# taz.de -- Japan-Comics aus Europa: Sehnsuchtsland Japan
       
       > Eine moderne Graphic Novel legt die Traditionen des modernen Japan offen.
       > Ein weiterer Comic erzählt vom japanischen „Monsterfilm“.
       
 (IMG) Bild: Seite aus Igort: „Berichte aus Japan. Ein Zeichner auf Wanderschaft“
       
       Östliche und westliche Kultur pflegen seit Langem ein reges
       Austauschverhältnis. So wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts die zunächst
       als fremdartig empfundenen japanischen Farbholzschnitte schnell zu
       begehrten Sammelobjekten. Ihre Stilelemente wurden von französischen
       Impressionisten und Künstlern wie Vincent Van Gogh aufgegriffen. Und auch
       im Jugendstil und Expressionismus sind die Einflüsse der „ukiyo-e“ –
       „Bilder der fließenden Welt“, lebensbejahender Gemälde und Grafiken der
       Edo-Ära deutlich.
       
       Doch auch in umgekehrter Richtung funktionierte der Kulturaustausch: Anfang
       des 20. Jahrhunderts übernahmen japanische Zeichner die Erzähltechniken
       westlicher Karikaturen und Comicstrips. Zeichentrickfilme von Walt Disney
       wie „Bambi“ inspirierten in den 1940er Jahren Osamu Tezuka zu grafischen
       Lösungen, die den Grundstein für moderne Mangas und eine ganze
       Zeichenindustrie legten.
       
       Nach dem weltweiten Boom der Mangas in den 1990er Jahren sind auch in
       zahlreichen europäischen Comics deutliche Manga-Einflüsse auszumachen.
       
       Die meisten Comics des 1958 geborenen italienischen Zeichners Igort (Igor
       Tuveri, u. a. „5 ist die perfekte Zahl“) verraten auf den ersten Blick kaum
       japanische Einflüsse. Zu individuell und zu avantgardistisch wirkt sein
       Stil im Vergleich mit den oft von Stereotypen geprägten Mangas. Jedoch hat
       Igort einen sehr intimen Zugang zur japanischen Kultur bekommen, als es ihm
       in den 1990er Jahren als erstem europäischem Zeichner gelang, einige Jahre
       für einen Manga-Verlag zu arbeiten. Im 2016 erschienenen ersten Band seiner
       „Berichte aus Japan“ hat Igort seine Erfahrungen auf diesem Gebiet mit
       einer kenntnisreichen Geschichte früher Mangas und Anime-Filme verbunden.
       
       Nun ist ein zweiter Band erschienen, in dem Igort beschreibt, wie er das
       Land seiner Sehnsucht 2015 erneut besucht, um sich auf eine innere Reise zu
       begeben und auf Spaziergängen treiben zu lassen. Dabei sucht er entlegene,
       kontemplative Orte, die seinem eigenen Wesen mehr entsprechen als das
       lärmige, gesichtslose Tokio. Sein Buch ähnelt nun einer spirituellen
       Wanderung, in denen Igort seine Gedanken mit den Leser*innen teilt und
       dabei klassische japanische Dichter wie Basho zitiert, deren Schriften,
       Haiku-Verse sowie der Buddhismus die traditionelle Kultur Japans sehr
       geprägt haben.
       
       Zeichnerisch wird das Buch zu einer Hommage, wenn nicht Liebeserklärung an
       „ukiyo-e“ und den japanischen Farbholzschnitt. Ungemein sensibel adaptiert
       Igort mittels Tusche und Aquarellfarben die von kräftigen Umrisslinien wie
       expressiver Farbgestaltung geprägten Techniken und baut so einen
       meditativen Bilderfluss auf, der immer wieder von Textpassagen unterbrochen
       wird, die wie Notate in Schreibheften aussehen. Dabei kehrt der sich gerne
       in Japans kulturelle Vergangenheit verlierende Erzähler immer wieder in die
       Gegenwart zurück. Er beschreibt etwa den zunehmenden Leistungsdruck, der im
       modernen Japan ganze Generationen junger Leute in die Isolation führte.
       
       ## „Das Ritual“
       
       Auch der Österreicher Nicolas Mahler, Jahrgang 1969, kam auf einer Reise
       mit der japanischen Kultur in Kontakt. Für seine schmale Graphic Novel
       „Das Ritual“ hat sich der seit Langem für seine staubtrockenen Cartoons
       („Frau Goldgruber“) sowie pointiert-ironischen Comic-Konzentrate
       literarischer Klassiker (u. a. Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“)
       bekannte Zeichner dem „Kaiju Eiga“, dem japanischen Monsterfilm zugewandt.
       Das 1954 mit dem Film „Godzilla“ begründete Genre ist für einen
       Cartoonisten ein gefundenes Fressen. Für heutige Sehgewohnheiten erscheinen
       die mit vergleichsweise einfachen Mitteln hergestellten Filme eher kurios,
       wenn nicht trashig.
       
       Der japanische Special-Effect-Pionier Eiji Tsuburaya (1901–1970) steht im
       Mittelpunkt von Mahlers halbdokumentarisch erzählter Hommage. Mahler
       charakterisiert Tsuburaya, der im Toho-Studio in Tokio die
       Spezialeffekt-Abteilung leitete und unzählige Tricksequenzen inszenierte,
       als eine von Darstellern in Gummikostümen und präzisen Städtemodellen
       besessene, anrührende Figur einer vergangenen Epoche.
       
       ## Kräftige Tuschestriche, knallige Farben
       
       Mahler verzichtet dabei auf eine klassische Story. Mit reduzierten,
       kräftigen Tuschestrichen, knalligen Farben wirft er einem satirisch
       zugespitzten Blick hinter die Kulissen der Monsterfilmproduktion. Grafisch
       minimalistisch kombiniert er seine verfremdeten Auszüge aus Monsterfilmen –
       in denen meist Außerirdische gegen die Erde kämpfen oder Monster Großstädte
       plattmachen – mit kontemplativ wirkenden Zitaten Tsuburayas.
       
       Im Gegensatz zu Igorts metaphysischem Tauchgang in die alte Kultur Japans,
       legt Mahler die Zerstörungsfantasien der Monsterfilme und deren charmante
       Naivität und pure Sinnlosigkeit bloß. Dabei übersieht er jedoch, dass
       Monster seit jeher in vielfältiger Weise japanische Mythologie wie Kunst
       durchdrangen. Die „Kaiju Eiga“ lassen sich als allegorische Reaktion auf
       die traumatischen Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki deuten. „Das
       Ritual“ ist dennoch amüsant und regt dazu an, sich die alten trashigen
       Filme wieder anzusehen.
       
       4 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralph Trommer
       
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