# taz.de -- „Dream Scenario“ mit Nicolas Cage: Drehbuch der Albträume
       
       > Der Regisseur Kristoffer Borgli lässt Nicolas Cage in absurden Träumen
       > beliebiger Leute auftauchen. „Dream Scenario“ wird zum Comedy-Thriller.
       
 (IMG) Bild: Und was träumt die Agenturmitarbeiterin Molly (Dylan Gelula) von Paul (Nicolas Cage)?
       
       Paul Matthews gehört zu der Sorte Menschen, die man als „Nobody“ zu
       bezeichnen pflegt. Der Biologieprofessor an irgendeiner glanzlosen
       Universität hat es akademisch nie zu großen Ehren gebracht, in seinen
       Vorlesungen muss er die Aufmerksamkeit des Publikums mitunter einfordern.
       Wichtige Veröffentlichungen hat er ebenfalls keine vorzuweisen, dafür hängt
       er angeblichen Entdeckungen aus der Studienzeit nach, die ihm frühere
       Kommilitonen, aus seiner Sicht, weggeschnappt haben.
       
       Diesem unbemerkenswerten Leben verleiht Nicolas Cage in der Rolle von Paul
       dafür umso bemerkenswerteren Ausdruck, mit vorbildlich
       zurückgenommen-apathischem Spiel, in dem linkische Unbeholfenheit den Ton
       angibt. Auch die Maske tut ihr Übriges, ein Haarkranz um die glänzende
       Glatze, ein ungepflegter Bart und eine randlose Brille runden das Bild
       zweckdienlich ab.
       
       Was hingegen nicht ganz zu passen scheint, ist der erste Auftritt Pauls im
       Film. Da steht er mit einer Harke am Pool, unweit von ihm sitzt ein Mädchen
       an einem Glastisch, als dieser plötzlich zerspringt. Das Mädchen schreit
       erschrocken auf, ein Kameraschwenk zeigt ein Schlüsselbund inmitten der
       Glassplitter, dann beginnt das Mädchen himmelwärts zu schweben, schreit:
       „Papa, hilf mir!“ Doch Paul steht teilnahmslos daneben und sagt, sie
       brauche sich keine Sorgen zu machen. Ein Traum der Tochter, wie diese am
       nächsten Morgen erzählt.
       
       Unterwegs in der Stadt sprechen Paul danach alle möglichen Leute an,
       unbekannte wie Bekannte. Die Restaurantangestellte, die ihm den Tisch
       anweist, schaut ihn skeptisch an und fragt, ob sie sich irgendwoher kennen.
       In einem Theater, in dem er mit seiner Frau ein Stück ansieht, spricht ihn
       nach der Aufführung eine ehemalige Freundin an und erzählt, dass sie von
       ihm geträumt hat. Und in seiner Vorlesung sitzen am nächsten Tag lauter
       Gesichter, die er dort noch nie zuvor sah. Sie hingegen haben ihn gesehen.
       Im Traum.
       
       „Dream Scenario“ ist der erste Film des norwegischen Regisseurs Kristoffer
       Borgli mit amerikanischer Besetzung. Seine [1][Influencer-Satire „Sick of
       Myself“ feierte 2022] internationale Erfolge, jetzt produzierten sowohl der
       US-amerikanische [2][Regisseur Ari Aster] als auch Nicolas Cage den neuen
       Film mit. Der Transfer scheint gelungen, Borgli braucht sich für das
       Ergebnis jedenfalls kein bisschen zu schämen.
       
       ## Konjunkturen der Beliebtheit
       
       Die Geschichte folgt einem vertrauten Muster. Nachdem sich herausstellt,
       dass zahllose Menschen aus unerklärlichen Gründen nachts von Paul träumen,
       meistens mit ihm als unbeteiligtem Beobachter eines Unglücks, macht die
       Nachricht Schlagzeilen, er wird zur Internetberühmtheit. Medien wollen über
       ihn berichten, Wildfremde von ihm online erzählen, Agenturen mit ihm
       zusammenarbeiten. Bis die Sache eine unvorteilhafte Wendung nimmt und die
       ungewohnte Rolle als Celebrity für Paul aufs Heftigste nach hinten losgeht.
       
       Kristoffer Borgli hat sich für seine schwarze Komödie erneut die
       Konjunkturen öffentlicher Beliebtheit in den sozialen Medien als Thema
       gewählt. Diesmal mit einer fantastischen Idee als Grundlage des Drehbuchs.
       Eine Person, die kollektiv zum Protagonisten der Träume von Menschen wird,
       ganz gleich, ob sie ihnen vorher bekannt war oder nicht, ist jedenfalls
       unwahrscheinlich. Zugleich trifft dieses Bild sehr gut die Mechanismen,
       nach denen die Gerüchteküchen des Internets arbeiten.
       
       Denn ob an einer Story etwas dran ist oder nicht, spielt für Hypes oder
       Shitstorms gleichermaßen bekanntlich keine Rolle. Die Wahrheit liegt im
       Post, was Borgli direkt auf die nächtlichen psychischen Aktivitäten von
       Pauls Umfeld überträgt. Was diese von ihm träumen, ist die Wahrheit über
       Paul. Oder wird es irgendwann. Paul muss dafür schließlich den Preis
       zahlen.
       
       ## Was Albtraum, was Realität?
       
       Borgli inszeniert diese wenig realistische Erzählung mit leichten
       Verfremdungen. Ton und Bild laufen bei ihm regelmäßig auseinander, der
       Soundtrack von Owen Pallett verheißt eher drohendes Unglück als Ruhm durch
       die nächtlichen „Privatauftritte“, die Paul in den Köpfen all jener
       absolviert, die von ihm träumen. Und immer wieder beginnt eine Szene so,
       dass man nicht ganz sicher ist, ob Paul da gerade etwas im Wachzustand
       erlebt oder ob er bloß jemandes „Mann der Träume“ ist.
       
       Besonders zugespitzt in einer Szene, die so albtraumhaft gerät, dass man
       bis zu deren Ende im Unklaren darüber bleibt, ob es um Wachen oder Schlafen
       geht.
       
       Eine zynische Pointe bewahrt sich Borgli für den Schluss, an dem er
       konsequenterweise über die kommerziellen Potenziale des von Sigmund Freud
       einst als „Königsweg zum Unbewussten“ für die Psychoanalyse fruchtbar
       gemachten Traums nachdenkt. Vom aufklärerischen Ansatz Freuds ist Borgli
       weit entfernt. Traum ist bei ihm nur mehr eine unerschlossene Ressource,
       mit der sich Geld verdienen lässt. Na dann gute Nacht!
       
       19 Mar 2024
       
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