# taz.de -- Parlamentswahl in Indien: Absolut nicht mehr alle wollen Modi
       
       > Laut Zwischenergebnissen liegt Premierminister Narendra Modi bei Indiens
       > Parlamentswahlen zwar vorn. Aber er wird Koalitionspartner brauchen.
       
 (IMG) Bild: Unterstützer*innen von Narendra Modis BJP-Partei feiern am Dienstag den vorläufigen Wahlsieg
       
       Die indischen Parlamentswahlen zeigen, dass politische Vorhersagen nicht
       immer zutreffen. Am Dienstagmorgen Ortszeit begann die Auszählung der
       Stimmabgaben; über 44 Tage waren die Wahlurnen geöffnet gewesen. Viele
       Prognosen sagten [1][Narendra Modis BJP einen hohen Sieg voraus]. Der
       amtierende Premier Modi selbst kündigte an, 400 Sitze gewinnen zu wollen
       und das Ergebnis von vor fünf Jahren so noch verbessern zu wollen. Doch je
       mehr Stimmen ausgezählt waren, desto deutlicher wurde: Modi wird zwar mit
       hoher Wahrscheinlichkeit eine historische dritte Amtszeit antreten können.
       Sein Ziel einer Zweidrittelmehrheit wird er jedoch wohl verfehlen.
       
       Fast eine Milliarde Menschen waren wahlberechtigt. Insgesamt traten 8.360
       Kandidat:innen für 543 Sitze im Unterhaus des Parlaments an. Die
       Wahlbeteiligung lag bei 66 Prozent. Mindestens 240 Sitze im Unterhaus des
       Parlaments gehen laut Wahlkommission an die BJP, zusammen mit der
       NDA-Allianz könnte sie laut Prognose auf 292 Sitze kommen. Die größte
       Oppositionspartei, der Kongress, könnte sich mindestens 99 Sitze sichern.
       Die von ihr angeführte INDIA-Allianz könnte 232 Sitze erreichen. Die
       Opposition schneidet damit besser ab, als von vielen erwartet.
       
       Kiren Rijiju von der BJP und Minister für Geowissenschaften, verteidigt das
       Wahlergebnis: „Wir werden nie wieder einen Führer wie Modi haben“, sagt er
       einem lokalen TV-Sender. „Die dritte Amtszeit wird für weiteren Aufschwung
       sorgen“, prophezeit er.
       
       Während die BJP im ostindischen Odisha, dem zentralindischen Madhya Pradesh
       oder den Himalaja-Bundesstaaten Himachal Pradesh und Uttarakhand punkten
       konnte, musste sie im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh
       überraschend Sitze einbüßen.
       
       Dabei war Ayodhya in Uttar Pradesh der Ort, der zu Beginn des Jahres quasi
       den Wahlkampfauftakt darstellte, als Modi einen prächtigen Tempel zu Ehren
       des Hindu-Gottes Ram einweihte. Gebaut wurde er auf den Ruinen der
       zerstörten Babri-Moschee. Politische Beobachter wie Saahil Menghani
       bewerten die Niederlage in dieser Region für die BJP auch als eine
       „moralische für Premierminister Narendra Modi und die Hindutva-Politik“,
       also einer [2][Politik, die eine hinduistische Mehrheitsgesellschaft]
       fördert. „Es war eine Wahl, bei der die Chancen gegen die Opposition
       standen“, sagt die muslimische Kommentatorin Rana Ayyub auf X.
       
       Rahul Gandhi von der oppositionellen Kongresspartei hielt am Dienstag bei
       einer Pressekonferenz eine Ausgabe der indischen Verfassung hoch: diese und
       Indiens Demokratie zu schützen war das erklärte Ziel der INDIA-Allianz. Die
       aktuellen Wahlergebnisse zeigten, dass Narendra Modi besiegt worden sei,
       sagte Gandhi. „Wir haben mit unseren Bemühungen, die Demokratie und die
       Verfassung zu retten, Erfolg gehabt. Die Armen, die Stammesangehörigen, die
       Minderheiten in diesem Land haben die Initiative ergriffen, um die
       Verfassung zu retten“. Am Mittwoch will die INDIA-Allianz in der Hauptstadt
       zusammenkommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
       
       Amitabh Mattoo, Professor für Internationale Studien an der
       Jawaharlal-Nehru-Universität ist anderer Meinung. Die Zustimmung für Modi
       als letztendlicher Wahlsieger wertet er als Zeichen der Kontinuität. Und
       international sei das Signal von Modis Wiederwahl: Stabilität,
       Vorhersehbarkeit. Damit wäre auch zu erklären, warum vor der Auszählung am
       Sonntag die indischen Aktienmärkte angesichts der Aussicht auf einen klaren
       Wahlsieg der BJP auf ein Allzeithoch gestiegen sind. Mit der beginnenden
       Auszählung am Montag, als sich abzeichnete, dass der INDIA-Block stärker
       ist, rutschten die Märkte jedoch ab. Es gebe keinen Grund zur Panik,
       versicherte Jairam Ramesh, Sprecher der Kongresspartei. „Der Kongress setzt
       sich für eine geordnete und gesunde Entwicklung der Finanzmärkte ein, die
       die Grundlagen der Wirtschaft widerspiegeln.“
       
       In Metropolen wie Mumbai gibt es ebenfalls einen politischen
       Stimmungswechsel. Zuvor dominierte hier die BJP, doch war sie diesmal nicht
       so stark wie noch 2019. „Das ist der Sieg des Volkes“, sagt Varsha Gaikwad,
       die für die Kongresspartei antrat und sich gegen den BJP-Kandidaten
       durchsetzen konnte. „Ich bin froh, dass die Opposition einen harten Kampf
       geführt hat.
       
       Die BJP bekommt aus eigener Kraft keine Mehrheit“, sagt Sunil Yadhav, der
       sich im Wahlkampf eingesetzt hat. „Auch wenn die Opposition nicht gewinnt,
       so scheint sie doch stärker zu werden, und das ist eine gute Nachricht für
       die Verteidigung der Demokratie und der Verfassung“, sagt der 25-Jährige,
       der in Mumbai lebt, der taz.
       
       „Die Demokratie hat in dem Sinne die Wahlen gewonnen“, fasst Experte
       Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik das bisherige
       Wahlergebnis am Dienstag zusammen. Obwohl die Regierungspartei BJP deutlich
       mehr Ressourcen im Wahlkampf hatte, habe sich auch eine relevante Masse an
       Wähler*innen gegen sie entschieden. Da die BJP als Einzelpartei nun wohl
       keine Mehrheit mehr im Unterhaus des Parlaments haben wird, werden andere
       Parteien der NDA-Allianz ihre Position nutzen und machtpolitische
       Forderungen stellen, möglicherweise auch Ministerposten einfordern,
       vermutet Wagner. Das werde eine Herausforderung für die Regierung Modi.
       
       Nach nur 44 Sitzen im Jahr 2014 und 52 Sitzen bei den Wahlen 2019 könnte
       sich die Kongresspartei nun deutlich verbessern. In diesem Jahr traten in
       vielen Wahlkreisen die Kongresspartei oft direkt gegen die BJP an. Das
       könnte auch bei den noch anstehenden Regionalwahlen von Bedeutung werden.
       Wenn es darum geht, wie stark die BJP künftig im Oberhaus vertreten sein
       wird.
       
       4 Jun 2024
       
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