# taz.de -- Flüchtlingslager auf Lesbos ausgebrannt: Die letzten Tage von Moria
       
       > Das Flüchtlingscamp Moria existiert nach einem Brand nicht mehr. Mehr als
       > 12.000 Menschen waren dort 176 Tage wegen der Coronapandemie eingesperrt.
       
       Sie kamen am Abend des 176. Tags der Ausgangssperre. Es dämmerte, aber die
       Sonne war noch nicht untergegangen über Moria, Europas größtem
       Flüchtlingslager auf der Ägäis-Insel Lesbos. 35 Coronafälle hatten die
       Behörden bis zum Dienstagabend in dem Lager identifiziert, rund 100
       Kontaktpersonen ausgemacht. Mitarbeiter einer NGO sollten diese nun in ein
       Isolationszentrum in einer Fabrikhalle einige Kilometer weiter östlich
       bringen. „Sie sind in die Zelte gegangen und wollten Einzelne herausholen,
       mit Gewalt“, berichtet Mohammad Alizadah, 30 Jahre, Flüchtling aus Kabul,
       über die Nacht, in der das Lager abbrannte.
       
       Doch die Menschen hatten Angst, einige hätten sich geweigert, mitzukommen.
       „Einige wurden wütend, versuchten, den Abtransport zu stoppen“, sagt
       Alizadah am Mittwochvormittag am Telefon. Polizei und Krankenwagen seien
       mit Steinen beworfen worden. „Es gab eine Rebellion.“ Alizadahs
       Schilderungen decken sich mit den Berichten der Inselzeitung Sto Nisi vom
       Mittwoch. Der griechische Zivilschutz vermutet Brandstiftungen.
       
       „Es wurde dunkel, zuerst brannte ein kleines Feuer, dann noch eins, gegen
       0.30 Uhr wurde es sehr schnell sehr groß“, sagt Alizadah. „Polizisten
       schrien die Menschen an, alle sollten das Lager verlassen, zur Straße
       gehen, sie mussten ihr Hab und Gut zurücklassen.“ Doch schon bald schnitten
       die Flammen einem Teil von ihnen den Weg ab. „Viele sind daraufhin in die
       Olivenhaine hinter dem Lager geflüchtet“, sagt Alizadah. Andere machten
       sich zu Fuß auf in Richtung Inselhauptstadt. Auf halber Strecke errichtete
       die Polizei in der Nacht eine Straßensperre. „Da sitzen jetzt Tausende“,
       sagt Alizadah. Eine Versorgung gebe es bislang nicht.
       
       Vom Lager blieb nach dem Brand kaum etwas übrig. Am Morgen erklärt die
       Regierung den Ausnahmezustand, schickt Flugzeuge mit Sondereinheiten der
       Polizei. Wie die Menschen in dem Chaos versorgt werden können, ist bis zum
       Mittag völlig unklar.
       
       Dass ein Corona-Ausbruch und seine Folgen in dem Lager zu einer Katastrophe
       führen könnte, war seit Monaten bekannt. Schon am 17. März hatte das
       griechische Migrationsministerium eine Ausgangssperre über Moria verhängt,
       aus Furcht vor einer Ausbreitung des Virus.
       
       Im April, am 31. Tag dieser Ausgangssperre, schrieben die Insassen einen
       Brief und fordern eine Evakuierung. „Das Virus im Lager wäre wie ein
       Todesurteil für Alte und Kranke.“ Am 55. Tag der zweite Brief: „Sind wir es
       nicht wert, eine Antwort zu erhalten, während so viele Leute über Moria
       sprechen, das sogar ein deutscher Minister als ‚Europas Schande‘
       bezeichnet?“, steht darin.
       
       ## Das Leben in Moria besteht aus Anstehen
       
       Einer der Initiatoren dieses Briefs ist [1][Mohammad Alizadah]. An einem
       Mittwoch Ende August, es ist der 163. Tag der Ausgangssperre, kommt er vor
       das Tor des Lagers, um die Situation im Innern zu schildern. Er trägt er
       trotz der Hitze ein blaues Hemd mit langen Ärmeln, seine welligen Haare
       sind seitlich gescheitelt. 2018 kam er auf der Insel an, mit seiner heute
       24-jährigen Frau und ihrem vier Jahre alten Sohn. Zu seinem Asylantrag sei
       er bis heute nicht angehört worden. In Kabul habe er Pharmazie studiert,
       vier Jahre in einer Apotheke gearbeitet. „Deswegen wusste ich einiges über
       Hygiene“, sagt er. Mit anderen Insassen betreibt er Gesundheitsaufklärung
       im Lager.
       
       Das Leben in Moria, es bestehe vor allem im Anstehen, sagt Alizadah: für
       Essen, Wasser, Toiletten; im Sommer bei über 30 Grad, ohne Schatten.
       „Abstand halten ist unmöglich“, sagt er. Wenn Insassen sich zusammentun, um
       sich abwechselnd einen Platz freizuhalten „dann gibt es Kämpfe“.
       
       Die Mischung aus Traumatisierung, Stress, Ungewissheit und Verelendung hat
       immer wieder zu Aggressionen und Gewalt im Camp geführt, auch zu
       Brandstiftungen. Was in der Nacht zum Mittwoch geschah, ist das Ergebnis
       der jahrelangen Entrechtung der Menschen in dem Lager.
       
       An diesem Morgen, zwei Wochen vor dem Feuer, laufen Menschen vor dem
       Eingang heraus und herein, sie tragen Säcke oder Kisten auf den Schultern.
       Es stinkt nach Müll und Exkrementen. Manche Frauen fahren Kinderwagen auf
       und ab. Als ein Bus hält, drängen sich Dutzende Menschen, holen weiße
       Zettel aus ihren Taschen. Es sind Passierscheine, nur heute gültig. An
       maximal 120 Menschen werden sie täglich ausgegeben, aus „dringenden
       Gründen“ dürfen nur sie das Lager verlassen. Der Busfahrer lässt nur
       einsteigen, wer das Papier vorweist. Die Ausgangssperre wird von zwei
       Streifenwagen kontrolliert. Sie stehen in beiden Richtungen an der Straße,
       die am Lager vorbeiführt.
       
       Bis zum Brand war das eigentliche Lager in Moria von Zäunen mit
       Stacheldraht umgeben. 2014 wurde es als Internierungslager mit 3.000
       Plätzen eröffnet. Irgendwann war es derartig überfüllt, dass die Insassen
       in Hütten im umgebenden Buschland gehen mussten. Dort lebte bis
       Dienstagabend das Gros der Insassen. Es gab dort keine Toiletten, das Areal
       war voller Fäkalien und Ratten.
       
       Kein Land der Welt hat proportional mehr Geld für die Flüchtlingsversorgung
       bekommen als [2][Griechenland]. Zwischen 2015 und Januar 2020 flossen dafür
       2,23 Milliarden Euro aus Brüssel nach Athen. Zwar kamen in diesem Zeitraum
       rund 1 Million Flüchtlinge in das Land, die meisten aber reisten schnell
       wieder aus oder wurden von den Behörden in die Türkei zurückgeschleppt.
       Tatsächlich aufgenommen, und sei es nur für ein Asylverfahren, wurden in
       Griechenland seit 2015 weniger als 150.000 Menschen. Zum Vergleich: Der
       Türkei stellte die EU 6 Milliarden Euro für fast 4 Millionen Flüchtlinge in
       Aussicht. Griechenland hätte Ressourcen, um die Menschen würdig
       unterzubringen. Doch das Elend soll weitere Flüchtlinge abschrecken.
       
       ## Die Gewalt nimmt zu
       
       „Vor dem Lockdown wollten die meisten immer raus aus den Zelten, denn darin
       wird es doppelt so heiß wie draußen“, sagt Alizadah beim Besuch im August.
       „Doch jetzt, wo Angst vor dem Virus herrscht, bleiben viele lieber drinnen,
       um anderen aus dem Weg zu gehen.“ Am schlimmsten sei es nachts. „Da werden
       Menschen überfallen, vor allem Frauen. Viele trauen sich nicht, ihre Zelte
       nicht zu verlassen.“ 13 Schwerverletzte und 6 Tote durch Messerstechereien
       zählte das UN-Flüchtlingswerk UNHCR in Moria in den vergangenen Monaten.
       
       Vor dem Eingang stehen gelbe Taxen, ihre Fahrer warten im Schatten der
       Olivenbäume. 10 Euro kostet die acht Kilometer weite Strecke nach Mytilini,
       der Inselhauptstadt. Die Taxen hält die Polizei nicht an. Wer Geld hat,
       kann die Ausgangssperre so umgehen, einkaufen, Geld von Verwandten im
       Money-Gram-Büro abholen. Wer erwischt wird, muss 150 Euro Bußgeld bezahlen.
       
       Vom Staat bekamen die Insassen von Moria bislang 90 Euro im Monat, Kinder
       und Ehepartner etwas mehr als die Hälfte. Zum 1. September hat die
       Regierung die Leistungen auf 75 Euro gekürzt. Auch das Schlangestehen ist
       eine Klassenfrage. Jeden Morgen kamen lokale Händler an das Lagertor und
       lieferten säckeweise Obst und Gemüse. Einige Flüchtlinge verkauften diese
       Waren drinnen. Die Insassen, die es sich leisten konnten, kauften im Lager
       ein, kochten selber und mussten weniger anstehen.
       
       Jetzt, am Ende des Sommers, hat das Gras die Farbe von Sand angenommen. Es
       ist die Hochsaison für Waldbrände. An der Küstenstraße, auf halber Strecke
       zwischen Moria und Mytilini, hat die Inselfeuerwehr ihr Hauptquartier. Das
       Büro des Kommandanten ist abgedunkelt und heruntergekühlt, in einer
       Anrichte aus dunkelrotem Holz stehen eine Flasche Rum und Gläser für Gäste.
       „Die Lage ist nicht normal“, sagt Konstantinous Theophilous, zwei Wochen,
       bevor die Flammen das gesamte Lager zerstören.
       
       ## 200 Brände seit Jahresbeginn, sagt der Feuerwehrchef
       
       Seit Jahresbeginn gab es im Lager Moria oder dessen unmittelbarer Umgebung
       bereits 200 Brände, im Juli waren es teils drei am Tag. „Wir mussten zwei
       Löschzüge abstellen, die jetzt rund um die Uhr am Lager Wache halten“, sagt
       Theophilous. Natürlich sei das eine enorme Zusatzbelastung, aber
       Menschenleben zu schützen habe „für uns die höchste Priorität“. Viele
       Brände entstünden, weil im Lager gekocht werde, mehr will Theophilous zu
       den Brandursachen nicht sagen.
       
       Hilfsorganisationen auf der Insel glauben, dass manche Brände von
       Rechtsextremisten gelegt wurden. Denn die Stimmung auf Lesbos, dessen
       BewohnerInnen lange Zeit enorme Solidarität mit den Flüchtlingen zeigten,
       war gekippt.
       
       Im Februar hatte der türkische Präsident Erdoğan getönt, die Grenzen seines
       Landes seien nunmehr für [3][Flüchtlinge offen]. Rund 30.000 Menschen zogen
       daraufhin nach Griechenland, ein Teil über Lesbos. Die griechische
       Regierung geriet in Panik. Sie riegelte die Grenze ab, setzte das Asylrecht
       aus. Auf Lesbos herrschte damals Pogromstimmung. Rechtsextremisten aus ganz
       Europa kamen, griffen Flüchtlinge und HelferInnen an.
       
       „Wir mussten Sicherheitsmaßnahmen ergreifen wie normalerweise in
       Kriegsgebieten“, sagt Marco Sandrone. Der junge Italiener leitet die
       Ärzte-ohne-Grenzen-Kinderklinik vor dem Lagereingang. Die Regierung
       kündigte damals an, ein neues geschlossenes Lager im Norden von Lesbos zu
       errichten. Die Proteste dagegen waren so heftig, dass Athen 200 Polizisten
       auf die Insel schickte. Doch auch sie konnten die Lage nicht beruhigen. Die
       Regierung sagte den Bau des neuen Lagers ab, die Polizisten zogen sich
       zurück. „Danach hatte der Staat keine Kontrolle mehr“, sagt Sandrone über
       diese Zeit. Die Wut der Menschen richtete sich nun gegen die
       Hilfsorganisationen. „Wir wurden plötzlich als Grund dafür gesehen, dass
       die Flüchtlinge überhaupt auf die Insel kommen.“
       
       Rechte Gruppen errichteten Straßensperren, griffen die Einrichtungen und
       Häuser der Helfer an. „Es war extrem chaotisch und sehr beängstigend“, sagt
       Sandrone. „Das kann man sich in einem europäischen Land nicht vorstellen.“
       Viele Hilfsgruppen zogen ihre Freiwilligen ab.
       
       Für die Flüchtlinge hieß das, dass die schon vorher völlig unzureichende
       Versorgung noch weiter ausgedünnt wurde. „Im Lager leben viele Kinder mit
       chronischen Krankheiten, sie haben nicht einmal ausreichenden Zugang zu
       sanitären Anlagen“, sagt Sandrone. Es gebe internationale Mindeststandards
       dafür, wie Flüchtlinge in Kriegsgebieten untergebracht und versorgt werden
       müssen. „In Moria werden nicht einmal die eingehalten.“
       
       ## Konfrontation mit der Inselbevölkerung
       
       Die Stimmung blieb explosiv. Am 23. April demonstrierten Flüchtlinge gegen
       die Ausgangssperre. Ein Zimmermann aus dem Dorf Afalonas, nördlich des
       Lagers, schoss mit einem Jagdgewehr auf die Gruppe. Zwei Flüchtlinge
       mussten im Krankenhaus behandelt werden. Als die Polizei den Mann festnahm,
       demonstrierten Anwohner für seine Freilassung, ebenso, als er sich vor
       Gericht verantworten musste.
       
       Am 20. August kam Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou nach Moria.
       Knapp 100 Rechtsradikale nutzten den Besuch für eine Demonstration. Sie
       bewarfen die Polizei mit Steinen, die antwortete mit Tränengas. „Dann haben
       die Demonstranten unsere Klinik angegriffen“, sagt Sandrone. Hunderte
       PatientInnen waren zu dem Zeitpunkt im Innern der Station. „Erst haben sie
       meine KollegInnen beleidigt und mit Steinen beworfen. Dann brannte es, wir
       mussten selber löschen.“ Vier Stunden ging das so, erst am frühen
       Nachmittag zogen sich die Angreifer zurück.
       
       Nicht nur die Rechten setzen Gewalt ein, auch der Staat tut es. Schon lange
       schickt Griechenland Ankommende massenhaft, illegal und oft unter Schlägen
       in die Türkei zurück. Lange geschah dies im Verborgenen. Doch nach Erdoğans
       Offensive im Februar sah die griechische Regierung offenbar keinen Anlass
       mehr, dies zu kaschieren.
       
       Seit März sind offiziell nur noch rund 600 Flüchtlinge auf den griechischen
       Inseln angekommen, derzeit sind es fast gar keine mehr. Die [4][New York
       Times] hat Beobachtungen von Menschenrechtsgruppen, Wissenschaftlern und
       der türkischen Küstenwache ausgewertet. Demnach hat die griechische
       Küstenwache von Mitte März bis Mitte August bei 31 Einsätzen insgesamt
       1.072 Flüchtlinge auf See abgefangen und auf dem offenen Meer ausgesetzt,
       teils auf Rettungsinseln, teils in Booten ohne Motor. Sie setzt darauf,
       dass die Menschen von der Drift zurück in die türkischen Gewässer getrieben
       werden. Videos dieser Aktionen wurden öffentlich, weil die Küstenwächter
       bei der Durchsuchung der Flüchtlinge Handys übersehen hatten.
       
       ## Auf dem Friedhof der Flüchtlinge
       
       Der St.-Pantaleon-Friedhof liegt auf einem Berghang, hoch über dem Hafen
       von Mytilini. Hinter dem Eingang wachsen Pinien, in ihrem Schatten stehen
       prächtige Grabsteine. Witwen trauern still, andere legen Blumen nieder oder
       sitzen in der Nachmittagssonne neben den Gräbern und plauschen, als sei der
       Friedhof ihr Garten.
       
       Ganz hinten, wo der Abfall gesammelt wird, liegen die Toten, die nicht zur
       griechisch-orthodoxen Kirche gehörten. Viele Gräber hier sind mit nacktem
       Beton umfriedet, Grabsteine haben sie nicht, Namen stehen keine darauf.
       Hinter der kleinen Mauer leuchtet das Blau der Ägäis, aus der am Horizont
       die Berge der türkischen Küste ragen. Wer auf diesem Teil des Friedhofs
       liegt, kam von dort: Eine Weile lang ließ die Stadtverwaltung von Mytilini
       hier alle toten Flüchtlinge begraben. Zuerst jene, die in der Ägäis
       ertrunken waren. Später auch die ersten Toten aus Moria. Dann wurde der
       Platz knapp. Und der Gemeindeetat für die Bestattungen Mittelloser war
       ausgeschöpft.
       
       Die muslimischen Toten, die das Gros unter den Flüchtlingen ausmachen,
       kommen seither auf einen Behelfsfriedhof außerhalb der Stadt unter. Um die
       Übrigen kümmert sich Len Meachim. Der 65-jährige Ire gehört zur winzigen
       katholischen Gemeinde von Lesbos. Seit Januar 2019 hat er etwa ein Dutzend
       Begräbnisse für Menschen organisiert, die ihre letzten Tage im Lager Moria
       verbringen mussten: ein Baby, das an Dehydrierung starb; eine Frau aus dem
       Kongo, ein Mann aus Südsudan, die Krankheiten erlagen; Opfer von
       Messerstechereien.
       
       Meachim sucht Verwandte, holt einen Priester auf die Insel, treibt die 500
       Euro auf, die ein Begräbnis kostet. „Viele Familien würden ihre Angehörigen
       gern in der Heimat bestatten“, sagt Meachim, der vor 35 Jahren nach Lesbos
       kam und hier als Lehrer arbeitet. Aber die Überführung eines Leichnams
       kostet bis zu 7.000 Euro. Meist schaffen es die Verwandten nicht einmal,
       zur Beerdigung nach Lesbos zu kommen.
       
       Es ist nicht mehr viel Platz auf diesem Teil des Friedhofs. In Griechenland
       sei es nicht unüblich, dass Tote nach zwei Jahren exhumiert, ihre Überreste
       in einer Urne eine kleinere Grabstätte bekämen, sagt Meachim. „Die Urnen zu
       den Familien nach Afrika zu schicken kostet nicht die Welt.“ Vielleicht
       könne er so etwas Platz auf dem Friedhof schaffen.
       
       ## Der Ausbruch der Pandemie
       
       Am 149. Tag der Ausgangssperre, es ist der 12. August, mitten in der
       Tourismussaison, bricht Covid-19 auf Lesbos aus: 112 Fälle registrierten
       die Behörden bis zum 1. September, auf einer Insel mit nur etwa 100.000
       Menschen. Proportional sind das mehr als fast überall in Griechenland.
       Seither sind acht Menschen auf der Insel an Covid-19 gestorben. Die
       Pathologie des kleinen Inselkrankenhauses wurde in eine Corona-Abteilung
       umgewandelt, die Anfang September rund zwei Dutzend Patienten behandelt,
       drei weitere liegen auf der Intensivstation. Die Kapazität ist
       ausgeschöpft, schwere Fälle werden nach Athen geflogen.
       
       Am 169. Tag der Ausgangssperre meldet sich ein 40-jähriger Somali mit
       Fieber bei den Ärzten in Moria. Er wird positiv auf Corona getestet. Es ist
       [5][der erste Fall im Lager]. Seit Monaten ist klar, dass ein
       Corona-Ausbruch im Camp eine humanitäre Katastrophe auslösen kann. Im Mai
       hatte Ärzte ohne Grenzen deshalb neben dem Lager ein Isolationszentrum für
       Covid-19-Verdachtspatienten eröffnet. Die Behörden duldeten es nicht. Sie
       verhängten Bußgelder, wegen angeblicher Verstöße gegen die
       Stadtplanungsverordnung. Ende Juli schlossen die Ärzte deshalb das Zentrum.
       
       Stattdessen sollen jetzt Gesunde und Kranke gemeinsam isoliert werde: Die
       Regierung lässt den gesamten Lagerkomplex abriegeln. Keiner soll mehr
       hinaus, kaum noch jemand hinein. Die Versorgung ist eingeschränkt. Die
       Transporte von Flüchtlingen auf das Festland sind gestoppt.
       
       „Hier ist keiner mehr sicher“, sagt Mohammad Alizadah am 175. Tag der
       Ausgangssperre am Telefon. „Das Virus kommt ins Camp, es werden bald
       Hunderte Fälle sein. Die Menschen haben Angst, sie spüren, dass sich etwas
       ändert. Alle wissen, dass die Regierung einen Vertrag mit einer Baufirma
       unterzeichnet hat, die alles umzäunen wird.“
       
       Am 177. Tag gibt es das Lager Moria nicht mehr.
       
       9 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Aktivist-ueber-Zustaende-im-Camp-Moria/!5681846/
 (DIR) [2] https://www.handelsblatt.com/politik/international/italien-und-griechenland-eu-rechnungshof-millionenhilfen-fuer-suedeuropa-zeigen-kaum-wirkung/25224796.html?ticket=ST-153888-MoU7phl9lufPeH0q3cb6-ap1
 (DIR) [3] /Gefluechtete-an-EU-Aussengrenze/!5668019/
 (DIR) [4] https://www.nytimes.com/2020/08/14/world/europe/greece-migrants-abandoning-sea.html
 (DIR) [5] /Gefluechtete-auf-Lesbos/!5712046/
       
       ## AUTOREN
       
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