# taz.de -- Nazi-Angriff in Leipzig vor Gericht: 200 Angreifer hatten leichtes Spiel
       
       > Die Rechten hatten den Angriff auf Leipzig-Connewitz 2016 lange geplant.
       > Ein Prozess muss jetzt klären, warum das keiner gemerkt hat.
       
 (IMG) Bild: Nach wenigen Minuten waren die rechten AngreiferInnen von der Polizei eingekesselt
       
       LEIPZIG taz | Es war [1][der größte Angriff seit den neunziger Jahren].
       Zweieinhalb Jahre ist es her, dass Neonazis, Hooligans und Kampfsportler in
       Leipzig-Connewitz ein Bild der Zerstörung hinterließen. Während die dortige
       linke Szene am 11. Januar 2016 in der Innenstadt gegen Legida
       demonstrierte, verwüstete ein schwarz gekleideter bewaffneter Mob das
       alternative Stadtviertel.
       
       Eine kurze Aktion: Nur wenige Minuten lagen zwischen dem Beginn und dem
       Polizeikessel, in welchem schließlich über 200 Tatverdächtige festgesetzt
       wurden. Doch offenbar war der Auftritt gut organisiert: In den wenigen
       Minuten zerbarsten Scheiben, brannten Autos, explodierten Böller. Mit
       verheerender Bilanz: 23 zerstörte Geschäfte und Lokale und insgesamt über
       112.000 Euro Schaden. Hinzu kommt das bohrende Bewusstsein, dass Nazis es
       geschafft haben, die linke Bastion Connewitz zu verwunden.
       
       Am Donnerstag beginnt nun am Amtsgericht Leipzig das erste von insgesamt 73
       Verfahren wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall. Es ist ein
       beispielloser Prozess. Aufgrund der Menge an Angeklagten werden immer zwei
       Beschuldigte gemeinsam angeklagt. Verfahren gegen elf weitere
       Tatverdächtige wurden an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden abgegeben.
       
       [2][Bereits vor einem Jahr hat das dortige Landgericht] ein Mitglied der
       Freien Kameradschaft Dresden unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer
       kriminellen Vereinigung zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. In
       dem Schuldspruch war eine Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten
       wegen der Beteiligung an den Leipziger Ausschreitungen enthalten. Eine
       Vielzahl von Ermittlungen musste allerdings eingestellt werden, weil sich
       die Täter nicht identifizieren ließen.
       
       ## Den Angriff planten lange aktive Netzwerke
       
       Nun werden die Tatverdächtigen in Leipzig, nur wenige Gehminuten vom Tatort
       entfernt, geladen, um aufzuklären, wie es zu der Gewaltdemonstration kommen
       konnte. Denn die Tatnacht zeigt, dass rechte Strukturen offenbar
       unbeobachtet größere Angriffe planen können. „Wenn man sich die
       organisatorischen Zusammenhänge anschaut, sieht man, dass die Szene über
       die Region und das Bundesland Sachsen hinaus sehr gut vernetzt ist“, sagt
       Solvejg Höppner vom Mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen e. V.
       
       So kam zwar ein Großteil der mutmaßlichen Täter aus den Regionen Leipzig
       und Dresden, jedoch fanden sich unter den Festgenommenen auch Personen aus
       Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Niedersachsen. Seit vielen Jahren
       beobachtet Höppner die rechten Strukturen in Sachsen und dem Umland. Ihr
       Fazit: Den Angriff planten bekannte Netzwerke, die schon lange aktiv sind.
       
       Laut sächsischem Innenministerium waren unter den Festgesetzten viele
       Angehörige der Fanszenen der Fußballvereine Lok Leipzig und Dynamo Dresden.
       Der Verfassungsschutz bestätigt zudem, dass „zu 78 Personen aus Sachsen
       Erkenntnisse mit rechtsextremistischen Bezügen“ vorliegen. Bezüge, die sich
       wie das Who’s who der ostdeutschen Neonazi-Szene lesen: Darunter die „Faust
       des Ostens“, die Freie Kameradschaft Dresden (FKD) und die NPD. Auch
       Personen aus dem Umfeld des „Imperium Fighting Teams“ finden sich darunter
       sowie die inzwischen als rechtsterroristisch verurteilte Bürgerwehr
       Freital, die 2016 verbotene „Weisse Wölfe Terrorcrew“ oder die bereits 2005
       verbotene Kameradschaft Tor Berlin.
       
       Das Leipziger Stadtmagazin kreuzer veröffentlichte im März 2018
       Chatprotokolle, die Aufschluss über die Mobilisierung geben. Zu lesen sind
       diverse Unterhaltungen – zwischen Hooligans, Kampfsportlern, Koordinatoren
       und einem Leipziger Ex-NPDler. „bewaffne dich bis an die zähne wird morgen
       nicht lustig“, schreibt ein Fußballer aus Gera. „Kann euch versichern das
       wird nen geiles ding freu mich seit 3 Monaten da drauf“ ein anderer.
       
       Aus der Sammlung geht auch hervor, wie der Angeklagte Florian N. im Prozess
       gegen die FKD von dem Treffen vor dem Angriff auf einem Parkplatz nur
       wenige Kilometer von Leipzig erzählt: „Wir wussten, dass es eine
       Provokation ist. Wir gingen auch davon aus, dass es eskaliert. Gingen davon
       aus, dass es eine große Gegendemo gibt und Connewitz leer ist. Wir wollten
       denen zeigen, dass ihre Festung nicht uneinnehmbar ist.“
       
       Auch die Lageeinschätzung des sächsischen Verfassungsschutzes findet sich
       unter den Leaks. Darin heißt es, es sei „eine bundeslandübergreifende
       Anreise entsprechender Fans [der angekündigten Band Kategorie C],
       insbesondere aus der subkulturellen Hooligan-Szene, zu erwarten“. Und
       weiter: „Dies dürfte zu einer erheblichen Steigerung des gewaltbereiten
       Personenpotenzials in Leipzig beitragen, bei dessen unmittelbarem
       Aufeinandertreffen mit dem politischen Gegner – auch gewaltsame –
       Ausschreitungen zu befürchten sind.“
       
       Dass der politische Gegner der ostdeutschen Neonaziszene eine feste
       Verankerung im Stadtteil Connewitz hat, ist nicht erst seit den
       Ausschreitungen am Rande des Aufmarsches der Partei Die Rechte im Dezember
       2015 bekannt, sondern schon seit den Straßenschlachten der Neunziger, aus
       denen Connewitz als linke Bastion hervorging. Dennoch waren die
       Polizeikräfte an jenem Abend mehrheitlich in der Innenstadt am Rande der
       Legida-Demonstrationen postiert.
       
       „Man hätte es aus den Ankündigungen herauslesen können“, sagt Höppner. „Es
       war von Anfang an klar, dass die Neonazi-Szene in und um Leipzig die
       Legida-Demonstrationen logistisch unterstützt hat. Wenn über 200 Personen
       einen Stadtteil angreifen, dann steckt da eine Organisationsleistung
       dahinter.“ Sie geht davon aus, dass der Verfassungsschutz von der gut
       organisierten Mobilisierung des Angriffs hätte wissen können.
       
       Auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei vom September 2016 antwortete der
       damalige Innenminister Markus Ulbig, dem Landesamt für Verfassungsschutz
       (LfV) Sachsen haben „keine Informationen über eine im Vorfeld des
       Tatzeitpunktes betriebene konkrete Mobilisierung durch Rechtsextremisten zu
       einem Versammlungsort in Connewitz“ vorgelegen. Zuvor hatte ein Sprecher
       des LfV dem MDR gesagt, dass „auch hochgradig gewaltbereite
       Rechtsextremisten den ersten Jahrestag Legida nutzen werden, um aktiv zu
       werden“.
       
       ## Auch zweieinhalb Jahre später bleiben viele offene Fragen
       
       Im Mai 2018 stellt die Abgeordnete Juliane Nagel (Die Linke), deren
       Stadtteilbüro ebenfalls in Connewitz liegt, einen Antrag an die
       Staatsregierung zur Klärung der Frage, wie die Ermittlungen
       vorangeschritten und welche strafrechtliche Verfolgung eingeleitet worden
       sei. Nagel betont darin, dass der Angriff eine umfangreiche Planung und
       Vernetzung der Neonazikreise voraussetzt – und man demnach auch
       entsprechend ermitteln müsse. Der Rechtsausschuss lehnte den Antrag ab und
       empfahl dem Innenausschuss, es ihm gleichzutun.
       
       So bleiben auch zweieinhalb Jahre später viele offene Fragen: Warum hatten
       die Angreifer so leichtes Spiel, wenn unter ihnen vom Verfassungsschutz
       beobachtete Neonazis waren? Wie konnte der Angriff geheim geplant werden,
       wenn schon im Vorhinein bekannt war, dass es Mobilisierungen der
       bundesweiten rechten Szene gibt? Und: Warum wird zwar wegen schweren
       Landfriedensbruchs, nicht jedoch in Richtung eines Organisationsdeliktes
       ermittelt?
       
       Mit dem Prozessbeginn könnte es nun eine erneute Chance geben, diesen
       Fragen nachzugehen. Um sie erneut auch in den Fokus der Öffentlichkeit zu
       bringen, hat sich in Leipzig eine spendenbasierte Prozessbeobachtungsgruppe
       gegründet. „Die Gefahr ist groß, dass Täter und Erkenntnisse untergehen“,
       sagt Alex Berg, Sprecherin der Gruppe. Man wolle daher mögliche Leerstellen
       beleuchten und so einer Entpolitisierung des Überfalls entgegenwirken. Auf
       der Internetseite prozess1101.org sollen die Beobachtungen gesammelt
       werden. „Die Geschädigten und andere Betroffene aus dem Stadtviertel
       erhoffen sich von den Prozessen vor allem ein deutliches Signal an die
       Täter“, sagt Berg.
       
       16 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Sarah Ulrich
       
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