# taz.de -- Ehefrau des Friedensnobelpreisträgers: „Unabhängiges Denken unterdrückt“
       
       > Der Menscherechtler Ales Bjaljazki wurde in Belarus zu zehn Jahre Haft
       > verurteilt. Seine Frau Natalja Pintschuk berichtet über die
       > Haftbedingungen.
       
 (IMG) Bild: „Jede Initiative, die sicherstellt, dass politische Gefangene Beachtung finden, ist wichtig“: Natalja Pintschuk
       
       Ales Bjaljazki (1962) ist Gründer und Vorsitzender des 1996 gegründeten
       Zentrums für Menschenrechte Wjasna (Frühling). Der Belarusse wurde bereits
       2011 nach den Massenprotesten gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen
       drei Jahre in einem Straflager inhaftiert. Am 14. Juli 2021 wurde er im
       Rahmen einer massiven Säuberungsaktion des Regimes von Alexander
       Lukaschenko erneut verhaftet. Wie bereits 2011 lautete die Anklage auf
       Steuerhinterziehung. 2022 wurde Ales Bjaljazki für seine Arbeit [1][mit dem
       Friedensnobelpreis geehrt]. 
       
       Am 3. März 2023 wurde Bjaljazki mit zwei weiteren führenden
       Menschenrechtlern, Waliantsin Stefanovitsch und Uladzimir Labkovitsch, in
       Minsk zu Haftstrafen von zehn, neun sowie sieben Jahren verurteilt. Die taz
       sprach darüber mit Bjaljazkis Frau, Natalja Pintschuk. 
       
       taz: Frau Pintschuk, durften Sie den Gerichtsverhandlungen gegen Ihren Mann
       beiwohnen?
       
       Natalja Pintschuk: Obwohl die Verhandlungen öffentlich waren, hatte die
       Justiz aufgrund angeblicher Corona-Schutzmaßnahmen die uneingeschränkte
       Möglichkeit, unerwünschte Zuschauer abzuweisen. Alles, was ich über den
       Prozess weiß, habe ich aus der staatlichen Presse. Der Anwalt hat
       Schweigepflicht.
       
       Ist Ihr Mann allein in einer Zelle? 
       
       Auch dazu darf der Anwalt nichts sagen. Und Ales selbst darf mir darüber
       nicht schreiben. Das gilt für alle Einzelheiten seiner Untersuchungshaft
       und Haftbedingungen.
       
       Aber Sie erhalten Briefe von ihm? 
       
       Seit Beginn des Prozesses sehr selten. In den anderthalb Jahren davor kam
       die Korrespondenz immer phasenweise, manchmal häufiger, manchmal lange Zeit
       gar nicht. Viele Menschen schreiben ihm, auch aus dem Ausland, aber nur
       sehr wenige Briefe scheinen ihn zu erreichen.
       
       Gab es Hausdurchsuchung en ? 
       
       Ja, zweimal. Von welcher Behörde sie ausgingen, ist bis heute ein Rätsel.
       Ich habe auch keine Liste der beschlagnahmten Gegenstände erhalten, obwohl
       ich ausdrücklich darum gebeten hatte. Der Anwalt hat so eine Liste, durfte
       sie mir aber nicht geben. Auf jeden Fall war sofort klar, dass sie die
       gesamte Bibliothek von Wjasna mit den Jahresberichten über
       Menschenrechtsverletzungen und Einzelfällen mitgenommen hatten. Auch
       Handys, USB-Sticks und Festplatten wurden beschlagnahmt.
       
       Inwieweit wurden Sie und Ihr Sohn nach der Verhaftung von Ales im täglichen
       Leben durch die Behörden behindert?
       
       Mein Sohn musste bereits während der ersten Inhaftierung von Ales im Jahr
       2011 ins Ausland gehen. Er kehrte erst nach 10 Jahren zurück. Im Jahr 2021
       wurde er während seines Ein-Mann-Protests [2][für die Freilassung der
       Journalistinnen Katerina Andreewa und Darya Tschulzowa] verhaftet. Er wurde
       15 Tage lang in einer Haftanstalt festgehalten. Über meine eigene Situation
       möchte ich momentan lieber nicht sprechen.
       
       Sjanon Pasnjak, belarussischer Oppositioneller im US-Exil, schlug einen
       Deal mit Lukaschenko vor: Freilassung politischer Gefangener, im Gegenzug
       Aufhebung der Sanktionen gegen Belarus durch die EU. Was halten Sie davon?
       
       Jede Initiative, die sicherstellt, dass politische Gefangene Beachtung
       finden, ist wichtig. Ich weiß, dass jetzt schon Menschen dafür verurteilt
       werden, Kommentare in sozialen Medien zu schreiben, Kommentare zu teilen,
       unsere nationalen Symbole zu verwenden. [3][Bilder der Protestdemos von
       2020] werden noch mal eingehend geprüft, damit die Machthaber alle
       Beteiligten auch jetzt noch verurteilen können. Die Bedingungen in den
       Gefängnissen und Lagern sind sehr hart. Es ist sehr wichtig, all diese
       Menschen und ihre Familien zu unterstützen. Ob der Vorschlag von Pasnjak
       sinnvoll ist, lässt sich derzeit nicht so einfach beantworten.
       
       Seit der Verhaftung Ihres Mannes konnte ich keinen Kontakt zu Wjasna
       herstellen. Gibt es die Organisation noch?
       
       Wjasna ist immer noch aktiv, allerdings vom Ausland aus. Die Website
       funktioniert und es erscheinen regelmäßig Nachrichten.
       
       Wie können die Regierungen der EU-Länder Ihren Mann und andere Gefangene in
       Belarus am besten unterstützen? 
       
       Vor Ort ist die Hilfe ganz einfach. Ehemalige politische Gefangene und ihre
       Familien kommen nach ihrer Freilassung völlig mittellos in der EU an. Sie
       brauchen Hilfe bei der Beschaffung von Aufenthaltsgenehmigungen und erste
       Unterstützung, um so schnell wie möglich eine Wohnung und Arbeit zu finden.
       
       In Belarus selbst ist ein normales Leben für Andersdenkende völlig
       unmöglich geworden. Jedes staatliche Unternehmen, aber auch private
       Unternehmen, beurteilen mittlerweile nach Loyalität zum Regime. Leute, die
       an den Protesten teilgenommen haben oder deren Angehörige aus politischen
       Gründen im Gefängnis saßen, bekommen nirgendwo mehr Arbeit.
       
       Also eine Art chinesisches Punktesystem auf der Grundlage von Loyalität? 
       
       Genau, diejenigen, die loyal sind, werden von den Machthabern akzeptiert.
       
       Ein weiteres Problem ist die Gesundheit. [4][In den Gefängnissen und Lagern
       werden die politischen Gefangenen zwar normalerweise nicht gleich
       ermordet], aber ihre Gesundheit wird systematisch ruiniert. Es sollte ein
       gemeinsames europäisches Programm zur medizinischen Unterstützung für
       diejenigen geben, die damals in Belarus für Demokratie und Freiheit
       eingetreten sind.
       
       Panzer, Waffen und Ausrüstung wurden allesamt in die Ukraine geliefert. Die
       russische Armee ist dezimiert worden. In aller Naivität könnte jemand
       behaupten, die Zeit sei reif für eine friedliche Revolution in Belarus? 
       
       Die Menschen in Belarus leben in ständiger Angst. Und die Machthaber haben
       ausreichend Mittel, um diese Angst aufrechtzuerhalten und zu verstärken.
       Durch die Justiz, wie im Schauprozess gegen Ales und seine Kollegen von
       Wjasna. Durch extrem lange Haftstrafen von 15 bis 25 Jahren. Deshalb ist an
       friedliche Proteste nicht einmal mehr zu denken. Alles steht unter
       absoluter staatlicher Kontrolle.
       
       Belarus kann mit den besetzten Gebieten eines beliebigen Landes verglichen
       werden. Unser Land ist im Wesentlichen von den eigenen staatlichen Organen,
       dem Innenministerium, der Justiz, der Polizei und Sondereinheiten besetzt.
       Jedes unabhängige Denken wird sofort unterdrückt. Es ist eine völlig andere
       Situation als im August 2020.
       
       4 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Friedensnobelpreis-2022/!5886459
 (DIR) [2] /Repressionen-in-Belarus/!5747479
 (DIR) [3] /Proteste-in-Belarus--ein-Jahr-danach/!5793821
 (DIR) [4] /Politische-Gefangene-in-Belarus/!5774980
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ardy Beld
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Belarus
 (DIR) Menschenrechte
 (DIR) Ales Bialiatski
 (DIR) Alexander Lukaschenko
 (DIR) Friedensnobelpreis
 (DIR) Schwerpunkt Krisenherd Belarus
 (DIR) Belarus
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Nobelpreis
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Politische Gefangene in Belarus: Tod auf der Intensivstation
       
       Der 57-jährige Künstler Ales Puschkin ist „unter „ungeklärten Umständen“
       umgekommen. Er saß eine fünfjährige Freiheitsstrafe ab.
       
 (DIR) Zukunft von Belarus: Ein Jahr Willkür und Repression
       
       Lukaschenko, Europas dienstältester Diktator, versucht sich und Belarus aus
       dem Krieg in der Ukraine herauszuhalten. Geht die Strategie auf?
       
 (DIR) Friedensnobelpreise 2022: Wie hält man das aus?
       
       Oleksandra Romantzowa und ihre Organisation dokumentieren Kriegsverbrechen
       in der Ukraine. Auf einen Kaffee mit der Trägerin des Friedensnobelpreises.
       
 (DIR) Friedensnobelpreis 2022: Ein Zeichen gegen Krieg und Diktatur
       
       Der Friedensnobelpreis geht an Ales Bjaljazki aus Belarus, die russische
       Organisation Memorial und die ukrainische Menschenrechtsorganisation Center
       for Civil Liberties.