# taz.de -- Inklusive Sprache in Medien: Intuition und Abwehr
       
       > Auch gesprochen wird in den Medien immer mehr gegendert. Warum das
       > wichtig ist und wie das Publikum reagiert.
       
 (IMG) Bild: Stern, Doppelpunkt, Unterstrich oder I? Unterschiedliche Präferenzen, ein Ziel: inklusive Sprache
       
       ## „Ich erlebe Abwehr“
       
       „Manchmal, gerade wenn Leute sich das ‚*innen‘ erst angewöhnen, kann es
       etwas unbeholfen wirken. Ich musste auch erst lernen, wie es am besten
       funktioniert. Manche Wörter habe ich anfangs geübt: Wie geht das am besten?
       Wie klingt es runder? Es kommt auch auf die Tagesform an. Wenn es mal mit
       dem ‚*innen‘ nicht funktioniert für mich, nehme ich eine andere Form: Etwa
       „Studierende', die Partizipialkonstruktion. Die Sprache ist gerade im
       Fluss, also kann man sich der Varianten bedienen, die zur Verfügung stehen.
       Man muss das trainieren, klar – damit es ohne Nachdenken kommt, auch live.
       Mittlerweile spreche ich aber ganz normal im Alltag so.
       
       Der Deutschlandfunk ist ein eher konservativer Sender, unsere Hörenden im
       Schnitt eher älter und eher männlich. Ich erlebe da [1][viele
       Abwehrreaktionen, auch unflätige]. Menschen, die sich nicht vorschreiben
       lassen wollen, wie sie zu sprechen haben, wollen es mir vorschreiben. Aber
       es gibt auch sehr viele Rückmeldungen von Menschen, die dankbar sind, weil
       sie sich erstmals wahrgenommen und sichtbar fühlen.
       
       Das gute am Deutschlandfunk ist: Am Mikro bin ich selbst verantwortlich,
       auch wenn ich mich natürlich eng abstimme mit der Redaktion. Wenn ich auf
       Sendung bin, bin ich frei, das gilt auch fürs Gendern. Im Sender werde ich
       dafür auch kritisiert, viele finden es unnatürlich. Aber Kritik in der
       Redaktion ist normal, man ist ja auch in anderen Fragen mal uneins. Mir ist
       vor allem wichtig, dass sich Frauen und Personen, die sich außerhalb des
       Binären verordnen, angesprochen fühlen. Mittlerweile ziehen Kolleg*innen
       nach, was mich freut.
       
       Ich finde es aber auch nicht schlimm, dass andere darauf nicht achten
       mögen. Es gibt ja auch viele Hörerinnen und Hörer, die es doof finden, wie
       ich spreche. Die finden sich dann bei jemand anderem besser wieder.“
       
       *Ann-Kathrin Büüsker moderiert die Morgensendung im Deutschlandfunk.*
       
       ## „Stolpern kann gut sein“
       
       „Klar ist Gendern erst mal eine Umgewöhnung, aber wir haben uns ja auch
       irgendwann dran gewöhnt, nicht mehr in D-Mark zu bezahlen. Am Anfang
       stolpert man öfter, irgendwann fällt es gar nicht mehr auf. Ich bin noch in
       der Transitionsphase, am Ausprobieren, manchmal vergesse ich es auch
       einfach. Beim ZDF steht es mir frei, ob ich den Genderstern mitspreche. In
       der ‚aspekte‘-Redaktion sind manche Kolleg*innen dafür, manche dagegen.
       
       Die Grundprämisse aber, dass Gleichberechtigung wünschenswert ist, teilen
       wir alle. Ich kann nachvollziehen, dass es schwerfällt, die ‚richtige
       Lösung‘ zu finden, jede hat Vor- und Nachteile. Aus meiner Sicht ist das
       Sternchen, gesprochen als kleine Pause, die plausibelste, auch wenn man
       drüber stolpert. Beziehungsweise kann gerade das Stolpern etwas Gutes sein,
       denn so kommt man ins Nachdenken.
       
       Klar ist für mich persönlich: Nicht Gendern ist in jedem Fall die
       schlechteste Lösung. Die Reaktionen, die ich in den sozialen Netzwerken und
       per Mail bekomme, sind sehr unterschiedlich: Die einen packen die Bazooka
       aus und reden von ‚Genderwahn‘ und Diktatur. Eine zweite Gruppe, mindestens
       genauso groß, wundert sich – und stellt Fragen. Mit denen komme ich ins
       Gespräch. Das sind Menschen wie ich, die sich unsicher sind, was denn nun
       der richtige Weg ist. Die dritte Gruppe sendet Lob und freut sich, dass
       Menschen in der Öffentlichkeit das Thema nicht ignorieren.
       
       In der Diskussion wird oft am Kern vorbeigeredet. Denn wenn man überzeugt
       ist, dass Diversität fruchtbar für die Gesellschaft ist, dann helfen keine
       Klagelieder über immer noch fehlende Gleichberechtigung. Dann muss man auch
       etwas anbieten. Und wenn man davon ausgeht, dass Sprache Denken formt, dann
       ist Gendern eine Sache, die langfristig vielleicht auch Strukturen
       verändern kann.“
       
       *Jo Schück moderiert zusammen mit Katty Salié das ZDF-Kulturmagazin
       „aspekte“.*
       
       ## „Wie Sprache Realität formt“
       
       „Sprache konstruiert Realität. Das heißt: Sprache lässt Bilder in unseren
       Köpfen entstehen. Wenn Sprache nicht alle mitdenkt, dann reproduzieren wir
       bestehende Ungleichheiten und Machtverhältnisse. Das will ich nicht. Weil
       ich dieses Wissen habe und diese Diskurse kenne, sehe ich es als meine
       Verantwortung, inklusive Sprache zu verwenden. Warum gendern manche
       Menschen, die dementsprechend gebildet sind, nicht?
       
       Beim gesprochenen Gendern lasse ich eine kurze Pause. Wie beim
       ausgeschriebenen Sternchen geht es darum, auf die Konstruktion von
       Geschlecht aufmerksam zu machen. Wenn wir beispielsweise von Schüler*innen
       sprechen, meinen wir alle, auch nicht-binäre Menschen. Manchmal rutscht mir
       dabei auch versehentlich die feminine Form raus. Mir passieren immer wieder
       solche Fehler, und ich bin dankbar, wenn ich darauf hingewiesen werde. Das
       alles ist ja ein Lernprozess!
       
       Das Wissen über geschlechtersensible Sprache habe ich erst durch mein
       Studium erhalten. Damals fand ich diesen Gedanken super – ich glaube, weil
       ich als Schwarze Frau ja auf eine besondere Art erlebe, wie Sprache die
       Realität formt, hat die Funktion von geschlechtersensibler Sprache für mich
       schnell Sinn ergeben. Bis ich selbst gegendert gesprochen habe, vergingen
       aber noch ein, zwei Jahre.
       
       Es hat Menschen gebraucht, die mir das vorgelebt und es zur Normalität
       gemacht haben – genau das wollen wir bei ‚Erklär mir mal‘ erreichen,
       besonders mit der Reichweite, die wir jetzt haben. Mir ist es dabei
       wichtig, ganz grundsätzlich nichtdiskriminierende Sprache zu verwenden. Das
       heißt: gegenderte Sprache, ja, aber immer auch antirassistische, generell
       antidiskriminierende Sprache. Wenn wir wissen, dass Sprache Ungleichheiten
       reproduziert: Warum nicht gleich [2][so sprechen, dass alle mitgedacht
       werden]?“
       
       *Victoria Jeffries ist Produzentin beim [3][Instagram-Kanal „Erklär mir
       mal“].*
       
       ## „Das geht ganz intuitiv“
       
       „Wir haben bei der ‚Lage der Nation‘ einen vergleichsweise hohen
       Frauenanteil unter den Hörer*innen. 40 Prozent laut unseren Umfragen.
       Schöner wäre zwar 50/50, aber wir vermuten, dass das für Podcasts, die sich
       nicht explizit an Frauen richten, ein ganz guter Wert ist. Umso wichtiger
       ist uns, dass wir die Hörerinnen auch adressieren, dass sie sich sprachlich
       bei uns wohlfühlen. Wir haben immer schon weibliche und männliche Formen
       nebeneinander gesprochen, also ‚Hörerinnen und Hörer‘, oder gemischt:
       ‚Beamtinnen und Polizisten‘.
       
       Dass wir das Gendersternchen hörbar mitsprechen als kleinen Stopp, das ist
       neu. Die Reaktionen sind überwiegend positiv, aber wir werden auch immer
       wieder kritisiert. Vor allem aus zwei Perspektiven: von Sprachpuristen, die
       uns vorhalten, wir würden die Sprache verhunzen, und dann sind da die
       Gleichberechtigungsskeptiker, die darauf bestehen, dass alle in der
       männlichen Form mitgemeint seien.
       
       In der Tat finde ich das gesprochene Sternchen akustisch
       gewöhnungsbedürftig, ich verspüre da ein ästhetisches Unwohlsein. Deswegen
       mischen wir weiterhin die Varianten des Genderns. Mal mit gesprochenem
       Stern, mal nebeneinander, mal gemischt. Damit es nicht eintönig oder
       zwanghaft wird. Was mir hingegen nicht schwerfällt ist, daran zu denken.
       Das geht inzwischen ganz intuitiv.
       
       Gendern sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Wir sollten alle Menschen
       sprachlich benennen, die gemeint sind. Es kann nicht sein, dass man nur von
       Männern spricht, wenn alle gemeint sind. Sprache prägt das Bewusstsein. Wir
       wollen einen Beitrag dazu leisten, alle Menschen hörbar zu machen,
       wahrnehmbar. Das schließt auch nicht-binäre Menschen mit ein. Die zu
       erheben haben wir in unserer Umfrage damals übrigens versäumt, das machen
       wir beim nächsten Mal besser.“
       
       *Ulf Buermeyer moderiert zusammen mit Philip Banse den Politikpodcast
       „Lage der Nation“.*
       
       7 Jun 2020
       
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