# taz.de -- Kriegsvideos und Ego-Shooter: Kein Computerspiel, sondern real
       
       > Viele Menschen verdrängen bei beim Betrachten von Kriegsvideos, dass sie
       > hier die Realität sehen. Auch, wenn diese daherkommt wie ein Ballerspiel.
       
 (IMG) Bild: Grausame Realität: Abschuss einer russischen Rakete
       
       Anfang Januar tauchte in der Russischen Föderation in patriotischen
       Telegram-Gruppen ein Kampfvideo auf, das mit der Helmkamera eines Soldaten
       gefilmt worden war. Der Soldat rennt im Wald auf zwei bewaffnete
       ukrainische Soldaten in einem Schützengraben zu.
       
       Er fordert sie lautstark auf, sich zu ergeben, und versucht einem von ihnen
       das Maschinengewehr aus der Hand zu reißen. Der, ganz offensichtlich unter
       Schock, gibt es nicht her. Da erschießt der Soldat beide. In den
       Kommentaren gab es überwiegend Zustimmung: „Für den Sieg!“ oder „Ihr seid
       super, Gott beschütze euch“.
       
       Zuerst konnte ich diese Reaktion auf den Tod eines Menschen gar nicht
       begreifen. Bis ich feststellte, dass die allermeisten Kommentatoren das,
       was sie da sahen, eher wie eine Art Computerspiel wahrnahmen.
       
       Und tatsächlich erinnert das Video auch mehr an einen Angriff aus der
       Ich-Perspektive, wie in dem amerikanischen Ego-Shooter-Spiel [1][„Call of
       Duty“], wo der Gegner nur noch als virtueller Bot gesehen wird. Der
       Zuschauer riecht nicht das Schießpulver, sein Adrenalinspiegel ist im
       Normbereich und er ist nicht in Gefahr. Der Krieg in der Ukraine ist für
       ihn nichts als eine Projektion auf seinem Smartphone-Display, die ähnliche
       Emotionen auslöst wie ein Fußballmatch, wo es „unsere“ und die
       Gegenmannschaft gibt und „unsere“ gewinnen müssen.
       
       ## Krieg ist kein Spiel
       
       Der Krieg ist für sie nicht real. Sie wissen nicht, wie eine verbrannte
       Leiche riecht, haben noch nie einen zerfetzen Körper gesehen. Im russischen
       Fernsehen erzählt man ihnen vom baldigen Sieg, von Hochpräzisionswaffen,
       die wissen, wie man Zivilisten erkennen kann.
       
       Und die Leute glauben das. Genauso, wie sie an die [2][„Entnazifizierung
       der Ukraine“] und die „Verteidigung des Donbass“ glauben. Für sie sind
       sogar öffentliche Repressalien gegen „Verräter“ in Form von Hammerschlägen
       auf den Kopf normal.
       
       Hoffnung machen einem nur die, die verstehen, was passiert, und versuchen,
       der lauten Mehrheit begreiflich zu machen, dass Krieg kein Spiel ist und
       dass dabei Menschen sterben – auf beiden Seiten übrigens
       
       Vor vielen Jahren habe ich so etwas einmal gesehen. Ich habe Leichen
       gesehen, viele Leichen. Ich habe Mütter gesehen, die zwischen schwarzen
       Plastiktüten nach ihren Kindern suchten und versuchten, sie anhand ihrer
       Zahnfüllungen zu identifizieren. Ich habe Särge auf den Straßen gesehen und
       Väter, die weinend über den Leichen ihrer Söhne zusammenbrachen. Das war in
       der nordossetischen Stadt Beslan nach dem [3][Terrorangriff im Jahr 2004],
       als Terroristen eine Schule in ihre Gewalt brachten und 333 Menschen dabei
       starben, darunter 186 Kinder.
       
       ## Game over, aber in echt
       
       Jetzt passiert so etwas in der Ukraine. Aber es gibt hier kein „Respawn“,
       keine Wiederbelebung wie in einem Computerspiel. Niemand steht wieder auf
       und gewinnt doch noch. Oder läuft wieder los. Kein Soldat zu einem neuen
       Angriff, keine Tochter zu ihrer Mutter, kein Sohn zu seinem Vater.
       
       Weil sie bereits tot sind.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung].
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [6][edition.fotoTAPETA]
       im September herausgebracht.
       
       17 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Call_of_Duty
 (DIR) [2] /Russische-Propaganda-gegen-Ukraine/!5847102
 (DIR) [3] /Todesopfer-nach-Geiselnahme-2004/!5401099
 (DIR) [4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
 (DIR) [5] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248
 (DIR) [6] https://www.edition-fototapeta.eu/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Boris Epchiev
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Terroristen
 (DIR) Games
 (DIR) Kaukasus
 (DIR) Kolumne Krieg und Frieden
 (DIR) Videospiele
 (DIR) Games
 (DIR) Call of Duty
 (DIR) Kolumne Krieg und Frieden
 (DIR) Kolumne Krieg und Frieden
 (DIR) Games
 (DIR) Kolumne Krieg und Frieden
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Osteuropa – ein Gedankenaustausch
 (DIR) Kolumne Krieg und Frieden
 (DIR) Kolumne Red Flag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Videospiel Final Fantasy VII Rebirth: Fantastische Wiedergeburt
       
       „Final Fantasy VII Rebirth“ ist die Neuauflage eines Videospiel-Klassikers.
       Die Geschichte um den Soldaten Cloud hat nichts an Faszination verloren.
       
 (DIR) Neues „Call of Duty“: Spiel mit den Feindbildern
       
       „Modern Warfare III“ heißt der neue Ego-Shooter aus der Reihe „Call of
       Duty“. Das Videospiel enttäuscht mit technischen Problemen und Klischees.
       
 (DIR) Wagner-Söldner im Nordkaukasus: Kein Recht auf Vergnügen
       
       Ein Kriegsveteran wollte Jugendlichen verbieten zu singen. Auch andere
       ehemalige Kämpfer sind unangenehm in Russland aufgefallen.
       
 (DIR) Pressefreiheit in Russland: 15 Jahre Haft für Armeekritik
       
       In Russland schweigt man zum Krieg, auch wenn die Menschen ihn ablehnen.
       Für Kritik gibt es hohe Haftstrafen.
       
 (DIR) Neues Game „Star Wars Jedi – Survivor“: Die Macht ist mit diesem Spiel
       
       Im Videospiel „Star Wars Jedi: Survivor“ wird wieder das Lichtschwert
       geschwungen. Das macht zwar Spaß, lässt aber eine eigene Handschrift
       vermissen.
       
 (DIR) Ermordete Zivilisten in der Ukraine: Die Wucht leerer Gräber in Isjum
       
       Vor einem halben Jahr wurden in einem Wald in der Ostukraine die Morde an
       Einwohner*innen aufgedeckt. Der Schock über die Grausamkeiten hält an.
       
 (DIR) Russische Gesellschaft im Krieg: Ein Jahr Angst vor der Zukunft
       
       Was hat der Angriff gegen die Ukraine mit der russischen Gesellschaft
       gemacht? Wie prägen Kriegsnarrative den Alltag? Einige persönliche
       Gedanken.
       
 (DIR) Aktuelle Lage in der Ukraine: Ukrainischer Innenminister tot
       
       Bei Kyjiw stürzt am Mittwoch ein Hubschrauber in einen Kindergarten. Es
       sterben 14 Menschen, darunter ein Kind. 30 weitere sind verletzt.
       
 (DIR) Raketenangriff in Dnipro: Rettungskräfte beenden Suche
       
       Nach dem tödlichen Angriff in der Ukraine werden weitere Menschen vermisst.
       Wegen umstrittener Äußerungen tritt Selenskis Berater zurück.
       
 (DIR) Mobilmachung in Russland: Wenn der Krieg sprachlos macht
       
       Mit der Teilmobilmachung erreicht Putins Feldzug gegen die Ukraine jede
       russische Familie. Journalisten merken, dass sie anders schreiben müssen.
       
 (DIR) Teilmobilmachung in Russland: Patrioten werden zu Pazifisten
       
       Putin hat eine Teilmobilmachung für 300.000 Reservisten angeordnet.
       Plötzlich positionieren sich die Menschen in Russland zum Krieg.
       
 (DIR) Mitgefühl auf Social Media: Das Leiden anderer betrachten
       
       Wenn Leid im politischen Kontext steht, ist mehr als Empathie gefragt. Sie
       muss in Taten übersetzt werden.