# taz.de -- Messerattacke in Dresden: Vertrauen einmal mehr erschüttert
       
       > Nach der tödlichen Messerattacke auf ein schwules Paar kritisieren
       > LSBTI-Verbände die Behörden. Sie schweigen zum Tatmotiv Homophobie.
       
 (IMG) Bild: Blumen und Kerzen am Tatort des Messerangriffs unweit des Dresdner Residenzschlosses
       
       BERLIN taz | Eine Woche ist es her, dass Abdullah Al H. H. verhaftet wurde.
       Zweieinhalb Wochen zuvor, am 4. Oktober, soll er [1][in Dresden den
       55-jährigen Thomas L. erstochen und dessen Partner schwer verletzt haben] –
       aus islamistischen und wohl auch homophoben Motiven. Zu letzterem Tatmotiv
       schweigen die Behörden jedoch bis heute beharrlich. Nun regt sich daran
       deutliche Kritik.
       
       „Die islamistische Attacke auf ein schwules Paar ist entsetzlich“, sagte
       Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland
       (LSVD), der taz. „Statt öffentlicher Empathie und Solidarität wurde jedoch
       der Hass auf Schwule als mögliches Tatmotiv von Polizei, Staatsanwaltschaft
       und Ministerien verschwiegen.
       
       Dieses Schweigen bagatellisiert Gewalt gegen LSBTI, macht sie unsichtbar
       und wiederholt so ein zentrales Muster von Homophobie und
       Transfeindlichkeit.“ Ulrich warf den Behörden „Ignoranz“ vor. Eine, die
       „einmal mehr das Vertrauen von LSBTI in Justiz und Sicherheitsbehörden
       erschüttert“.
       
       Tatsächlich schwieg die Bundesanwaltschaft, welche die Ermittlungen zu dem
       Mord inzwischen übernommen hat, auch am Mittwochnachmittag auf taz-Anfrage
       zu der Frage nach einem homophoben Tatmotiv. Ein Sprecher sagte nur,
       ermittelt werde wegen eines radikal-islamistischen Tathintergrunds.
       
       ## „Dringender Klärungsbedarf“
       
       Auch das sächsische Innenministerium spricht nur von einer
       islamistisch-extremistischen Tat. Eine Sprecherin ergänzte aber, dass dies
       ein homophobes Motiv nicht ausschließe. Auf einer Pressekonferenz erklärte
       vergangene Woche der Dresdner Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt, man äußere
       sich nicht „zur sexuellen Orientierung von Tatopfern“.
       
       Medien zitieren dagegen Ermittlerkreise, die auch von einem homophoben
       Tatmotiv sprechen. Der Tatverdächtige, ein vorbestrafter und als
       islamistischer Gefährder eingestufter 20-jähriger Syrer, könnte die Opfer
       als Paar erkannt haben. Die beiden Männer sollen sich vor der Tat umarmt
       haben. Auch in einer aktuellen Traueranzeige bezeichnet der schwer
       verletzte 53-jährige Kölner das Todesopfer als „geliebten Lebenspartner“.
       Er befinde sich „in tiefer Liebe und Trauer“.
       
       Die Hirschfeld-Stiftung, die zur Diskriminierung von LSBTIQ-Personen
       forscht, forderte ebenso, dass die Ermittlungen zu „einer auch mutmaßlich
       homosexuellenfeindlichen Tat vorankommen müssen“. Hier bestehe „dringender
       Klärungsbedarf“. Die Frauenrechtlerin Seyran Ates twitterte: „Trauer und
       Wut. Sprachlosigkeit über das Schweigen und Vorgehen der Behörden, Politik,
       Medien und Zivilgesellschaft. Warum? Weil das Opfer schwul war?“
       
       Auch mehrere FDP-Politiker äußerten sich kritisch. Frank Müller-Rosentritt,
       sächsischer Parteichef und Bundestagsabgeordneter, erklärte: „Ein Mensch
       wurde getötet, weil er in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebte.
       Vor diesem Hintergrund wäre eine klare Verurteilung dieser extremistischen
       Straftat, auch seitens der Bundesregierung, dringend geboten. Doch in den
       meisten politischen Lagern bleibt es auffallend still.“ Auch der Münchner
       FDP-Abgeordnete Thomas Sattelberger twitterte: „In Frankreich ist ein
       Präsident am Sarg des Lehrers, der Meinungsfreiheit lehrte, in Deutschland
       hat eine Bundeskanzlerin noch kein Wort gesagt.“
       
       Ein Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel hat die Tat inzwischen als
       „grauenvolles Verbrechen“ verurteilt und einen Kampf gegen „islamistischen
       Terror mit ganzer Kraft auf allen staatlichen Ebenen“ versprochen. Über das
       mögliche homophobe Tatmotiv sprach aber auch er nicht.
       
       ## Mahnwache von LSBTIQ-Aktivist:innen
       
       Die sächsischen Sicherheitsbehörden stehen auch in der Kritik, weil sie die
       Tat nicht verhinderten, obwohl Abdullah Al H. H. als Gefährder eingestuft
       war und auch nach seiner erst Ende September verbüßten Haftstrafe als
       gefährlich galt. Der sächsische Verfassungsschutz hatte zunächst beteuert,
       den 20-Jährigen noch [2][am Tattag observiert zu haben]. Dann musste er
       aber einräumen, dass dies nur sporadisch und nicht zur Tatzeit geschehen
       war. Die Ermittler hatten den Syrer aufgrund von DNA-Spuren festgenommen.
       
       Am Sonntagnachmittag wollen LSBTIQ-Aktivist:innen in Dresden nun mit einer
       Mahnwache der Tat gedenken. Das „sinnlose Attentat“ erfülle sie mit „großer
       Trauer und Bestürzung“, heißt es in einem Aufruf. Eine solche Tat könne
       jeden treffen, dürfe aber nicht davon abhalten, „weiterhin mit allem
       Selbstbewusstsein, das wir haben, für Vielfalt und Freiheit zu kämpfen“.
       
       Die sächsische Landesregierung machte dagegen bisher nicht publik, wie sie
       mit der Tat weiter umgehen will und ob sie ein Gedenken plant. In Dresden
       reagiert nun zumindest der Integrations- und Ausländerbeirat: Er will am
       Donnerstagabend dem Attentat gedenken und einen Kranz am Tatort
       niederlegen. Auch der Beiratsvorsitzende Viktor Vince sprach von „tiefster
       Betroffenheit“ über das islamistische Attentat.
       
       „Der Täter tötete wohl aus Hass auf Homosexuelle. Damit hat der Terror
       unsere Landeshauptstadt erreicht.“ Vince verband dies mit „einer klaren
       Kampfansage gegenüber jeglichem Extremismus“. Auch Markus Ulrich vom LSVD
       sagte: „Der Hass auf LSBTI ist immanenter Bestandteil islamistischer
       Ideologie, den die Extremismusprävention und -bekämpfung in schockierender
       Weise immer wieder unter den Tisch fallen lassen. Das muss ein Ende haben.“
       
       Das Mordopfer Thomas L. soll in einer Woche, am 6. November, in seiner
       Heimat bei Krefeld beigesetzt werden.
       
       29 Oct 2020
       
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 (DIR) Konrad Litschko
       
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