# taz.de -- Ehegattensplitting und Elterngeld: Die Lebensform ist Privatsache > Geht es in der Politik um Geld, werden die Klischees ausgepackt. Die > Annahme, das Steuersplitting halte Frauen vom Arbeitsmarkt fern, ist > übergriffig. (IMG) Bild: Schlechte Laune bei manchen Ehepaaren, falls die Abschaffung des Ehegattensplittings kommt Immer dann, wenn Politiker:innen Lebensformen auf- oder abwerten, um Kürzungen oder Nichtkürzungen zu rechtfertigen, sollten rote Warnlampen angehen. Denn Klischees werden ausgepackt, wenn es in die Interessenlage passt. Das war schon zu Zeiten der strukturellen Massenarbeitslosigkeit um die Jahrtausendwende so, als man Arbeitslosen Faulheit unterstellte, obwohl Jobs knapp waren. Auch jetzt verlangt der Bundesfinanzminister Einsparungen. Und schon werden die Ressentiments ausgegraben. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil [1][will dem „antiquierten Steuermodell“ des Ehegattensplittings, das nur „die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau“ begünstige, „ein Ende setzen“]. Zur Klarstellung: Das Splitting trägt dazu bei, dass in Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften, in denen eine*r mehr verdient als der andere, nicht mehr Steuern bezahlt werden müssen als in Partnerschaften, in denen beide gleich viel verdienen. Hat [2][beispielsweise in einer Ehe] eine*r der Partner:innen 50.000 und der oder die andere nur 10.000 Euro im Jahr zu versteuerndes Einkommen, so wären bei einer Individualbesteuerung ohne das Splitting 11.816 Euro Steuern fällig. Ein Paar, bei dem beide 30.000 Euro im Jahr verdienen, muss nur 9.902 Euro Steuern entrichten. Den gleichen Steuerbetrag zahlt ein ungleich verdienendes Paar dank des Splittingtarifs, den man freiwillig wählt. ## Splitting ist nicht unlogisch Das Splitting erweitere den „Spielraum“ einer Partnerschaft in der Aufgabenteilung, urteilte das [3][Bundesverfassungsgericht 2013]. Es gab schwulen Paaren recht, die den Splittingvorteil für ihre eingetragene Lebenspartnerschaft haben wollten. Wer heiratet oder sich verpartnert, verpflichtet sich zum Unterhalt für den oder die Partner:in. Also ist es nicht unlogisch, den zu versteuernden größeren Anteil am Einkommen rechnerisch zu reduzieren und einen Betrag dem oder der Partner*in zuzuordnen – nichts anderes geschieht beim Splitting. Es gibt Reformmodelle von SPD und Grünen, die das Splitting durch eine individuellere Besteuerung ersetzen, bei der die Unterhaltsverpflichtung aber in Form von Freibeträgen berücksichtigt wird. Das würde für manche Ehepaare etwas höhere Steuern als bisher bedeuten und etwas mehr Geld für den Staat. Kann man machen für neue Ehen, sollte man aber auch so ansagen und sich das Gerede über irgendwelche „Anreize“ sparen. ## Das Anreizgerede ist übergriffig Am Bundesgerichtshof erging 2009 das Urteil, übrigens unter einer Frau als oberster Familienrichterin, die Unterhaltsrechte der ersten Ehefrau nach einer Langzeitehe dramatisch zu mindern, wenn der Mann danach eine zweite Familie gründet. Auch hier war von Anreizen für die ersten Ehefrauen die Rede, sich frühzeitig um einen Job zu bemühen, um selbstständig zu werden. Und die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, [4][Monika Schnitzer, will die Witwenrente in der bisherigen Form abschaffen], weil die jetzige Regelung die „Anreize“ reduziere für Ehefrauen, eine eigene Beschäftigung aufzubauen. Dieses Anreizgerede, die Sorge, das selbst gewählte Splitting halte die Frauen vom Arbeitsmarkt fern, wie Wissenschaftler*innen behaupten, ist übergriffig. [5][75 Prozent der Mütter] arbeiten, zwei Drittel davon in Teilzeit. Sie brauchen bessere Kinder- und Altenbetreuung, keine finanziellen Verschlechterungen. ## Elterngeldkürzung wirkt wie ein Vertrauensbruch In die ideologische Begleitmusik kritisch hineinhören muss man auch bei der Debatte ums Elterngeld. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) [6][schlägt vor, Paaren mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 150.000 Euro im Jahr ab 2024 kein Elterngeld mehr zu gewähren]. Das ist im Grunde okay. Das Erziehungsgeld, der Vorläufer des Elterngelds, war sogar auf Paare mit einem Nettojahreseinkommen von unter 30.000 Euro begrenzt. Allerdings: Die Kürzung kommt sehr schnell mit einem Vorlauf von nur fünf Monaten, immerhin werden bis zu 25.200 Euro mal eben weggestrichen. Das wirkt für sehr gut verdienende Paare wie ein Vertrauensbruch, daher die Empörung. Zur Erinnerung: Mit dem Elterngeld und dessen maximaler Höhe von monatlich 1.800 Euro wurde 2007 eine Leistung eingeführt, die explizit auch akademischen Paaren einen Anreiz bieten sollte, doch bitte Kinder zu bekommen. Es gibt viel Willkür in den politischen Legitimierungen. Wenn öffentliche Mittel knapp werden, muss Bedarfsgerechtigkseit an erster Stelle stehen, ohne über Lebensformen zu urteilen. Dazu gehört, dass die Mittel- und Oberschicht sich auf Opfer einstellen sollte. Höhere Sozialbeiträge werden kommen, höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften sollten kommen. Statt Ressentiments zu schüren, wäre es besser, den Leuten zu vermitteln, dass Verluste in Grenzen eben dazugehören. Und dass damit nicht alles zu Ende ist. 14 Jul 2023 ## LINKS (DIR) [1] /Alternative-zu-Streichung-von-Elterngeld/!5943398 (DIR) [2] https://www.finanztip.de/steuererklaerung/ehegattensplitting/ (DIR) [3] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2013/bvg13-041.html (DIR) [4] /Abschaffung-der-Witwenrente/!5943279 (DIR) [5] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_N012_12.html (DIR) [6] /Haushaltsentwurf-2024/!5942050 ## AUTOREN (DIR) Barbara Dribbusch ## TAGS (DIR) Ehegattensplitting (DIR) Steuern (DIR) Elterngeld (DIR) Ampel-Koalition (DIR) Familienpolitik (DIR) GNS (DIR) Ehe und Familie (DIR) Ehegattensplitting (DIR) Elterngeld (DIR) Elterngeld ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Warum Ehe Frauen abhängig macht: Geld für Sex Die Ehe ist ein Instrument, das Frauen finanziell in Abhängigkeit halten soll. Unsere Autorin fordert deshalb das „Ende der Ehe“. Ein Auszug. (DIR) Debatte über Ehegattensplitting: Let’s talk about tax Seit Jahrzehnten wird über das Ehegattensplitting gestritten. Wenn SPD-Chef Lars Klingbeil über Steuerprivilegien reden will, muss er konsequent sein. (DIR) Kürzungen bei Familienpolitik: Weiter Zoff um Elterngeld für Reiche SPD-Chef Klingbeil will beim Ehegattensplitting sparen statt beim Elterngeld. Auch die FDP will andernorts kürzen. Familienministerin Paus weist das zurück. (DIR) Umstrittene Elterngeld-Kürzungen: Die gefühlte Armut der Reichen Einkommensreiche Haushalte sollen den Anspruch auf Elterngeld verlieren. Nun schlagen sie Alarm, dabei ist das nur gerecht. Es ginge aber auch gerechter.