# taz.de -- Priester über Segnungsaktion: „Die Kirche hinkt hinterher“
       
       > Die Segnungsaktion #liebegewinnt hat unter katholischen Geistlichen für
       > Ärger gesorgt. Priester Wolfgang Rothe sieht die Mächtigen an ihre
       > Grenzen stoßen.
       
 (IMG) Bild: Christine Walter und Almut Münster werden bei der Aktion #liebegewinnt in München gesegnet
       
       taz: Herr Rothe, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der
       Limburger Bischof Georg Bätzing, hat die [1][Segensfeiern für alle
       Liebenden], auch für homosexuelle Paare, kritisiert. Warum sind bei einer
       so harmlosen Sache selbst eher liberale Geister in der katholischen Kirche
       so allergisch? 
       
       Wolfgang Rothe: Bischof Bätzing hat die genannten Segensfeiern als „nicht
       hilfreich“ bezeichnet. Zurückhaltender kann man kaum Kritik üben. Meinem
       Eindruck nach wollte er dadurch dem Vorwurf entgegenwirken, sich vor einer
       Stellungnahme gedrückt zu haben, und zugleich möglichen schärferen
       Reaktionen zum Beispiel aus den Bistümern Köln, Regensburg oder Passau
       zuvorkommen.
       
       Woher kommt diese reflexhafte Ablehnung vieler führender Männer in der
       katholischen Kirche in Sachen Homosexualität – sind das versteckte Ängste,
       gar Verdrängtes? 
       
       Frédéric Martel hat in seinem Bestseller „Sodom“ die These aufgestellt: „Je
       homophober ein Prälat ist, desto wahrscheinlicher ist er homosexuell.“
       Meiner persönlichen Erfahrung nach trifft diese These im Wesentlichen zu.
       Den ebenfalls von Martel gezogenen Umkehrschluss hingegen wage ich zu
       hinterfragen: Es gibt durchaus eine ganze Reihe von
       homosexuellenfreundlichen Geistlichen, die nicht heterosexuell sind.
       
       Wie erklären Sie sich überhaupt die Sex- oder Körperfeindlichkeit bei
       vielen Führungsfiguren der Kirche? Hat das was mit dem Zölibat zu tun? Oder
       an uralten seltsamen Äußerungen von Augustinus zum Thema, also zum Beispiel
       dass vor allem durch Sex die Sünde in die Welt komme?
       
       Die rigide Sexualmoral der katholischen Kirche war über viele Jahrhunderte
       hinweg schlichtweg Mainstream – nicht nur in der Kirche, sondern auch in
       der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat sich – Gott sei Dank –
       weiterentwickelt, während die Kirche dieser Entwicklung einfach um ein paar
       Jahrzehnte hinterherhinkt. Das wird sie schon noch aufholen. Denn wenn sie
       dies nicht täte, würde sie in wenigen Jahrzehnten selbst Geschichte sein.
       
       Wie hoch schätzen Sie den Anteil an homosexuellen Priestern in der
       katholischen Kirche ein? Gibt es dazu seriöse Statistiken? 
       
       Der renommierte Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller geht davon
       aus, dass bis zu 30 Prozent der katholischen Priester schwul sind. Aus
       meiner Erfahrung würde ich das eher als die unterste Grenze betrachten.
       Aber wie dem auch sei: Ob jemand schwul ist oder nicht, sollte meiner
       Meinung nach keine Rolle spielen – auch nicht bei einem Priester. Wenn der
       Vatikan (übrigens erst seit 2005) behauptet, Männer mit „tiefsitzenden
       homosexuellen Tendenzen“ seien, weil sie angeblich keine „korrekte
       Beziehung zu Männern und Frauen“ aufbauen können, für den Priesterberuf
       ungeeignet, ist das eine Behauptung, die durch nichts begründet ist – mit
       anderen Worten: Sowohl diese Behauptung als auch ihre Konsequenz sind
       absoluter Blödsinn.
       
       Sind in der Kirche vor allem die Männer homosexuellenfeindlich, die dieser
       sexuellen Neigung vielleicht eher nahestehen – oder ist das jetzt
       Hobbypsychologie? 
       
       Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang noch einmal Frédéric Martel zu
       zitieren: „Je lautstarker ein Prälat die Schwulen kritisiert, je stärker
       seine homophobe Obsession ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er
       unaufrichtig ist, und desto vehementer versteckt er etwas vor uns.“ Ich
       halte Martels These nur in einem Punkt für ergänzungsbedürftig: Es sind
       keineswegs nur die Prälaten, auf die das meiner Erfahrung nach zutrifft,
       sondern nahezu alle, die sich homophob gebärden.
       
       Warum ist überhaupt die [2][Segnung homosexueller Paare] für die
       Reaktionäre in vielen Kirchen so ein weltweites Symbol geworden, dass sie
       für einen angeblich perversen, verweichlichten Westen steht, in der die
       Moral flöten gehe? 
       
       Bestimmte Kreise und Personen in der Kirche betrachten die Segnung
       homosexueller Partnerschaften als Angriff auf die heterosexuelle Ehe. Wenn
       sich allerdings der Wert der heterosexuellen Ehe daran bemisst, dass
       dergleichen homosexuellen Personen vorenthalten wird, scheint es sich dabei
       – zumindest in den Augen jener Kreise und Personen – um keinen Wert an sich
       zu handeln. Tatsächlich verliert die heterosexuelle Ehe nichts von ihrem
       Wert, wenn dergleichen auch homosexuellen Paaren offensteht.
       
       Papst Franziskus zeigt in Gesprächen oft viel Sympathie für Homosexuelle –
       aber wenn es dann ans Lehramtliche geht, winkt er noch die konservativsten
       Positionen durch. Das ist doch schizophren, oder? 
       
       Zumindest weckt Papst Franziskus durch solche Äußerungen Hoffnungen, die
       anschließend brutal enttäuscht werden. Das ist zunächst einmal
       schmerzlicher, als wenn diese Hoffnungen gar nicht erst geweckt worden
       wären. Andererseits verändert er durch solche Äußerungen ganz behutsam das
       Gesprächsklima in der Kirche. Unter seinen Vorgängern hätte ich ein
       Interview wie dieses nicht führen können, ohne ernsthaft meinen Job zu
       gefährden.
       
       Wird sich die Kirche noch in unseren Lebzeiten mit dem Thema Homosexualität
       aussöhnen oder muss da erst eine neue Generation in der Kirche an die Macht
       kommen? 
       
       „Macht“ ist ein gutes Stichwort. Nicht nur in Staat und Gesellschaft,
       sondern auch intern stoßen die Mächtigen in der Kirche immer öfter an die
       Grenzen ihrer Macht. Denn wer sich autoritär gebärdet, verliert in einer
       demokratischen Gesellschaft schnell an Autorität. Umgekehrt wächst
       Autorität mit guten Argumenten. Und da es weder humanwissenschaftliche noch
       theologische Argumente dafür gibt, Homosexualität moralisch anders zu
       beurteilen als Heterosexualität, ist die Aussöhnung mit diesem Thema
       letztlich nurmehr eine Frage der Zeit.
       
       Haben die Homo-Segnungen das Potenzial, die katholische Weltkirche zu
       spalten? 
       
       In einer Weltkirche, die in unterschiedlichen Ländern und Regionen mit ganz
       unterschiedlichen Problemen und Entwicklungen konfrontiert ist, muss nicht
       überall alles gleich sein. Die Einheit der Kirche würde durch eine
       vielfältige Lebenspraxis nicht bedroht, sondern bereichert. Ich halte den
       katholischen Glauben für stark genug, die Einheit der Kirche zu wahren,
       auch wenn hierzulande homosexuelle Paare gesegnet werden, anderswo aber
       (noch) nicht.
       
       12 May 2021
       
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