# taz.de -- Altersdiskriminierung: Der dümmste Satz
       
       > „Sie sieht jünger aus.“ – ernsthaft? Frauen brauchen keine falschen
       > Komplimente, sondern Anerkennung und Respekt.
       
 (IMG) Bild: Wie alt kann ein Journalist maximal sein, um so einen Satz zu schreiben?
       
       Jetzt habe ich ihn wieder gelesen – diesen Satz, der zwischen A und Z alles
       auf den Punkt bringt. Zwischen dem Anfang, wo die Krone der Schöpfung
       steht, und dem Ende, wo die Krone der Schöpfung das Maß aller Dinge ist.
       Durch die Augen der Krone der Schöpfung wird Maß genommen. Das Ergebnis
       steht in den Zeitungen und lautet so: „Sie sieht jünger aus.“
       
       Nochmal zum Mitschreiben: „Sie sieht jünger aus.“
       
       Ich sage jetzt nicht, in welchem Leitmedium der Satz dieses Mal stand.
       Stattdessen habe ich ein paar Fragen, denn das hier ist ein Mitmachtext:
       
       Wie alt denken Sie, ist die Frau, über die gesagt wird, sie sehe jünger
       aus?
       
       Und glauben Sie, dass es die Frau freuen wird, wenn sie liest, sie sehe
       jünger aus, als sie ist?
       
       Interessant wäre auch zu erfahren, wer es schrieb? Ein Mann oder eine Frau?
       Wie alt kann ein Journalist maximal sein, um so einen Satz zu schreiben?
       Uralt? Wie alt die Journalistin? Jung?
       
       Überhaupt: Was genau will er/sie uns mit dem Satz sagen, und was sagt
       er/sie uns in Wirklichkeit?
       
       Genug Fragen für ein abendfüllendes Seminar. Wenn sie beantwortet sind,
       wird den Kronen der Schöpfung keine Zacke fehlen, denn es geht nicht darum,
       die Männer ins Unrecht zu setzen. Es geht darum, den Blick auf die
       Tradierung falscher Bilder zu lenken. Und es geht darum, für die ältere
       Frau Würde, Schönheit und Respekt einzufordern. Sie soll nicht in der
       Unsichtbarkeit verschwinden, sobald sie so alt aussieht, wie sie ist. Es
       soll kein „[1][Verschwindefluch]“ auf ihr liegen, wie die ehemalige
       taz-Chefredakteurin Bascha Mika einst schrieb.
       
       Es ist doch so: Frauen werden [2][nach ihrem Äußeren] beurteilt. Wie sie
       aussehen sollen, ist dabei vorgegeben. Schön sollen sie sein, das versteht
       sich von selbst, ungeachtet dessen, wie Schönheit kodiert ist. Aber vor
       allem sollen sie jung sein. Sonst müsste die Phrase, sie sieht jünger aus,
       nicht verwendet werden. Als täte eine Rechtfertigung Not, warum über die
       Frau geschrieben wird. Würde sie alt aussehen, verlöre sie medial an
       Gewicht. Wo ist die News? Da ist ’ne Alte, die sieht jung aus und macht das
       und das. Versus: Da ist ’ne Alte, die sieht alt aus und macht das und das.
       Es ist, als müssten Frauen ihr gelebtes Leben leugnen, um Anerkennung zu
       bekommen.
       
       Ich will mich hier nicht im Lamentieren verlieren. Aber Fakt ist, die
       Abwertung und Ausgrenzung älterer Frauen in unserer Gesellschaft ist ein
       Skandal und ein Satz wie „Sie sieht jünger aus“ zeigt, wie die Ausgrenzung
       medial eingebrannt, wie sie vervielfältigt und weitergegeben wird.
       
       Wenn ein Autor über eine Frau schreibt, sie sieht jünger aus, dann wird
       sein unhinterfragtes Credo zum Richterblick. Und wenn eine Autorin es
       schreibt, dann leugnet sie die Transition der Zeit, die ihrem eigenen
       Geschlecht widerfährt.
       
       Die Missachtung älterer Frauen erfährt jede Frau, wenn sie jenseits der
       fünfzig ist. Und ist sie noch älter, wird es noch schlimmer, denn dann
       kommen all die Geschlechterungerechtigkeiten erst richtig zum Tragen. Armut
       etwa. Weil es einen Gender-Pay-Gap gibt, weil es eine gläserne Decke gibt,
       weil Care-Arbeit auf den Schultern von Frauen lastet, weil Frauenberufe
       schlechter bezahlt sind. Es müsste bei der Rente einen
       Geschlechterdiskriminierungsausgleich geben.
       
       Arm, hässlich, alt – das wird älteren Frauen zugeschrieben. Im Zuge der
       Identitäts- und Diskriminierungsdebatten fällt zumindest in den USA der
       Blick auf uns. Aktivistinnen melden sich zu Wort. [3][Wartet, bis wir
       lauter werden].
       
       Denn, Journalismuskolleg:innen, arm, hässlich und alt, das muss nicht so
       bleiben. Guckt ältere Frauen an. Guckt uns an. Und wenn ihr uns anschaut,
       dann seht euch. Wir sind eure Antithese. Mannsein wird an der Abwertung des
       Frauseins aufgewertet. Und Jungsein wird aufgewertet an der Abwertung
       älterer Frauen. Ihr seid nicht jung, weil ihr jung seid, ihr seid jung,
       weil wir alt sind und ihr auf uns herabschauen dürft.
       
       Wenn ihr das kapiert, dann wird klar, dass das Schönheits- und
       Jugendlichkeitsdiktat nichts als Bullshit ist. Denn wenn ihr nur jung seid,
       weil wir alt sind, dann tradiert ihr das patriarchale System und habt nie
       versucht, die Gesellschaft moderner und gerechter zu machen. Damit aber
       seid ihr selber alt. Waltraud Schwab
       
       7 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nwzonline.de/kultur/das-alter-ist-eine-frau_a_12,5,2626446892.html
 (DIR) [2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/frauen-karriere-schoenheit-1.4426142
 (DIR) [3] https://www.emma.de/artikel/nieder-mit-dem-ageismus-340021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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