# taz.de -- Georgiens Regierungschef in Berlin: Zwischen EU und Moskau
       
       > Kanzler Olaf Scholz hat seinen georgischen Amtskollegen Irakli
       > Garibaschwili getroffen. Auch die Außenpolitik war Thema. Denn Georgien
       > blickt gen Kreml.
       
 (IMG) Bild: Proteste gegen die Aufnahme von Direktflügen zwischen Georgien und Russland am 19. Mai in Tbilissi
       
       BERLIN taz | Neun Monate ist es her, dass Kanzler Olaf Scholz Georgiens
       Premier Irakli Garibaschwili in Berlin empfing. Damals bot Scholz Georgien
       auf seinem Weg in die EU freundlich Amtshilfe an und ermutigte Tbilissi,
       Reformen anzugehen.
       
       Mittlerweile fragt man sich, ob der Südkaukasusrepublik noch zu helfen ist.
       Denn Vertreter*innen der seit 2012 regierenden Partei Georgischer Traum
       (KO) senden Signale, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der EU-Aspirationen
       des Landes aufkommen lassen. An diesem Freitag wurde Garibaschwili erneut
       in Berlin vorstellig. Er erwarte interessante und gehaltvolle
       Unterredungen, hatte Georgiens Premier verlauten lassen. In der Tat:
       Gesprächsstoff gibt es genug.
       
       Anders als der Ukraine und der Republik Moldau wurde Georgien der
       EU-Kandidatenstatus im Juni 2022 verweigert. Tbilissi muss nachsitzen und
       einen Brüsseler 12-Punkte-Plan abarbeiten – Wiedervorlage Ende 2023. Doch
       anstatt sich um Korruptionsbekämpfung, Reformen und andere Aufgaben zu
       kümmern, hat die Regierung offensichtlich andere Prioritäten.
       
       Im März versuchte die Regierung im Parlament ein Gesetz über „ausländische
       Agenten“ nach russischem Vorbild durchzubringen:
       Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Mittel aus dem Ausland
       erhalten, sollten künftig gezwungen sein, ihre Geldgeber offenzulegen. Nach
       tagelangen Massenprotesten wurde das Projekt wieder fallen gelassen.
       
       ## Straftatbestand Vandalismus
       
       Besonders, wenn es um Grundrechte geht, nimmt es die Regierung mit
       demokratischen Werten nicht so genau. Aktuell stehen mehrere Aktivisten
       wegen Vandalismus und Widerstandes gegen die Polizei vor Gericht. Einer
       hatte bei einer Kundgebung Anfang Juni ein leeres Blatt Papier in die Höhe
       gehalten, ein anderer Parolen, die Garibaschwili verunglimpfen. Dieser
       bezeichnete die Aktivisten und ihre Unterstützer als schwache und
       marginalisierte Opposition, die nicht anders könne, als auf persönliche
       Beleidigungen zurückzugreifen.
       
       Ende Mai sorgte zudem eine Äußerung von Garibaschwili auf dem
       Sicherheitsforum GLOBSEC im slowakischen Bratislava für Aufsehen. Russland
       habe den Krieg gegen die Ukraine wegen der Nato-Erweiterung begonnen, sagte
       er. [1][Der Annäherungskurs der Regierung an Russland], das seit dem Krieg
       gegen Georgien um die Region Südossetien im August 2008 20 Prozent des
       georgischen Territoriums besetzt hält, löst bei vielen Georgier*innen
       nachvollziehbare Ängste vor einer feindlichen Übernahme der besonderen Art
       aus.
       
       Seit dem vergangenen Jahr sind, vor allem kriegsbedingt, über 100.000
       Menschen aus der Russischen Föderation nach Georgien gekommen – veritabler
       Sprengstoff für die georgische Gesellschaft. Diese will, wie Umfragen
       zeigen, ihr Land mehrheitlich in der EU und der Nato sehen.
       
       Im Mai [2][hob Moskau die Visapflicht für Georgier*innen sowie das
       Verbot von Direktflügen russischer Fluggesellschaften nach Georgien auf] –
       zur Freude der georgischen Regierung und heimischer Airlines. Mit ihnen
       gelangen russische Staatsbürger*innen als Transitreisende via Tbilissi
       bequem nach Europa, was die EU-Sanktionen gegen Moskau unterläuft.
       
       ## Wertvoller Beitrag
       
       Dazu scheint Georgien auch noch auf anderen Wegen seinen wertvollen Beitrag
       zu leisten. Laut einem Beitrag der US-amerikanischen Tageszeitung Politico
       habe Washington fünf Staaten identifiziert, die Russland hülfen, die
       Sanktionen zu umgehen – einer ist Georgien.
       
       Diesen Verdacht nährt auch ein Blick auf die deutsch-georgischen
       Handelsbeziehungen. 2022 wuchsen deutsche Exporte um 53,6 Prozent, für
       Januar bis März 2023 ist eine Steigerungsrate von 92,1 Prozent im Vergleich
       zum gleichen Zeitraum des Vorjahres zu verzeichnen.
       
       Laut des georgischen Politologen Lela Basadze wolle sich Scholz bei dem
       Treffen Klarheit verschaffen: Will Tbilissi weiter profitable Geschäfte mit
       Russland machen oder in die EU, um dort ein zweites Ungarn zu werden? Um
       das zu erfahren, müsse Scholz mit Bidzina Iwanischwili sprechen, sagte
       Basadze der Deutschen Welle. Der Milliardär, KO-Gründer und
       Ex-Regierungschef zieht noch immer die Strippen in der Politik.
       
       9 Jun 2023
       
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 (DIR) Barbara Oertel
       
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