# taz.de -- Artenschutz in der EU: Luchse brauchen Partnerbörsen
       
       > Von wegen, alle 11 Minuten verliebt sich… Europas Luchs-Populationen
       > mischen sich nicht und leiden darunter. In Thüringen sucht man Auswege.
       
 (IMG) Bild: Luchskatze Kaja aus dem Wildkatzendorf Hütscheroda hatte vergangenes Jahr Nachwuchs
       
       BERLIN taz | Die drei Luchspopulationen in Deutschland haben langfristig
       nur eine Überlebenschance, wenn sie sich vermischen. Darum untersuchen das
       Thüringer Umweltministerium und die Naturschutzorganisationen BUND und WWF
       ab sofort in einem gemeinsamen Projekt, wie sich die Katzen im Thüringer
       Wald ansiedeln lassen. Am Mittwoch haben sie es online vorgestellt.
       
       Das Mittelgebirge im Südwesten des Bundeslandes könnte eine „Drehscheibe
       für die Populationen im Harz, im Böhmerwald und im Pfälzerwald“ werden,
       sagt Marco Heurich, Professor für Wildtiermanagement an der Uni Freiburg,
       der das Projekt wissenschaftlich begleitet.
       
       [1][Die 137 in Deutschland lebenden Raubkatzen leiden], wie ihre
       Artgenossen in den Alpen, in Kroatien oder Slowenien, unter Inzucht.
       Mischen sich die Populationen nicht, sinkt die genetische Vielfalt der
       Tiere. Das macht sie krank und verringert ihre Fortpflanzungsfähigkeit. „In
       der Schweiz treten bei Luchsen vermehrt Herzfehler auf, in Kroatien ist die
       Zahl der Tiere zurückgegangen“, sagt Heurich. In einer Computersimulation
       hat er ausgerechnet, unter welchen Bedingungen Luchse aus ihren
       Lebensräumen im Harz, in der Pfalz und im bayerischen Wald herauswandern,
       neue Gebiete besiedeln und so auf Tiere aus anderen Gegenden treffen.
       Ergebnis: Ohne weitere Maßnahmen ist die Chance in den nächsten 30 Jahren
       gleich null.
       
       Würden im Thüringer Wald 16 bis 20 Tiere ausgewildert, entstünde laut
       Computermodell eine Art „Brücken-Population“. Bis 2048 könnte Europas
       größte Katze sich dann bis in den hessischen Odenwald, den Vogelsberg und
       das sächsische Erzgebirge ausbreiten. Betrachte man längere Zeiträume,
       schaffe das der Luchs vielleicht auch allein, sagt Heurich. Allerdings
       müsse man trotzdem verhindern, dass die genetische Vielfalt weiter abnehme,
       indem man einzelne Tiere in die Populationen einbringe, beispielsweise aus
       den Karparten.
       
       ## Gespräch mit Jäger:innen suchen
       
       Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz des WWF, formuliert allerdings
       bewusst zurückhaltend. „Es ist noch nichts beschlossen, wir machen jetzt
       erst einmal eine Bestandsaufnahme“, sagt er. Man wolle im Thüringer Wald
       die „Herzen der Akteure“ für den Luchs gewinnen, also die von
       Waldbesitzer:innen, Jäger:innen und der Gemeinden vor Ort. Anders als
       Wölfe und Bären löse der Luchs in der Bevölkerung kaum Ängste aus – er sei
       eher Sympathieträger, sagt Heinrich. Allenfalls Jäger betrachteten ihn
       bisweilen als Konkurrenten, „und mit ihnen suchen wir jetzt das Gespräch“.
       
       Die Freund:innen des Luchses sind vorsichtig. Als sie vor 30 Jahren Tiere
       im Bayerischen Wald aussetzten, taten sie das ohne Beteiligung der
       Bevölkerung vor Ort. Ergebnis seien bis heute Ablehnung und auch Wilderei,
       sagt Markus Port, der das Projekt für den BUND in Thüringen betreuen wird.
       [2][Im Harz hingegen habe man von Anfang an vor Ort um Akzeptanz geworben]
       – erfolgreich. Anders als in Bayern fielen Luchse hier kaum Wilderern zum
       Opfer, eher gefährdet sie der Straßenverkehr. Und eben ihre isolierte Lage.
       
       115.000 Euro lässt sich das Land Thüringen die Luchs-Erkundung kosten,
       jeweils 38.000 Euro steuern BUND und WWF zu. Sollten tatsächlich Tiere
       ausgesetzt werden, würde das deutlich teurer. 20 Luchse im Pfälzer Wald
       auszusiedeln, hat in den vergangenen fünf Jahren rund 2,7 Millionen Euro
       gekostet. Finanzielle Unterstützung wollen die Projektpartner dann bei der
       EU und ihrem Umweltförderinstrument LIFE suchen.
       
       Aus Straßburg gab es am Dienstagabend schon mal indirekt politische
       Unterstützung. Das EU-Parlament hat seine Position zur
       Biodiversitätsstrategie der EU-Kommission bekannt gegeben. In seiner
       Entschließung kritisiert es, dass die EU ihre Biodiversitätsziele für 2020
       nicht erreicht. Mit der neuen Strategie müsse gegen die fünf Hauptursachen
       des ökologischen Wandels vorgegangen werden, dazu zählen Land- und
       Meeresnutzung, direkte Ausbeutung von Tieren und Pflanzen, der Klimawandel,
       die Verschmutzung und eingeschleppte Arten. Außerdem müssten künftig jedes
       Jahr 20 Milliarden Euro für den Artenschutz ausgegeben werden, fordert das
       Parlament.
       
       Seine Forderungen möchte es in ein Biodiversitätsgesetz gießen. Es habe
       sich „gezeigt, dass Selbstverpflichtungen und unverbindliche Leitlinien
       nicht ausreichen, um das rasant voranschreitende Artensterben aufzuhalten“,
       sagte die grüne EU-Abgeordnete Jutta Paulus. „Wir brauchen wirksamen Schutz
       für heimische Arten und Lebensräume.“
       
       Um dem Luchs in Europa eine Zukunft zu geben, sei politische Unterstützung
       zentral, sagt WWF-Vorstand Heinrich. Die Rechtsgrundlagen für
       Auswilderungsprojekte seien zwar schon vorhanden, aber Rückenwind aus
       Europa sei nützlich.
       
       9 Jun 2021
       
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