# taz.de -- Dreikönigstreffen der Liberalen: Die FDP trickst mit der Zeitrechnung
       
       > Die Liberalen wollen zum Jahresauftakt Optimismus für ihre Arbeit
       > verbreiten. Dabei versucht die Parteispitze, das Brodeln an der Basis zu
       > ignorieren
       
 (IMG) Bild: Gekommen, um Frieden an die Wiege der Liberalen zu tragen: Die FDP-Spitze beim Dreikönigstreffen
       
       FELLBACH/STUTTGART taz | Der stehende Applaus ist Marie-Agnes
       Strack-Zimmermann sicher. „2024 ist nicht das Jahr der Nationalisten, es
       ist das Jahr der Demokraten“, ruft die FDP-Bundestagsabgeordnete am Samstag
       unter Jubel in den vollen Saal der Stuttgarter Oper. Strack-Zimmermann, die
       Verteidigungspolitikerin, versucht mit einer flammenden Rede den Kampfgeist
       der Liberalen für das anstehende Jahr zu wecken. Die Einfuhr, wie sie die
       geübte Bütten-Rednerin zielsicher abliefert, kann die FDP durchaus
       brauchen: [1][Nach den Landtags-Pleiten, dem andauernden Umfragetief] und
       und dem Streit in der Ampel erklärte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
       das Dreikönigstreffen zum „Balsam für die Seele“.
       
       Zuletzt wirkte es an der Basis der FDP so, als würde sie nicht mehr so
       recht weitermachen wollen. [2][Ein unverbindliches Mitgliedervotum] hatte
       der Parteiführung am 1. Januar nur mit einer knappen Mehrheit den Verbleib
       in der Bundesregierung zugebilligt. 48 Prozent der FDP-Umfrageteilnehmer
       waren dagegen der Auffassung, dass die liberalen Werte in der Koalition mit
       SPD und Grünen zu wenig zur Geltung kämen.
       
       Mit dem Treffen in der Oper wollten Parteichef Christian Lindner und die
       gesamte FDP-Ministerriege, die dafür nach Stuttgart einritt, die
       abtrünnigen Freisinnigen wieder einfangen. Denn für die Partei, die in
       Umfragen irgendwo zwischen 4 und 7 Prozent liegt, steht viel auf dem Spiel.
       Nach der Klatsche am 1. Januar soll das Jahr für die FDP noch mal neu
       beginnen.
       
       „Bundesvorsitzender auf nur einer Arschbacke funktioniert nicht“, sagt
       Mario Klotzsche, FDP-Kreisvorsitzender aus Fulda. „Pobacke, bitte“,
       korrigiert ihn Claus-Dieter Schad, der auch in Fulda stellvertretender
       Kreistagsvorsitzender für die FDP ist. Sie sind am Vorabend des
       Dreikönigstreffens zum Landesparteitag der baden-württembergischen FDP nach
       Fellbach gekommen und stehen an einem der Tische in der vollen
       Schwabenlandhalle in Stuttgarts Nachbargemeinde.
       
       ## Lindner will das Mitgliedervotum nicht zu hoch hängen
       
       Beide wollen nicht sagen, wie sie bei der Abstimmung zum Verbleib in der
       Ampel votiert haben, machen aber auch keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit
       mit der Regierungspolitik. „Das war am Ende ein Hilferuf der Basis“ sagt
       Klotzsche. Was der zum Ausdruck bringen sollte? „Ihr macht das nicht
       ausreichend gut, um es mal höflich zu formulieren.“
       
       Der Bundesvorsitzende und Finanzminister will die Mitgliederbefragung
       dagegen nicht zu hoch hängen. Bei seiner Rede am Samstag erwähnt Christian
       Lindner das Votum nur in einem Nebensatz am Ende seiner fast einstündigen
       Rede. „Ich nehme jede Kritik von Unterstützern der FDP an“, sagt er. Die
       Partei könne eben nicht alle ihrer Vorhaben „sofort umsetzen“.
       
       Auch Generalsekretär Djir-Sarai spricht nur indirekt von der
       Mitgliederbefragung, als er das liberale Mantra von Freiheit und
       Verantwortung zum Besten gibt. „Wer von Freiheit spricht, aber von
       Verantwortung nichts hören will, macht einen großen Fehler.“ Die
       Verantwortung zum parteiinternen Zusammenhalt sieht der Generalsekretär
       eine Woche nach der Befragung bei den Kritikern der Ampel.
       
       Am Vorabend hatte Klotzsche aus Fulda gegenüber der taz die Befürchtung
       geäußert, das Ergebnis der Mitgliederbefragung werde an der Parteispitze
       nicht wirklich gehört. Sein Ortskollege Schad ergänzt: „In der öffentlichen
       Debatte heißt es immer, über Kernkraft darf man nicht reden, über
       Sozialleistungen darf man nicht reden.“ Von der FDP würde er sich wünschen,
       dass sie mehr für die liberale Programmatik einstehe.
       
       Beim Dreikönigstreffen am Samstag fährt die Parteispitze eine klare
       Werbekampagne für die Arbeit in Berlin. „Was wir in den vergangenen Jahren
       mit der CDU nicht durchsetzen konnten, setzen wir jetzt mit Kanzler Olaf
       Scholz um, in der Bundesregierung mit den Grünen und der SPD“, sagt Michael
       Theurer, Landesvorsitzender der FDP in Baden-Württemberg und
       Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium.
       
       ## Vom schweren Job des Landesvorsitzenden
       
       Er rattert runter, wo die Abgaben gesenkt worden seien: bei der
       Einkommensteuer, beim Grundfreibetrag, dem Kinderfreibetrag, bei der
       Entfernungskostenpauschale. „Allerdings habe ich das Gefühl, wir müssen,
       was die Bekanntheit dieser Maßnahmen angeht, noch ein bisschen
       nacharbeiten“, so der Landesvorsitzende.
       
       Wie bei den anderen Ampel-Parteien sieht auch die FDP den Hauptgrund für
       die Unbeliebtheit der Bundesregierung in der Kommunikation nach Innen.
       Dabei strotzt die Spitze der Liberalen vor Selbstbewusstsein angesichts der
       eigenen Positionierung im Kabinett und der Verhandlungserfolge.
       
       Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Landtag, ruft
       am Samstag seiner Parteibasis zu: „Die Bundesregierung ist besser als ihr
       Ruf und besser als so manche andere Regierung.“ So sei es der FDP gelungen,
       „[3][dem Gebäudeenergiegesetz] die Giftzähne“ zu ziehen.
       
       Das Lob der Ampel-Erfolge hindert Rülke nicht daran, auf Landesebene gegen
       die Grünen zu wettern, die in Stuttgart in einer Koalition mit der Union
       regieren. Die „grüne Ideologie“ der „Leistungsferne“ ist Rülke einige
       Kalauer wert. Bei den kommenden Landtagswahlen sei es an der Zeit, dass
       nicht nur der [4][grüne Ministerpräsident „Winfried Kretschmann] in den
       Ruhestand tritt, sondern die Grünen in die wohlverdiente Opposition“, ruft
       der Fraktionsvorsitzende unter großem Jubel in den Saal.
       
       Christian Linder versucht das Bild einer starken FDP in der Bundesregierung
       zu zeichnen. „Manche träumen von Steuererhöhungen oder dem [5][Aussetzen
       der Schuldenbremse]“, sagt der Finanzminister. Doch beides sei mit der FDP
       nicht zu machen.
       
       Der Vorschlag der Liberalen sei, für eine wachsende Wirtschaft zu sorgen,
       nur so ließen sich soziale und ökologische Vorhaben nachhaltig
       gegenfinanzieren. „Mir scheint, SPD und Grünen schwant, dass die ganzen
       sozialpolitischen und ökologischen Vorhaben im aktuellen Umfeld schwer zu
       realisieren sind“, so Lindner.
       
       ## Klimaaktivisten unterbrechen Lindner
       
       Der Parteichef spricht von Schwarzmalerei im Land und bemüht für seinen
       Appell um Optimismus ein Zitat eines ideengeschichtlichen Kontrahenten, dem
       Schrecken des liberalen Bürgertums, Friedrich Nietzsche: Wer zu lange in
       den Abgrund blicke, in den blicke der Abgrund zurück, paraphrasiert Lindner
       den Philosophen. „Eine Gesellschaft, die nicht mehr an ihre eigene Zukunft
       glaubt, verspielt ihre Zukunft selbst“, sagt Parteichef Lindner.
       
       Dabei nimmt er auch Bezug auf die protestierenden Bauern, [6][die am
       Donnerstagabend den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck bedrängt
       hatten.] „Die gefährliche Situation, in die mein Kollege Robert Habeck
       gekommen ist, war völlig inakzeptabel.“ Nötigung und Landfriedensbruch
       seien Fälle für den Staatsanwalt.
       
       Kurz wird der Parteichef selbst in seiner Rede von Klimaaktivisten gestört,
       die von den Logenplätzen der Oper mit Plakaten und Sprechchören die
       Einführung eines Klimagelds fordern, [7][so wie es die Bundesregierung im
       Koalitionsvertrag zugesichert hat]. „Wenn Attac für das Klimageld wirbt,
       dann ist es das erste Mal, das linke Autonome für das Wahlprogramm der FDP
       werben“, ruft der Parteichef unter Lachern in Richtung der Aktivisten,
       bevor Sicherheitskräfte sie aus dem Saal führen.
       
       [8][Tatsächlich findet sich im FDP-Wahlprogramm] aus dem Jahr 2021 die
       Einführung einer „Klimadividende“, mit der „die sozialen Kosten des
       Klimaschutzes abgemildert“, werden sollen. Doch die Bundesregierung zögert
       die Einführung einer solchen sozialen Klimaschutzumlage hinaus mit Verweis
       auf bürokratische Hürden bei der Umsetzung.
       
       ## „Die Ampel macht einen guten Job“
       
       „Die FDP macht den Unterschied in der Regierung“, sagt Sabine Detscher,
       FDP-Kreisgeschäftsführerin aus Baden-Baden, an einem der Tische beim
       Landesparteitag in Fellbach. Sie sei bei der Mitgliederbefragung für einen
       Verbleib in der Ampel gewesen, sagt sie.
       
       Es gebe in der Partei eine gesunde und streitlustige Kultur, deswegen gebe
       es überhaupt offene Auseinandersetzungen wie das Votum in der FDP. Sie sei
       zuversichtlich, dass sich die Regierung von nun an zusammenreiße. „Die
       Regierung macht einen sehr guten Job in diesen schwierigen Zeiten.“
       
       Es ist Strack-Zimmermann, die mit ihrer Rede den Nerv der Partei am Samstag
       zu treffen scheint. „Ich möchte nicht, dass wir nächstes Jahr hier sitzen
       und die Kacke ist am Dampfen“, ruft sie in den Opernsaal. [9][Sie bezieht
       sich auf die anstehende Parteigründung Sahra Wagenknechts], aber auch auf
       den Rechtsruck im Land. „Die Nationalisten sind toxisch, das ist nicht
       profan.“ Bei den anstehenden Wahlen würde die AfD antreten, um die EU „von
       innen kaputt zu machen“.
       
       Nach ihrer Rede entwickelt sich die Politikerin in den prunkvollen Gängen
       der Oper zur Selfie-Königin. Ihre Ansprache, will sie durchaus als Werbung
       für die Europawahl im Juni verstanden wissen: „Gehen Sie am 9. Juni
       wählen“, ruft sie zum Ende ihrer Rede. Für die FDP-Spitze beginnt mit dem
       Dreikönigstreffen nicht nur noch einmal das neue Jahr – sondern auch der
       Wahlkampf.
       
       6 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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