# taz.de -- Antisemitismus in Großbritannien: Starker Anstieg nach dem 7. Oktober
       
       > So viele Vorfälle wie im vergangenen Jahr wurden noch nie in
       > Großbritannien registriert. Erneut steht die Labour Party in keinem guten
       > Licht da.
       
 (IMG) Bild: Großdemonstration gegen Antisemitismus in London im November 2023
       
       LONDON taz | Das Vereinigte Königreich verzeichnet nach den Attacken in
       Israel am 7. Oktober 2023 die höchste Zahl antisemitischer Vorfälle seit
       1984, dem Jahr, in dem deren Erfassung begann. 2023 waren es insgesamt
       4.103, berichtet der [1][Community Security Trust (CST)]. Das ist eine der
       beiden Organisationen, die neben der britischen Polizei für die Sicherheit
       jüdischer Gemeinden und Einrichtungen verantwortlich sind und
       antisemitische Vorfälle statistisch erfassen.
       
       Im Vergleich zu 2022 stieg die Zahl demnach um 589 Prozent. Allein 2.700
       Vorfälle registrierte der CST am oder kurz nach dem 7. Oktober. Laut CST
       fühlten sich die Täter:innen durch die brutalen Attacken der Hamas im
       Süden Israels inspiriert. Die Vorfälle könnten als Feiern dieser
       Hamasangriffe beschrieben werden.
       
       Die Statistik des CST lässt auch Aussagen über die Art der Vorfälle zu.
       Demnach handelt es sich in 3.328 Fällen mindestens um eine Beschimpfung und
       Beleidigung und in 305 Fällen um Bedrohungen. Zudem registrierte das CST
       266 physische Angriffe, 182 Fälle von Beschädigungen oder Entwürdigungen
       jüdischer Orte und 22 Vorfälle, die mit der Produktion oder dem Verteilen
       antisemitischer Literatur zu tun haben. Besonders beunruhige den CST, dass
       in einem Fünftel aller Fälle die Betroffenen des Antisemitismus jünger als
       18 Jahre waren.
       
       In 58 Angriffen wurden Objekte wie Ziegelsteine, Flaschen oder Eier
       geworfen. In 13 Fällen gab es Angriffe mit Waffen, in 3 Fällen
       Messerangriffe oder Bedrohungen, in 10 Fällen wurde versucht, mit einem
       Fahrzeug Opfern zu schaden. In 53 Fällen wurden Betroffene getreten oder
       geschlagen, in 36 Fällen angespuckt und in 15 Fällen entrissen die
       Täter:innen jüdischen Menschen ihre religiösen Kleidungsteile oder
       Gegenstände.
       
       ## Antisemitismus bei Labour
       
       Von den 48 Vorfällen, die im Umfeld politischer Organisationen geschahen,
       lassen sich 45 der linken Labourpartei zuordnen. In dieser Woche hatte
       [2][Labour bereits von zwei Parlamentskandidaten] für die Nachwahl ablassen
       müssen: einem in Rochdale sowie einem in Hyndburn. Es war bekannt geworden,
       dass sie sich antisemitisch geäußert hatten.
       
       Die jüdische Labourpolitikerin Louise Ellman, die bis 2019 Abgeordnete in
       Liverpool war, warnte am Mittwoch in einer Sendung des Times Radio, dass
       die Partei Kandidat:innen robusteren Prüfungen unterziehen müsse, wenn
       sie [3][nicht wieder in Verruf] geraten wolle.
       
       Keir Starmer, der Labour-Vorsitzende, hat bereits starke Veränderungen in
       der Partei eingeführt, nachdem die britische Gleichberechtigungs- und
       Menschenrechtsstelle (EHRC) 2020 in einer Untersuchung zu Antisemitismus in
       der Partei Bedrängungen und Diskriminierungen von jüdischen Mitgliedern
       festgestellt hatte.
       
       ## Gesellschaftlicher Schandfleck
       
       Der britische Innenminister James Cleverly (Tories) bezeichnete den Anstieg
       als Schande. Er würde tun, was er könne, um sicherzustellen, dass jüdische
       Gemeinden sicher seien, und arbeite mit der Polizei, um sicherzustellen,
       dass Hassverbrechen und Unterstützung der in Großbritannien verbotenen
       Hamas die ganze Kraft des Gesetzes spüre.
       
       Auch seine Labourkollegin, die Schatteninnenministerin Yvette Cooper,
       bezeichnete das Wachstum als unerträglich und gesellschaftlichen
       Schandfleck. Der britische parlamentarische Beauftragte für Antisemitismus,
       Lord John Mann (Labour), stellte klar, Antisemitismus sei die Verantwortung
       aller Parteiführungen, ohne Wenn und Aber.
       
       15 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://cst.org.uk/
 (DIR) [2] /Grossbritanniens-Opposition-und-Israel/!5991677
 (DIR) [3] /Britische-Linke-debattiert-Judenhass/!5533613
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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