Tempelhofer Felds? 
       
       Zimmermann: Genau. Ich glaube, dass wir in Zukunft mit anderen Gruppen
       wieder verstärkt um unsere Freiheitsrechte kämpfen müssen, um überhaupt
       noch demokratische Mittel und Wege zu haben, den politischen Entscheidungen
       etwas entgegensetzen zu können.
       
       Gibt es trotzdem jetzt schon Lehren, die Sie gezogen haben? Besonders in
       den Außenbezirken war der Anteil derer, die mit Nein gestimmt haben,
       deutlich höher als erwartet. [3][Haben Sie die Widerstände und Sorgen der
       Bevölkerung vor den Folgen der Klimaschutzmaßnahmen unterschätzt?] 
       
       Zimmermann: Es wurde kritisiert, dass wir die soziale Frage nicht
       ausreichend thematisiert hätten. Aber wir haben seit letztem Jahr
       regelmäßig an die Türen von Akteuren wie Gewerkschaften,
       Wohlfahrtsverbänden und der Mietenbewegung geklopft. Leider kamen bisher
       nur wenige Reaktionen. Dabei ist Klimaschutz keine Einbahnstraße. Wenn man
       sich mit sozialen Themen beschäftigt, muss man sich auch die Klimafrage
       stellen. Wir schauen weiter, wie wir konstruktive Lösungen entwickeln
       können, und sprechen Einladungen an alle aus, die Klimaschutz in der Stadt
       sozial gerecht umsetzen wollen.
       
       Davis: Wenn der Volksentscheid zusammen mit den Wahlen stattgefunden hätte,
       hätte unsere Kampagne anders ausgesehen. Wir mussten ganz stark auf
       Mobilisierung setzen, damit die Menschen überhaupt wählen gehen – was
       gerade einmal sechs Wochen nach der letzten Wahl nicht selbstverständlich
       war. Bei einem gemeinsamen Termin hätten wir uns mehr auf Inhalte
       konzentrieren können.
       
       Trotz des Fokus auf Mobilisierung fehlten am Ende etwas über 160.000
       Ja-Stimmen, die der Volksentscheid mit einer höheren Wahlbeteiligung
       vielleicht bekommen hätte. 
       
       Davis: Generell schwierig in der Klimakommunikation ist, dass Angst kein
       Handeln fordert. Wir haben mit zahlreichen Klimapsychologinnen gesprochen,
       die immer gesagt haben: Wenn Menschen Angst spüren, dann schalten sie ab.
       Wir hätten mehr die positiven Visionen und Beispiele in den Fokus rücken
       müssen. Aber gleichzeitig wollten wir auch die Dringlichkeit der Klimakrise
       kommunizieren. Dadurch fällt man leicht in die Falle, dass man eher über
       Katastrophen spricht, die dann tendenziell Angst auslösen bei den Menschen.
       
       Wie sollte die Klimagerechtigkeitsbewegung zukünftig mit dieser Angst
       umgehen? 
       
       Rodriguez: Es gibt definitiv ein Kommunikationsproblem. Klimaschutz ist
       tatsächlich die sozialste Maßnahme, die wir heute treffen können. Das merkt
       man einfach daran, dass die Inflation, die uns in den letzten Jahren
       beschäftigt, hauptsächlich durch die steigenden Preise fossiler Energie
       getrieben wird. Ohne diese Abhängigkeit hätten wir diese Inflation nie
       gehabt.
       
       Was passiert jetzt mit den übrig gebliebenen Flyern und Werbematerialien? 
       
       Zimmermann: In den Kiezteams werden gerade witzige Ideen zum Upcycling
       ausgetauscht.
       
       Davis: Wir haben nicht mehr viele Flyer übrig, sondern den Bedarf ganz gut
       eingeschätzt. Ich habe aus Tempelhof-Schöneberg gehört, das sie die Plakate
       aufbewahren wollen, um eine Großaktion zu machen. Wir haben auch viele
       Sachen, die von anderen Initiativen wiederverwendet werden. Zum Beispiel
       werden wir unsere Klemmbretter zum Unterschriftensammeln an Berlin autofrei
       weitergeben.
       
       11 Apr 2023
       
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