# taz.de -- Deltavariante des Coronavirus: Wettlauf gegen die 4. Welle
       
       > Wieso steigen die Infektionszahlen? Wirken die Impfungen wirklich
       > schlechter gegen die Deltavariante? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
       
 (IMG) Bild: In London wird gefeiert, auch wenn die Inzidenzen hoch sind. Und hierzulande?
       
       Die Inzidenz in Großbritannien [1][und einigen anderen Regionen Europas]
       ist wieder stark gestiegen, und das trotz teilweise hoher Impfquoten. Wie
       gefährlich ist die nun dominierende Variante Delta? 
       
       Delta ist nach aktuellem Kenntnisstand vermutlich deutlich ansteckender als
       ihre Geschwister. Zusätzlich profitiert die Variante wohl auch von dem
       Missverständnis, dass Geimpfte sich selbst und andere nicht mehr anstecken
       können. Doch sind, wie bei den meisten Impfstoffen gegen Atemwegserreger,
       Infektionen trotz Impfung nicht komplett auszuschließen. Und je
       ansteckender und verbreiteter eine Variante, desto häufiger werden ohne
       schützende Maßnahmen selbst vollständig Geimpfte infiziert – und die können
       das Virus auch an Ungeimpfte weitergeben.
       
       In Großbritannien kann man derzeit gut verfolgen, was das bedeutet: Obwohl
       das Land nach Malta und Island die europaweit höchste Impfquote hat,
       breitet sich das Virus dort seit Wochen wieder exponentiell aus – innerhalb
       eines Monats hat sich die Inzidenz mehr als verfünffacht und liegt jetzt
       bei über 280.
       
       Machen Impfungen dann überhaupt noch Sinn? 
       
       Auf jeden Fall. Auch das zeigt Großbritannien deutlich: Die Zahl der
       Todesfälle und Krankenhauseinweisungen nimmt im Vergleich zu den
       Infektionen nur gering zu. Dieser Effekt ist klar auf die Impfungen
       zurückzuführen, denn schwere Verläufe werden durch sie größtenteils
       verhindert. Dazu kommt: Ohne die Impfungen wäre auch der Anstieg der
       Fallzahlen noch sehr viel höher, denn auch wenn die Impfung nicht
       vollständig vor Infektionen schützt, tut sie es insgesamt doch recht gut.
       
       Wie ist die Lage in Deutschland? 
       
       Auch in Deutschland hat sich der Trend gedreht: Nachdem die Inzidenzen seit
       Ende April stetig gesunken waren – von im Schnitt 21.000 auf unter 600
       gemeldete Neuinfektionen pro Tag –, steigen sie seit einer Woche wieder an.
       Dieses Wachstum beginnt auf einem sehr niedrigen Niveau und die Daten sind
       noch nicht ausreichend, um sicher zu sagen, wie stark seine Geschwindigkeit
       ist. Derzeit deuten sie auf einen wöchentlichen Anstieg von weniger als 20
       Prozent hin.
       
       Die Zahl der Coronatoten und -Intensivpatient*innen sinkt derzeit hingegen
       noch deutlich. Das ist auch allein aufgrund der zeitlichen Verzögerung zur
       Infektion nicht anders zu erwarten. Allerdings ist auch damit zu rechnen,
       dass der Anstieg bei Toten und Intensivpatienten in einer möglichen 4.
       Welle im Verhältnis zu den Neuinfektionen sehr viel geringer ausfällt als
       bei den bisherigen Wellen – eben dank der Schutzwirkung der Impfung vor
       schweren Verläufen.
       
       Israel hat berichtet, dass die Impfstoffe gegen Delta deutlich schlechter
       schützen. Biontech beantragt wegen Delta eine Zulassung für
       Dreifachimpfungen. Wie gut wirken die bislang zugelassenen Vakzine noch? 
       
       Um es kurz zu machen: Alle zugelassenen Impfungen sind weiterhin wirksam,
       sie schützen vor schweren Erkrankungen und Todesfällen – auch bei
       Ansteckungen mit der Deltavariante. Die irritierende Meldung aus Israel ist
       auf bevölkerungsbasierte Beobachtungsdaten zurückzuführen, die seit Beginn
       der Impfungen im Januar gesammelt und für verschiedene Zeiträume analysiert
       wurden. Im vollen Lockdown mit strengen Maßnahmen waren bei Geimpften bis
       April kaum noch Ansteckungen registriert worden. Man ging deshalb davon
       aus, dass die Impfung auch die Weitergabe des Virus verhindert.
       
       Zur jüngsten Meldung des Gesundheitsministeriums liegen noch keine
       veröffentlichten Daten vor, doch seit Juni hat sich das Bild offensichtlich
       geändert: Die Maßnahmen in Israel sind weitestgehend aufgehoben, kurzzeitig
       wurde sogar die Maskenpflicht für Innenräume abgeschafft. Auch Geimpfte
       stecken sich nun häufiger an, sie sind durch die Vakzine jedoch weiterhin
       gut geschützt.
       
       Eine dritte Dosis, wie Biontech sie jetzt als Booster einführen möchte,
       könnte zwar den Schutz vor Infektionen und leichten Erkrankungen erhöhen,
       die wichtigste Wirkung der Impfungen – der Schutz vor schweren Verläufen –
       ist aber nach bisherigem Kenntnisstand auch nach zwei Dosen gewährleistet.
       
       Wie entwickeln sich die Impfzahlen in Deutschland? 
       
       Das Impftempo in Deutschland hat in den letzten Wochen deutlich
       nachgelassen: Wurden Mitte Juni noch über 6 Millionen Dosen pro Woche
       verimpft, waren es zuletzt nur noch 4,5 Millionen – und das, obwohl mehr
       Impfstoff zur Verfügung steht. Damit sind jetzt 58 Prozent der
       Gesamtbevölkerung mindestens einfach geimpft; 41,5 Prozent haben bereits
       den vollständigen Schutz.
       
       Weil erst die vollständige Impfung ziemlich sicher gegen die Deltavariante
       schützt, bedeutet das aber, dass die Mehrheit noch nicht sicher ist. Bei
       den über 60-Jährigen betrifft das etwa ein Drittel der Deutschen, bei den
       18- bis 59-Jährigen etwa 60 Prozent; Menschen unter 18 sind bisher fast
       noch gar nicht doppelt geimpft, und für alle unter 12 gibt es noch nicht
       einmal einen zugelassenen Impfstoff.
       
       Wird es mit den Impfungen gelingen, eine vierte Welle zu verhindern? 
       
       Wohl nicht. Das Beispiel Großbritannien zeigt ja eindrücklich, dass die
       Zahlen auch bei einer hohen Impfquote steigen. Für Deutschland hat das
       Robert Koch-Institut [2][in einer neuen Prognose berechnet], dass
       mindestens 90 Prozent der über 60-Jährigen und 85 Prozent der 12- bis
       59-Jährigen geimpft sein müssten, um insgesamt ohne größere Probleme durch
       den Winter zu kommen. In diesem Fall bliebe die Inzidenz unter 100 und es
       gäbe nicht mehr als 1.000 Corona-Intensivpatient*innen zur gleichen Zeit.
       Betrüge die Impfquote bei den Menschen unter 60 nur 75 Prozent, wären gut
       2.000 Intensivpatient*innen zu erwarten, bei einer Quote von 65
       Prozent wären es mit 6.000 etwa genau so viele wie im letzten Winter.
       
       Für den weiteren Verlauf kommt es also darauf an, ob ausreichend Menschen
       schnell genug geimpft werden, um den exponentiellen Anstieg zu stoppen. Ob
       die dafür nötige Impfquote erreicht werden kann, ist offen und hat immer
       weniger mit der Verfügbarkeit von Impfstoff zu tun. In Umfragen liegt die
       theoretische Impfbereitschaft zwar in der Größenordnung von 85 Prozent.
       Dass diese bis zum Herbst erreicht wird, [3][ist angesichts der schon jetzt
       nachlassenden Nachfrage] aber zweifelhaft. Zudem gibt es in der Prognose
       viele Unsicherheiten. Denn neben der Impfquote hängt der Verlauf unter
       anderem auch davon ab, wie sich die Zahl der Kontakte entwickelt und in
       welchem Ausmaß weiterhin Masken getragen werden.
       
       Apropos Masken: Werden die Maßnahmen für vollständig Geimpfte bald
       aufgehoben? 
       
       Schauen wir wieder nach Großbritannien: Dort ist das längst umfassend der
       Fall. Allerdings gilt wieder: Auch vollständig Geimpfte können sich
       weiterhin mit Sars-CoV-2 anstecken – seltener zwar, aber sie tragen dennoch
       zur Verbreitung des Virus bei. Geimpfte sind durch das Vakzin zwar selbst
       kaum noch gefährdet, sie können aber Ungeimpfte in Gefahr bringen, wenn sie
       ungeschützt und uneingeschränkt zum Beispiel reisen dürfen und aus Ländern
       mit höherer Indzidenz neue Viren, womöglich sogar neue Varianten
       mitbringen.
       
       Die meisten Expert*innen raten darum, zumindest bestimmte Maßnahmen wie
       Maskenpflicht und Abstand in Innenräumen aufrechtzuerhalten. Das ist bisher
       auch der Fall: Auch in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, wo viele
       Coronamaßnahmen in dieser Woche aufgehoben werden, bleibt die Maskenpflicht
       in öffentlichen Verkehrsmitteln und im Einzelhandel bestehen.
       
       Wird es weitere, noch gefährlichere Mutanten geben? 
       
       Weitere Varianten von Sars-CoV-2 sind naturgemäß Programm – wie alle Viren
       verändert sich auch der Covid-Erreger ständig, wenn auch vergleichsweise
       langsam. Einige dieser Varianten werden ansteckender sein, manche
       vielleicht auch schwerere Erkrankungen hervorrufen. Dass jedoch eine
       Mutante entsteht, die die Impfungen komplett unterwandert und sich trotz
       Schutzmaßnahmen ausbreitet, ist eher unwahrscheinlich.
       
       Christian Drosten, der zu den weltweit führenden Experten für Coronaviren
       zählt, sieht für solche Befürchtungen wenig Anlass. Der Virologe von der
       Berliner Charité sagte bereits vor Wochen in seinem Podcast, aus fachlicher
       Sicht gebe es gute Gründe zu der Annahme, dass „Sars-Cov-2 gar nicht mehr
       so viel auf Lager hat als das, was es uns bisher zeigen konnte“. Und was
       Sars-CoV-2 bisher gezeigt hat, hebt weder die Wirkung von Schutzmaßnahmen
       wie Masken, Abstand und Kontaktbeschränkungen aus den Angeln, noch mindert
       es den Schutz vor schweren Erkrankungen und Tod durch die Impfungen.
       
       9 Jul 2021
       
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