# taz.de -- Ausstellung im Jüdischen Museum: Der Zukunft zugewandt
       
       > Auch Jüdinnen und Juden wollten einst den Sozialismus aufbauen. In Berlin
       > blickt eine Sonderausstellung auf ein selten betrachtetes Thema.
       
 (IMG) Bild: Alice Zadek mit Tochter Ruth und Neffe David Hopp auf der Stalinallee (Karl-Marx-Allee), ca. 1956
       
       Da steht dieser braune Koffer mitten im Raum. Was für ein Trumm! Oben drauf
       sind drei Städtenamen in heller Farbe geschrieben: London, Brüssel, Berlin.
       Es ist dies der Rückreisekoffer, mit dem Josef und Lizzi Zimmering aus dem
       britischen Exil heimkehrten. Die Enkelin Esther Zimmering berichtet: „Meine
       Großeltern waren als kommunistische Remigranten überzeugt, dass die DDR
       jener deutsche Staat sei, in dem Antisemitismus keinen Platz hat.“
       
       Es war keine Massenbewegung, die sich da aufmachte. Die allermeisten
       überlebenden deutschen Jüdinnen und Juden zogen nach der Schoah ein Leben
       außerhalb Deutschlands vor. Ein kleiner Teil blieb in der Bundesrepublik,
       später verstärkt durch Osteuropäer und Remigranten aus Israel. Ein noch
       kleinerer, ja winziger Teil entschied sich für die DDR. Sie – meist
       Kommunisten – wollten dort ein besseres Deutschland aufbauen. Mit der
       jüdischen Religion hatten viele von ihnen nicht sehr viel zu tun.
       
       „Jüdisch in der DDR“ heißt die Sonderausstellung im [1][Jüdischen Museum in
       Berlin]. Dieses behandelt damit ein eher selten dargestelltes Kapitel
       jüdischer und deutscher Geschichte. Beim Rundgang durch die 800
       Quadratmeter messende Schau wird schnell deutlich, dass es die eine
       jüdische Sicht im anderen deutschen Staat nicht gab.
       
       Die Blicke unterschieden sich aufgrund der Herkunft der Menschen. Wer einem
       Vernichtungslager entronnen war, hatte möglicherweise einen anderen Blick
       als jemand, der im Moskauer Exil überlebt hatte. Wer den Sozialismus
       aufzubauen gedachte, sah das Land mit anderen Augen als ein religiös
       geprägter Mensch. Und wer etwa 1948 aus dem Exil gekommen war, dachte
       anders als der, der 1976 als junger Mensch die [2][Ausbürgerung Wolf
       Biermanns] miterlebte.
       
       ## Ami-Spion, West-Agent, vielleicht gar Zionist
       
       Josef Zimmering wurde also Diplomat der DDR, seine Frau war ebenso vom
       neuen Staat überzeugt. Doch die Jahre nach 1949 waren nicht nur die des
       Aufbaus, sondern auch des Hasses. Der Stalinismus triumphierte, und mit ihm
       ein staatlicher Antisemitismus, der jeden und alles verdächtig machte.
       Kontakte nach Israel? Ein West-Agent, vielleicht gar Zionist! Hilfspakete
       aus den USA empfangen? Gewiss ein Ami-Spion.
       
       In der Ausstellung hängen ein paar Skier an der Wand. Sie gehörten einmal
       Werner Kussy, der mehrere Konzentrationslager überlebt hatte und sich nun
       bei der jüdischen Gemeinde in Dresden engagierte. Die Sportgeräte waren
       1953 seine Tarnung. Angeblich befand er sich in den Winterferien in
       Thüringen, tatsächlich flüchtete er nach West-Berlin. Er hatte Angst vor
       der zweiten Verfolgung.
       
       Hunderte Jüdinnen und Juden flohen damals zur Zeit der Slansky-Prozesse aus
       der DDR in den Westen. Jüdische SED-Mitglieder beschuldigten andere Juden
       bei der Stasi aufgrund von Nichtigkeiten „verbrecherischer Verbindungen“ zu
       Imperialisten, wohl wissend, welche furchtbaren Folgen dies haben konnte.
       Man kann das heute alles in Stasi-Akten nachlesen.
       
       ## Jüdisches Leben als permanenter Verdachtsfall für die Stasi
       
       An diesem Punkt wirkt die Berliner Ausstellung ein wenig weichgespült.
       Tatsächlich galt jüdisches Leben in der DDR auch als ein permanenter
       Verdachtsfall für die Staatssicherheit, die die wenigen Gemeinden und ihre
       Mitglieder durchleuchtete. Selbstverständlich konnte von einer freien
       Meinungsäußerung in diesem Land keine Rede sein. Entschädigungen für
       erlittenes NS-Unrecht wurde nicht gezahlt. Und auch die Freiheit des
       religiösen Bekenntnisses unterlag gewissen Einschränkungen.
       
       In einer der Vitrinen liegt ein eigentlich unspektakuläres Stück, eine
       Halskette mit Davidstern. Sie gehört Cathy Gelbin, die sie in den 1970ern
       erhielt. Sie erzählt: „Als ich mit 14 Jahren Jugendweihe hatte, habe ich
       mir einen Davidstern gewünscht, der in der DDR nicht zu kaufen war. Meine
       Mutter ist zu einem Juwelier gegangen. Der Juwelier hat Angst bekommen und
       abgelehnt. Freunde aus Westberlin haben dann eine Kette mit Davidstern
       mitgebracht. An meiner neuen Schule trug ich die Kette immer. Ich wurde
       angehalten und gefragt, was sie bedeutet und warum ich sie trage.“
       
       Die Ausstellung nähert sich ihrem Thema biografisch an. Nicht nur Cathy
       Gelbin spricht dort oder das anfangs erwähnte Ehepaar Zimmering. Da werden
       Dutzende kleine und große Geschichten erzählt. Sie zeugen von der Enge
       (nicht nur) für Juden in diesem Land, aber auch von den Versuchen eines
       Ausbruchs, womit in diesem Fall nicht unbedingt die Ausreise in den Westen
       gemeint ist. Und von der Vielfalt der jüdischen Stimmen.
       
       ## Überalterung und Ausreise
       
       In den 1950er und 1960er Jahren wuchs eine neue Generation heran. Sie
       teilte nicht unbedingt die hochfliegenden Pläne der Exilanten aus den
       1940ern. Aber es waren auch keine geborenen Staatsfeinde. Viele Menschen,
       die zu Beginn der DDR als Kommunisten in das Land gekommen waren, hatten
       ihre Mitgliedschaft in den Gemeinden gekündigt, nichts unterschied sie im
       Alltag von nichtjüdischen Genossen. Die Kinder stellten Fragen: Sind wir
       Juden? Und was bedeutet das?
       
       Aus der Familie von [3][André Herzberg], Jahrgang 1955, stammt ein
       Sederteller. Herzberg berichtet, die Mutter sei zu einem „geheimnisvollen
       Laden“ gefahren und habe dort ein bräunliches Paket in Empfang genommen,
       darin – Matze, also ungesäuertes Brot. Es war zu groß für den Sederteller.
       Also kam die Matze auf ein Holzbrett, dazu gab es Butter, aber keine
       Auszugsgeschichte und keine Pessachfeier.
       
       Wie die Jüdischen Gemeinden im Westen Deutschlands, so litten auch die nur
       acht Gemeinden in der DDR an einer wachsenden Überalterung. Hinzu kam bei
       ihnen der dauernde Schwund durch diejenigen, die sich für den Westen
       entschieden und ausreisten. Der 1945 noch im Exil geborene
       [4][Schriftsteller Thomas Brasch] gehörte zu ihnen. Er verließ das Land
       1976 kurz nach der Biermann-Ausbürgerung. Sein Gedicht „Was ich habe, will
       ich nicht verlieren“ steht ganz am Anfang der Ausstellung:
       
       „Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber / wo ich bin, will ich nicht
       bleiben / aber die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber / die ich
       kenne, will ich nicht mehr sehen aber / wo ich lebe, da will ich nicht
       sterben, aber / wo ich sterbe, da will ich nicht hin: / Bleiben will ich,
       wo ich nie gewesen bin“
       
       ## Kämpfer und Opfer des Faschismus
       
       Und doch entwickelte sich jüdisches Leben in der DDR, vielfach in eine
       Nische gedrängt. Renate Kirchner baute in der Berliner Gemeinde eine für
       das Land einzigartige Bibliothek auf, die gar von [5][Gershom Scholem]
       gewürdigt wurde. Fotos und eine Postkarte erinnern an das jüdische
       Kinderferienlager an der Ostsee. Fehlende Ritualgegenstände für den
       Gottesdienst wurden aus dem Westen importiert. Die Berliner Synagoge in der
       Rykestraße konnte renoviert werden. Auch davon zeugt diese feine
       Ausstellung.
       
       Jüdische Erinnerung und jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus waren
       in der DDR bestenfalls als zweitklassig zugelassen, hoch oben stand der
       heroische Kampf der Kommunisten. Es gab „Kämpfer gegen den Faschismus“
       (erstklassig) und „Opfer des Faschismus“ (zweitklassig).
       
       Israel war imperialistisch, mit dem anständige Juden nichts gemein haben
       sollten, Arafat dagegen ein Friedensfreund, so die Staatsdoktrin. Beim
       Sechstagekrieg 1967 nötigte man den Juden eine Art Bekenntnis im Neuen
       Deutschland ab, in der diese behaupten sollten, in der DDR sei der
       Antisemitismus „ausgerottet“. Israel hingegen wäre ein Bündnis mit dem
       Imperialismus eingegangen. Da verweigerte so mancher seine Unterschrift.
       Der Text im SED-Blatt aber hängt als Dokument der Propaganda nun im
       Jüdischen Museum.
       
       12 Sep 2023
       
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