# taz.de -- Fritz-Bauer-Ausstellung in Braunschweig: Ein visionärer Humanist
       
       > Der Jurist Fritz Bauer hat in Braunschweig mit der Aufklärung der
       > NS-Verbrechen begonnen. Nun zeigt das Haus am Löwenwall eine Ausstellung
       > über ihn.
       
 (IMG) Bild: Erste Station als Generalstaatsanwalt: Fritz Bauer im Landgericht Braunschweig im Jahr 1950
       
       Als „deutscher Patriot“, so seine Selbstdarstellung, begann [1][Fritz
       Bauer] seine Nachkriegskarriere 1949 als Landgerichtsdirektor, ab 1950 dann
       als Generalstaatsanwalt in Braunschweig. Seine Wirkmacht in Rechtspflege,
       Gesellschaft und Politik sind bis heute spürbar. Er kämpfte für die
       Wiederherstellung eines rechtsstaatlichen Justiz-Systems in der
       Bundesrepublik Deutschland sowie für die strafrechtliche Verfolgung von
       NS-Verbrechern – Ambitionen, die NS-Kontinuitäten gerade in der Justiz,
       aber auch das Verdrängen der NS-Zeit in weiten Teilen der Gesellschaft
       systemisch erschwerten.
       
       In einer [2][Wanderausstellung] des Frankfurter [3][Fritz Bauer Instituts]
       und des [4][Jüdischen Museums], die derzeit in Braunschweig Station macht,
       lassen sich jetzt die juristische Arbeit und die Rechtsphilosophie Bauers
       (1903–1968) nachvollziehen. Auch seine Persönlichkeit findet umfängliche
       Würdigung in der bereits 2014 konzipierten Schau – bis hin zu dem
       ästhetisch gelebten Bekenntnis zur Moderne: Sein Frankfurter Dienstzimmer
       ließ Bauer mit einer Tapete von Le Corbusier und zeitgenössischer Kunst
       ausstatten.
       
       Der „atheistische Humanist“, so eine weitere Selbstdarstellung, entstammte
       einem liberal jüdisch assimilierten, gutbürgerlich schwäbischen Elternhaus.
       Bauer wurde 1930 Amtsrichter in Stuttgart, der jüngste der Weimarer
       Republik. Politisch prägend verteidigte er ihre demokratischen Prinzipien
       gegen rechte wie kommunistische Kräfte, wurde SPD-Mitglied und mit Kurt
       Schumacher befreundet, der nach 1945 die westdeutsche Sozialdemokratie
       reorganisierte.
       
       Als Jude und Sozialdemokrat wurde Bauer 1933 erstmals interniert, 1936
       gelang ihm die Emigration nach Dänemark, 1943 die Flucht nach Schweden.
       Zuvor war er eine Scheinehe mit einer Dänin eingegangen, vielleicht, um
       seiner Existenz als seit 1938 Staatenloser im deutsch besetzten Dänemark
       eine aufenthaltsrechtliche Basis zu verschaffen, vielleicht auch, um
       Nachstellungen dänischer Behörden wegen homosexueller Kontakte die
       Grundlage zu entziehen.
       
       Die Loyalität jedenfalls bedachte Bauer noch in seinem Testament. Nach 1945
       lebte er wieder in Dänemark, linderte, so eine Anekdote, sein Heimweh mit
       Spätzle und Sauerkraut. Schumacher bewegte ihn 1949 zur Remigration.
       
       Ein entscheidender Prozess in Braunschweig wurde 1952 die Anklage des
       ehemaligen NS-Generalmajors Otto Ernst Remer wegen übler Nachrede und
       Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, konkret der öffentlichen
       Bezichtigung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, sie hätten Hoch- und
       Landesverrat begangen. In seinem Plädoyer zur Rehabilitierung der
       Widerstandskämpfer prägte Bauer den Begriff Unrechtsstaat fürs NS-Regime:
       eine staatsrechtlich usurpierte, nie legalisierte Macht, die jedermann zur
       Notwehr berechtigt.
       
       Ab 1956 Generalstaatsanwalt in Frankfurt, verfügte Bauer über die
       institutionelle Macht für weitreichendes Vorgehen gegen NS-Täter: die
       Auschwitz-Prozesse ab 1963, Ermittlungen gegen hochrangige Juristen der
       „Aktion Gnadentod“, der Ermordung körperlich, geistiger und seelisch
       kranker Menschen, oder ein Verfahren gegen den Staatsrechtler Hans Globke,
       der als Kommentator der Nürnberger Rassengesetze die Grundlage für die
       Enteignung und Deportation jüdischer Bürger geschaffen hatte.
       
       Umso enttäuschender müssen für ihn die milden Urteile oder
       Verfahrenseinstellungen gewesen sein, wie im Fall Globke: Der genoss als
       Chef des Bundeskanzleramts unter Konrad Adenauer höchste politische
       Protektion. Auch der international beachtete [5][Prozess gegen Adolf
       Eichmann], Organisator des als „Endlösung“ bezeichneten Mordes an sechs
       Millionen jüdischen Menschen, fand nicht in Deutschland statt, sondern in
       Israel. Dessen Geheimdienst hatte nach Hinweisen Bauers Eichmann in
       Argentinien aufgegriffen.
       
       Das Wirken Bauers, nach Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, „ein Visionär
       des Rechtsstaates“, zeigte Erfolge, wenngleich erst lang nach seinem Tod.
       Die „magere Zwischenbilanz“ der Verfahren gegen NS-Täter, wie Bauer
       feststellen musste, ließ ihn eine Reform des Verjährungsrechts anmahnen.
       Seit 1979 ist Mord von jeglicher Verjährung ausgenommen. Seit 2011
       betrachten Gerichte auch nicht mehr die individuell nachweisbare Einzeltat,
       sondern allein den Dienst in einem NS-Vernichtungslager als Beihilfe zum
       Massenmord.
       
       Auf diesen Rechtsgrundlagen finden bis heute Verfahren statt, gegen
       mittlerweile [6][hochbetagte ehemalige Wachmänner], Buchhalter oder aktuell
       eine [7][Stenotypistin] – nur mehr symbolische Bekräftigungen des
       Rechtssystems. Zu Bauers weiteren Verdiensten zählen ein auf
       Resozialisierung zielender Strafvollzug in modernen Gefängnisarchitekturen
       ebenso wie die Reform des Sexualstrafrechts – Anliegen, die er auch in
       Schriften, Interviews oder Fernsehauftritten zur gesellschaftlichen und
       politischen Lage der Bundesrepublik thematisierte.
       
       In Braunschweig heißt seit 2012 der Platz bei der Generalstaatsanwaltschaft
       nach Fritz Bauer, an dem Nachkriegsgebäude hatte er bereits um 1956 eine
       künstlerische Installation veranlasst. Zum einen die Metallplastik einer
       modernen Justitia, die mit unverbundenen Augen auch keiner Waage mehr als
       Hilfsmittel bedarf: Recht und Gerichtlichkeit sind als übermenschliche
       Kategorien in ihr selbst verkörpert.
       
       Zum anderen ließ er Artikel 1 des Grundgesetzes am Zugang einmeißeln:
       Mahnung an die Staatsanwaltschaft, dass sie niemals einer Staatsräson
       verpflichtet ist, sondern einzig der Würde des Menschen, die sie zu
       schützen hat.
       
       14 Dec 2021
       
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