# taz.de -- EM-Außenseiter Georgien: Fußball, als gäbe es kein Morgen
       
       > Georgien hat mit mutigem Angriffsfußball auch vielen neutralen Fans
       > Freude bereitet. Vor dem Spiel gegen Portugal überwiegt der Stolz aufs
       > Erreichte.
       
 (IMG) Bild: Zwischen wild und intensiv: Außenseiter Georgien, hier Otar Kakabadze gegen David Jurásek
       
       Dürfte man nur ein einziges Wort verwenden, um den Fußball des größten
       Außenseiters bei dieser Europameisterschaft zu beschreiben, die meisten
       würden wohl zwischen den Wörtern „intensiv“ und „wild“ schwanken. Das
       georgische Team spielt, als gäbe es kein Morgen. Von den kleinen Nationen
       konnte nur die schottische Mannschaft [1][ähnlich viel Aufmerksamkeit auf
       sich ziehen]. Das lag aber eher an den Fans, die tranken, als gäbe es kein
       Morgen. Fußballerische Argumente sollen an dieser Stelle mehr zählen.
       
       Nur: dieser mitreißende Stil kostet Kräfte. Weshalb es bei aller Liebe vor
       der Partie gegen den stärksten Gruppengegner Portugal schwerfällt zu
       glauben, es könnte danach noch ein Morgen für die Fußballer aus dem
       Kaukasus bei diesem Turnier geben. [2][Trainer Willy Sagnol] wollte dennoch
       nur eines ausschließen: „Ich liebe Georgien, aber wenn man Georgien ist,
       kann man nicht die EM gewinnen.“ Für die Partie gegen Portugal kündigte er
       hingegen an, man werde mit dem Ehrgeiz, „etwas Gutes zu schaffen“,
       auftreten und dafür am Ende vielleicht belohnt werden.
       
       Und Georgiens Torhüter Giorgi Mamardashvili ließ nach dem Remis gegen
       Tschechien kämpferisch wissen: „Ein Punkt ist auch gut, denn wir können
       immer noch weiterkommen.“ Ängstlichkeit vor großen Gegnern ist das Letzte,
       was dem Team von Sagnol vorgehalten werden könnte, obwohl dessen Kader vor
       dem Turnier nur einen großen Namen zu bieten schien. Alle sprachen
       lediglich von Khvicha Kvaratskhelia, [3][der sich beim SSC Neapel zu einem
       Spitzenfußballer entwickelt hat].
       
       Nach den Partien gegen die Türkei und Tschechien rückten jedoch andere in
       den Gesprächsmittelpunkt. Allen voran Mamardashvili, der mit seinen
       fantastischen Paraden hauptverantwortlich dafür war, dass Georgien gegen
       Tschechien den ersten Punkt in seiner EM-Historie erzielen konnte. Sagnol
       hatte ihn bereits vor Wochen zu den 15 besten Torhütern Europas gezählt.
       Beim FC Bayern war der erst 23-Jährige bereits im Gespräch. Sein fehlender
       Bekanntheitsgrad ließ die Münchner vermutlich zu lange zögern. Der FC
       Valencia erfreut sich seiner Dienste.
       
       ## Nicht nur das Remis retten
       
       Der Mittelfeldmann Giorgi Kotschoraschwili hat sich mit seiner
       Umtriebigkeit und Übersicht ebenfalls in die Gedächtnisse vieler
       Fußballfans eingetragen. Ihm ist es obendrein gelungen, die Mentalität
       seines Teams zu veranschaulichen. „Wir wissen, dass alle Mannschaften gegen
       uns Angriffsfußball spielen, aber wir werden ebenfalls Angriffsfußball
       spielen.“ Was die anderen können, können wir auch, heißt die simple Devise.
       
       Ein Georgier stand vergangenen Samstag in Hamburg in besonderem
       Rampenlicht. Saba Lobjanidze kam in der Nachspielzeit bei einem Konter frei
       vor dem tschechischen Torhüter zum Schuss, eben weil der große Außenseiter
       trotz aller Unterlegenheit in dieser Partie nicht nur das Remis retten
       wollte. Bei allen Schwierigkeiten, die sein Team bis dahin bewältigt hatte,
       schien es die leichteste Übung, diese Chance auf die fast sichere
       Qualifikation fürs Achtelfinale zu nutzen. Doch Lobjanidze kickte den Ball
       über die Latte.
       
       ## Mehr war möglich
       
       Übelgenommen hat ihm das freilich keiner. Er solle trotzdem stolz auf den
       Punkt sein, empfahl ihm Torhüter Mamardashvili. Und Sagnol erzählte, ihm
       Folgendes mit auf den Weg gegeben zu haben: „Diejenigen, die es nie
       probieren, können niemals vergeben. Deshalb ist es der beste Weg, es immer
       wieder zu versuchen.“ Das ist es auch, was Sagnol seinem ganzen Team ans
       Herz legt und es wahrscheinlich so unbändig und wild erscheinen lässt. Es
       wird gegen jegliche Wahrscheinlichkeit immer alles versucht.
       
       Bei beiden EM-Spielen [4][war für Georgien letztlich mehr möglich], als
       ihnen das Endresultat einbrachte. Beide Male überwog die Freude über das
       Erreichte und des bloßen Dabeiseins die Enttäuschung, etwas verpasst zu
       haben. Diese Perspektive auf den Sport, die sich meist nur Außenseiter
       leisten können, geht ans Herz aller Fußballfans.
       
       So schwebt über jedem georgischen Spiel bei dieser EM die Wehmut und Ahnung
       des baldigen Abschiednehmenmüssens. Sagnols Spielrückblicke haben stets die
       baldige Heimkehr im Blick. Mehrfach hat er erklärt, wie stolz er bereits
       auf das Gezeigte ist, weil er wüsste, wo das georgische Team in den Jahren
       zuvor gestanden hätte.
       
       Nach der Begegnung in Hamburg betonte er: „Wir sind hierher gekommen, wohl
       wissend, dass unser Hauptziel seine würde, Erfahrung zu sammeln.“ Punkte
       sind also selbst im entscheidenden Spiel gegen Portugal eigentlich
       zweitrangig. Es wird gewiss eine intensive Partie, an deren Ende wieder
       viel von Stolz die Rede sein wird. Es hat jedenfalls Spaß gemacht, den
       Georgiern beim Fußballspielen zuzuschauen.
       
       25 Jun 2024
       
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