# taz.de -- Mahnmal für die Opfer von Hanau: Nicht im Herzen der Stadt
       
       > Viele Hanauer wollen ein Mahnmal für die Opfer des rassistischen
       > Anschlags – aber nicht im Stadtkern. Den Toten wird dort kein Platz
       > gestattet.
       
 (IMG) Bild: Februar 2020: Am Brüder-Grimm-Denkmal in Hanau werden nach dem Anschlag Blumen und Kerzen abgelegt
       
       Deutschland hat eine Fläche von etwa 357.600 Quadratkilometern. Das klingt
       nach viel Platz und man sollte meinen, dass deswegen viel hineinpasst in
       diese Fläche: Felder, Autobahnen, Städte, Dörfer, Naturschutzgebiete,
       Forst, Seen, Kraftwerke, Rosengärten, Fahrradstreifen, Designer-Outlets,
       Bahnstrecken, Verkehrsinseln, Fußgängerzonen, Kleingärten, Museen, Parks,
       und so weiter.
       
       Die Stadt Hanau hat eine Fläche von 76,49 Quadratkilometern. In ihrer Mitte
       liegt der historische Marktplatz, dort steht ein Denkmal, im Herzen der
       Stadt. Es erinnert an die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, die 1785 und 1786
       dort geboren wurden. Kinder der Stadt also, auf die man hier stolz ist, um
       die sich mittwochs und samstags die Marktstände gruppieren. Etwa 100 Stände
       finden Platz: Eier, Blumen, Käse, Backwaren, Gemüse, und so weiter.
       
       In Hanau sollte Platz für ein weiteres Denkmal gemacht werden, es gab eine
       Ausschreibung, einen Wettbewerb, einen Beirat, Absprachen zwischen den
       Hinterbliebenen und Oberbürgermeister Claus Kaminsky, 19 Monate lang,
       [1][das berichtet die Zeit]. Alle wollten ein Mahnmal, das an die Opfer des
       [2][rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020] erinnert: Gökhan
       Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza
       Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov.
       
       Alle waren sich einig, und doch gibt es nun nichts. Die Hinterbliebenen der
       Opfer wollen das Mahnmal nur dort, auf dem Marktplatz, doch die
       Stadtverordnetenversammlung ist dagegen. Eine Mehrheit der Hanauer wolle
       ein Denkmal, aber nicht an dieser Stelle. Nicht in der Mitte, im Herzen der
       Stadt.
       
       Rechtlich sticht das Parlament den Wunsch Angehörigen aus. Und Parlament,
       Mehrheit, das ist demokratisch. Aber anstatt die Demokratie zu stärken,
       wird eine solche Entscheidung genau das Gegenteil tun. Sie zieht sich wie
       eine Wand vor die Hinterbliebenen und sie zersetzt uns, die Möglichkeit
       eines Wir, langsam, langfristig. Weil die Wenigen auf diese Weise immer die
       Wenigen bleiben werden, die demokratischen Verlierer*innen. Weil sie nicht
       gewinnen, trotz Anstrengung und Gestaltungswillen. Egal, wie oft von
       Zäsuren und vom Ende des Weiter-So gesprochen wird, egal, wie oft es heißt,
       ein solcher Anschlag sei auch ein Angriff auf die Demokratie.
       
       Die Mehrheit will das nicht. Der Satz ist kurz, aber er lässt sich
       aufziehen: Die Mehrheit will erinnern, aber…? Erinnern will man nur Gutes,
       nur, womit man sich schmücken kann? Das Herz der Stadt ist schon voll,
       sorry, da kommst du nicht rein? Ausländer bleiben Ausländer, auch wenn wir
       sie nun anders nennen? Sie dürfen mehr als sie mal durften, aber sie dürfen
       weiterhin nicht zu viel? Wir verlieren fortlaufend unsere Fragezeichen,
       also Möglichkeiten. Was zu viel ist, entscheiden andere. Wer sich zu
       Lebzeiten klein machen muss, dem wird auch im Tod nicht mehr Platz
       gestattet. Rand bleibt Rand. Nebenrolle bleibt Nebenrolle. Dabei könnten
       wir so viel mehr sein.
       
       Deutschland hat eine Fläche von etwa 357.600 Quadratkilometern. Das klingt
       nach viel Platz und man sollte meinen, dass deswegen viel hineinpasst. Auch
       in die Mitte, auch nebeneinander. Man sollte meinen, aber je nach
       Perspektive stellt sich das m auf den Kopf und läuft über.
       
       24 May 2022
       
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