# taz.de -- Nach Anschlag in Hanau: Familien gegen das Land Hessen
       
       > Angehörige der Opfer des Hanau-Anschlags sehen Versäumnisse bei der
       > Polizei. Jetzt stellen sie eine Dienstaufsichtsbeschwerde.
       
 (IMG) Bild: Neun Menschen, erschossen aus rassistischem Hass: ein Gedenken auf dem Hanauer Marktplatz
       
       HANAU taz | Bis heute treibt die Betroffenen des Hanau-Anschlags das
       Handeln der Polizei und Behörden rund um die Tat um. Immer wieder stellten
       sie [1][kritische Fragen], sprachen von Versäumnissen. Nun gehen die
       Familien einen nächsten Schritt: Sie reichen Dienstaufsichtsbeschwerde
       gegen das Land Hessen ein.
       
       Gestellt wird diese von dem Staatsrechtler Günter Frankenberg und dem
       früheren hessischen Justizminister Rupert von Plottnitz. Die Anwälte werfen
       den hessischen Behörden gleich mehrere schwere Fehler vor, für die das Land
       Hessen die Verantwortung trage – und für welche die Familien entschädigt
       gehörten.
       
       Konkret benennen sie den [2][unterbesetzten Notruf] der Hanauer Polizei in
       der Tatnacht. Laut Innenministerium waren damals nur zwei Leitungen
       besetzt, die nach den Schüssen sofort belegt waren. Eine Rufumleitung an
       eine Leitstelle gab es nicht. Viele Notrufe drangen dadurch damals nicht
       zur Polizei durch – auch die von Vili Viorel Păun nicht, der den Attentäter
       Tobias R. mit seinem Auto verfolgt hatte und später von diesem erschossen
       wurde.
       
       Die Polizei habe damit die Morde begünstigt, weil so schnellere Hilfe
       unterblieb, argumentieren die Anwälte. Insbesondere gelte dies für den Mord
       an Păun, der von Beamten von einer Verfolgung hätte abgehalten werden
       können, wäre er zur Notrufzentrale durchgekommen.
       
       ## Unterbesetzter Notruf, verschlossener Notausgang
       
       Angeführt wird auch der verschlossene Notausgang an einem der Tatorte, der
       Arena Bar. Dieser sei bereits seit Jahren zugesperrt gewesen, was
       Stammgäste gewusst hätten. Ein Zeuge sagte, dass die Polizei darauf
       gedrängt habe, um bei Drogenrazzien Fluchten zu verhindern. Die Polizei
       bestreitet das vehement. Frankenberg und von Plottnitz aber betonen auch
       hier, dass durch den verschlossenen Ausgang Fluchten mehrerer späterer
       Mordopfer verhindert wurden.
       
       Die Anwälte werfen eingesetzten Polizisten zudem vor, bei dem im
       benachbarten Arena Kiosk angeschossenen Ferhat Unvar keine Vitalfunktionen
       geprüft und lebensrettende Maßnahmen eingeleitet zu haben, wie
       Überwachungsvideos bewiesen. Dort war zu sehen, dass Unvar sich nach den
       Schüssen zunächst noch hinter einen Tresen schleppt. Ein später
       eintreffender Beamter stieg aber nur über ihn hinweg. Die Totenurkunde
       nannte für Ferhat Unvar schließlich einen Todeszeitpunkt erst um 3.10 Uhr.
       
       Zuletzt werfen die Familien den Behörden auch Verletzungen der
       Totenfürsorge und der postmortalen Würde der Mordopfer vor. So seien sie in
       der Tatnacht über Stunden nicht über das Schicksal ihrer Angehörigen
       informiert worden, auch nicht über die geplanten oder bereits erfolgten
       Obduktionen. Auch Tage später wurde ihnen danach nicht erklärt, wo die
       Leichname seien. Bei einem der Opfer, Hamza Kurtović, wurde zudem ein
       „orientalisch-südländisches“ Aussehen notiert, obwohl dieser blond und
       blauäugig war. Die Opferfamilien nennen diese Vorgänge einen „zweiten
       Anschlag“.
       
       ## Anwälte stellen Frist bis 23. April
       
       In ihrem Schreiben, das bereits am Montag an das hessische Innenministerium
       ging, fordern Frankenberg und von Plottnitz nun alle denkbaren
       disziplinarrechtlichen Schritte gegen die beteiligten Polizei- und
       Behördenvertreter vorzunehmen. Zudem müsse Hessen den Betroffenen alle
       materiellen und immateriellen Schäden ausgleichen. Die Anwälte setzen dafür
       eine Frist bis zum 23. April.
       
       „Entgegen den Behauptungen des Innenministers gab es aus unserer Sicht
       gravierende Versäumnisse und Fehlleistungen von Behörden, für die das Land
       Hessen verantwortlich ist“, erklärten die Anwälte am Mittwoch. Das
       hessische Innenministerium äußerte sich zu der Dienstaufsichtsbeschwerde
       vorerst nicht.
       
       Armin Kurtović, Vater des erschossenen Hamza Kurtović, erklärte aber
       bereits: „Sollte das Innenministerium sich erneut weigern, auf die von
       unseren Rechtsanwälten dargelegten Versagenspunkte einzugehen, werden wir
       beim zuständigen Gericht eine Amtshaftungsklage einreichen.“
       
       Schon zuletzt hatten die Familien eine Anzeige zu dem verschlossenen
       Notausgang gestellt, um Ermittlungen zu forcieren. Gleiches geschah gegen
       den [3][Vater des Attentäters], dem die Betroffenen eine Beihilfe an der
       Tat vorwerfen. Zudem fordern die Familien eine [4][unabhängige
       Untersuchungskommission] zu dem Anschlag.
       
       Bei der Tat erschoss der Hanauer Tobias R. am [5][19. Februar 2020] neun
       Menschen mit migrantischen Wurzeln, danach auch seine Mutter und sich
       selbst. Auf seiner Internetseite hatte er einen Verfolgungswahn offenbart,
       aber auch einen rassistischen Hass gegen Migranten.
       
       24 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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