# taz.de -- Nach dem Sturm auf das US-Kapitol: Im Hass vereint
       
       > Rechte Ideolog:innen aus Deutschland reagieren begeistert auf die
       > Ereignisse in Washington – sie selbst wollen es noch besser machen.
       
 (IMG) Bild: Trump-Anhänger stürmen das Kapitol in der US-Hauptstadt Washington
       
       August 2020, Berlin: Dutzende Menschen mit Reichskriegsflaggen durchbrechen
       am Rande einer Kundgebung von Coronaleugnern Absperrungen, rennen an
       Sicherheitskräften vorbei auf die Treppen des [1][Reichstagsgebäudes]. Nur
       mit Mühe kann die Polizei sie zurückhalten.
       
       Januar 2021, Washington, D.C.: Hunderte Menschen stürmen mit „Trump
       2020“-Fahnen auf das Kapitol zu, dringen in das Gebäude ein, verwüsten
       Büros. Abgeordnete müssen in Sicherheit gebracht werden, während der
       Wahlsieg Joe Bidens offiziell erklärt werden soll.
       
       Rechtsextremisten am Werk, in den USA schon einen Schritt weiter bei der
       Zerstörung der Demokratie, während sich in Berlin eine Mischung aus
       Impfgegner:innen, Coronaleugner:innen, Rechten und Anhänger:innen des
       QAnon-Mythos zusammentaten. Ihnen, hier wie dort, gemeinsam: Viele von
       ihnen sehen Trump als Heilsbringer, der für das Gute und gegen geheime
       Machenschaften der „Eliten“ kämpft.
       
       Noch beschränken sich die Übergriffe aus dem verschwörungsideologischen
       Milieu in Deutschland auf Hetztiraden im Internet und kleinere
       Ausschreitungen, die Anhänger verbreiten Falschinformationen und träumen
       vom Tag X. [2][Der Nachrichtendienst Telegram] mit seinen Chats und Foren
       ist ihre Empörungsmaschine. Das, was in den USA passierte, wird begeistert
       kommentiert. Expert:innen beobachten mit Sorge, wie die Erstürmung des
       Kapitols die Szene anstacheln könnte.
       
       In Telegram-Gruppen namens „Freiheits Chat“ oder „Friede, Freiheit, Fakten“
       hetzen und vernetzen sie sich. Gruppen wie der „Reichsbürger“-Kanal
       „Deutschlandtreff“ oder die Gruppe „Q-Anon Deutschland“ haben seit den
       Protesten gegen die Coronamaßnahmen Mitglieder gewonnen.
       
       Im Chat „Info Thüringen steht zusammen“ schreibt jemand zum offiziellen
       Endergebnis der US-Präsidentenwahl, das an diesem Abend im Kapitol
       verkündet werden soll: „Jetzt werden wir trotz der besten Beweise aller
       Zeiten vielleicht die größte Aushebelung eines Rechtssystems erleben?! Aber
       wir Deutschen kennen das ja aus den letzten Monaten.“
       
       [3][Der vegane Koch Attila Hildmann], eine der Hauptfiguren der Szene,
       kommentiert: „Haben sie gut von uns DEUTSCHEN abgeguckt!“ FSN, das
       Medienportal des Neonazis Patrick Schröder, schreibt: „Donald Trump 10x
       basierter als die meisten AfD-Abgeordneten in allen Parlamenten.“ Die
       Illustration zu diesem Text ist eine Spritze. Der rechtsextreme Youtuber
       Hagen Grell jubelt in seinem Kanal: „DAS ist ein Sturm auf das Parlament
       (nicht wie damals in Berlin)“. Sein Kanal hat über 21.000 Abonnent:innen.
       
       Die Rhetorik ist nicht neu. Seit Monaten ist in den Chats und Gruppen die
       Rede davon, die Regierung und insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel
       stürzen zu wollen: „[…] Wir werden, können und müssen uns selbst vom
       Merkel-Regime befreien“, kommentiert ein User unter einem Video des Kanals
       „Team Heimat“, nur hätten im Blick auf die USA „99 Prozent der Deutschen
       vergessen, dass sie sich zuerst um Deutschland kümmern müssen“.
       
       Judith Rahner von der Amadeu Antonio Stiftung hat die Reaktionen auf den
       Sturm aufs Kapitol verfolgt. „Ich nehme eine Euphorisierung der Szenen
       wahr. Das sind genau die Bilder, die diese Szene braucht, um den Sturz der
       verhassten Demokratie zu feiern.“ Dass in Washington schwer bewaffnete
       Männer ohne große Widerstände Zugang zum Herzen der Demokratie fanden, sei
       alarmierend. Nicht zuletzt, weil damit der Traum von Chaos und
       Selbstermächtigung auch in Deutschland geschürt würde.
       
       Als sich abzeichnet, dass Sicherheitskräfte die Lage in Washington unter
       Kontrolle bringen, sehen einige in den Ausschreitungen eine Inszenierung
       des sogenannten Deep State oder „der Antifa“, mit dem Ziel, Donald Trump zu
       verunglimpfen. Der rechte Youtuber Heiko Schrang redet vom „angeblichen
       Trump-Putsch“ und von einem „Märchen“.
       
       Der „Deep State“ ist ein Verschwörungsmythos aus dem Umfeld der
       QAnon-Anhänger:innen. Demnach sei das politische Geschehen in der
       Öffentlichkeit eine Show, um zu verdecken, was hinter den Kulissen
       eigentlich geschehe. Die Anhänger:innen dieses Mythos sehen Donald Trump
       als Helden, der den Deep State entlarvt und für das Gute kämpft.
       
       Solche Erzählungen von geheimen Plänen und höheren Mächten fußen auf einem
       Antisemitismus, der in den Onlinechatgruppen seit Anfang der Pandemie
       ein verbindendes Element zwischen Reichsbürgern, Rechtsnationalen,
       QAnon-Anhänger:innen und Querdenker:innen war.
       
       Es geht den „Coronakritikern“ längst nicht mehr nur um die Maßnahmen zur
       Eindämmung der Pandemie. Stattdessen werden in Chats und auf
       Demonstrationen demokratiefeindliche Ressentiments und rechtsextreme
       Ansichten ausgetauscht. Unter Klarnamen teilt ein Mann aus Paderborn in der
       dortigen Telegram-Gruppe die Lüge: „30 MILLIONEN TODESOPFER DURCH
       „LOCKDOWN MASSNAHMEN“. Das stellt selbst den HOLOCAUST in den Schatten!!!“
       Die Normalisierung von NS-Vergleichen, Holocaustrelativierung und
       verfassungswidrigen Symbolen – alles gängig.
       
       Einigen ist das, was Demokraten als wüsten Angriff auf das Zentrum der
       US-amerikanischen Demokratie werten, noch viel zu wenig. Jürgen Elsässer,
       Verleger des rechtsextremen Compact-Magazins, veröffentlichte
       Donnerstagfrüh seine Meinung zu den Ausschreitungen in den USA: Die
       „Revolution“ sei gescheitert, was insbesondere daran liege, dass die
       Protestierenden zu friedlich und zu wenig organisiert gewesen seien.
       
       Auch die Ausschreitungen in Berlin nennt Elsässer enttäuscht ein
       „Stürmchen“. Der Chef der österreichischen Identitären Bewegung, Martin
       Sellner, fand die Aktion „taktisch schlecht“, wie er per Telegram mitteilt,
       „zu chaotisch“. Er gibt gleich eine Anleitung, wie es stattdessen hätte
       gemacht werden sollen.
       
       In den Chats grassiert auch der Hass auf öffentlich-rechtliche Medien, der
       sich in Schadenfreude über gewalttätige Ausschreitungen gegen
       Journalist:innen in Washington entlädt.
       
       Bidens Wahl in den USA und die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie
       in Deutschland haben an sich nichts miteinander zu tun. Und doch werden sie
       in den Telegram-Chats verknüpft, wenn Falschinformationen über die
       angeblich „gestohlene Wahl“ in den USA und über Ausgangssperren in
       Deutschland geteilt werden. So wird das vage Gefühl bestärkt: Die da oben
       in der Regierung führen uns hier unten, das „Volk“, hinters Licht.
       
       Diejenigen, die am Mittwoch in das Kapitol der US-amerikanischen Hauptstadt
       eindrangen, und jene, die das in Querdenken-Gruppen beklatschen, verbindet
       mehr als die Weigerung, inmitten einer globalen Pandemie eine Atemmaske zu
       tragen.
       
       Demokratiefeindlichkeit und Rassismus liegen nahe beisammen. Während auf
       den Bildern aus dem Kapitol die rassistische Südstaatenflagge weht, tauchte
       im vergangenen Sommer auf Querdenken-Demonstrationen immer wieder die in
       Deutschland als Nazisymbol geltende Reichskriegsflagge auf.
       
       Was die Mehrheit der Menschen auf den Bildern vom Kapitol mit den
       treibenden Influencern und tonangebenden Querdenkern auf Telegram vereint:
       Sie sind weiß, größtenteils männlich und nach eigenen Angaben um das Wohl
       ihres Landes besorgt. In einem Kommentar auf ein Video aus dem Kapitol
       schreibt jemand: „Heute ist Tag der Patrioten, brennt sie nieder die roten
       Faschisten.“
       
       Als im Sommer vergangenen Jahres die Bilder der [4][„Black Lives
       Matter“-Bewegung] um die Welt gingen, fanden diese in den Telegram-Gruppen
       der Querdenker:innen keine Anteilnahme, im Gegenteil: Die
       Demonstrant:innen wurden als Terrorist:innen bezeichnet. Nachdem der
       Angriff auf das Kapitol scheiterte, wurden „Black Lives
       Matter“-Aktivist:innen außerdem beschuldigt, die Menge aufgehetzt zu
       haben.
       
       Die Falschinformationen und Weltuntergangsszenarien in den Telegram-Chats
       schaffen auch in Deutschland schon lange ein Klima, in dem sich die Grenzen
       des Denk- und Sagbaren verschieben. Das ist gefährlich, warnt Judith
       Rahner: „Apokalyptische Szenarien, wie sie in den Foren beschrieben werden,
       legitimieren Gewalt. Ich sehe da eine Gefahr enormer Radikalisierung. Da
       reichen zwei bis drei Personen, die durchdrehen.“
       
       Mit dem Austausch über Geschehnisse wie das in Washington entsteht ein
       neues „Wir“-Gefühl unter denen, die sich über die Ablehnung der
       Coronamaßnahmen mit Freund:innen und Familie zerstritten haben.
       
       Gemeinsame Feindbilder – Angela Merkel, der „Deep State“ oder die Antifa –
       schweißen Unbekannte zusammen. Vom maskenfreien Rave im Supermarkt bis zum
       „Sturm“ auf den Reichstag bringt das neue Gruppengefühl Menschen auf die
       Straße, die sich vorher nicht kannten und durch diese gemeinsamen
       Erlebnisse wieder das Gefühl von Zugehörigkeit erfahren.
       
       Wie weit dieses neue Selbstverständnis auch in demokratiefeindliche
       Selbstermächtigung münden kann, zeigte sich mit dem Angriff auf das
       Kapitol. Durch die Vernetzung in öffentlichen Chats wächst die
       rechtsextreme Echokammer auch in Deutschland. Rechte Ideologien waren von
       Anfang an die Grundlage einer Debatte, wie sie jetzt von Querdenker:innen,
       Rechtsextremen und Verschwörungsideolog:innen auf Telegram geführt wird.
       
       8 Jan 2021
       
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