# taz.de -- Gesundheitsministerium unter Druck: Die Not mit der Pflegereform
       
       > Die Entlastung pflegender Angehöriger wird als völlig unzureichend
       > kritisiert. Preissteigerungen treiben die Kosten der Pflege immens in die
       > Höhe.
       
 (IMG) Bild: Drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt
       
       BERLIN taz | In Sachen Pflegereform steht das Bundesgesundheitsministerium
       gehörig unter Druck: [1][Preissteigerungen treiben die Kosten der
       ambulanten und stationären Pflege in die Höhe,] eine Entlastung pflegender
       Angehöriger war per Koalitionsvertrag eigentlich schon für 2022 vorgesehen,
       der Pflegeversicherung droht ein Milliardendefizit und auch rechtlich ist
       das Ministerium zum Handeln gezwungen. Nun sind die Einzelheiten zur
       geplanten Pflegereform bekannt.
       
       Der Entwurf gelangte am Freitag an die Öffentlichkeit und zwang damit auch
       das Bundesgesundheitsministerium, die Inhalte zu erläutern. Eile ist aber
       ohnehin geboten: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai 2022 geurteilt,
       dass Eltern mit mehreren Kindern bei der Pflegeversicherung entlastet
       werden müssen – und zwar spätestens ab dem 1. Juli 2023.
       
       Tatsächlich sieht der Entwurf zunächst einmal eine Erhöhung der
       Pflegeversicherungsbeiträge vor – Stichwort gestiegene Kosten. Laut einer
       Erhebung des Verbands der Ersatzkrankenkassen (VDEK) sind die Eigenanteile
       für einen Platz in einer Altenpflegeeinrichtung 2022 um durchschnittlich 13
       Prozent gestiegen, in einzelnen Bundesländern sogar um 27 Prozent.
       
       Aktuell beträgt der Pflegeversicherungsbeitrag für Kinderlose 3,4 Prozent
       des Bruttolohns, für Menschen mit Kindern sind es 3,05 Prozent. Der Entwurf
       aus dem Bundesgesundheitsministerium sieht nun eine Anhebung zum 1. Juli
       2023 um 0,35 Prozent sowie für Kinderlose einen zusätzlichen Zuschlag von
       0,25 Prozent vor. Eltern von zwei und mehr Kindern werden zusätzlich
       entlastet. Der Arbeitnehmeranteil an diesem Beitrag wird ebenfalls
       zugunsten von Familien neu festgelegt. Kinderlose zahlen dann deutlich mehr
       Beitrag, Eltern mit bis zu zwei Kindern etwas mehr und Eltern mit drei oder
       mehr Kindern weniger als bisher.
       
       ## Ab Januar 2024 soll Pflegegeld erhöht werden
       
       Die Beitragserhöhung soll 6,6 Milliarden Euro in die Kassen spülen, die
       sowohl die Kostensteigerung in stationären Einrichtungen auffangen als auch
       pflegende Angehörige finanziell entlasten sollen. Tatsächlich werden drei
       Viertel aller Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Bei höchster Pflegestufe
       erhalten pflegende Angehörige dafür aktuell 901 Euro monatlich. Zum 1.
       Januar 2024 soll dieses Pflegegeld zunächst um 5 Prozent erhöht werden.
       
       „Das ist [2][angesichts der momentanen Inflation ein Witz]“, sagt der
       gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Ateş
       Gürpinar. Auch Interessenvertretungen pflegender Angehöriger hatten
       deutlich mehr gefordert. „Wir werden seit Jahren hingehalten und jetzt
       werden die Versprechen wieder nicht gehalten, auch wenn das Papier ein paar
       gute kleine Verbesserungen vorsieht“, sagt etwa Kornelia Schmid vom Verein
       Pflegende Angehörige. Als positiv wertet sie etwa die geplante
       Zusammenlegung der Leistungen für Kurzzeit- und Verhinderungspflege und
       dass Pflegende künftig jedes Jahr 10 Tage Pflegeunterstützungsgeld als
       Lohnersatzleistung beantragen können.
       
       „Ein paar gute Ansätze“ sehen auch Erbringer von Pflegeleistungen wie die
       Caritas. „Aber unter dem Strich gilt: Die dringend notwendigen Änderungen
       im Bereich der Pflege sind auf dieser Grundlage nicht finanzierbar.
       [3][Pflegebedürftige und ihre Angehörigen werden zu spät und zu wenig
       entlastet]“, sagt deren Pflegeexpertin Elisabeth Fix. Auch der Verband der
       Ersatzkassen vermisst einen großen Wurf: Statt nachhaltiger Reformen würden
       „überschaubare Leistungsverbesserungen allein durch Beitragserhöhungen
       finanziert“, so Vorstandsvertreter Jörg Meyers-Middendorf.
       
       28 Feb 2023
       
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 (DIR) Manuela Heim
       
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