# taz.de -- Prozess gegen „Gruppe S.“ in Stuttgart: Wenn Neonazis weinen
       
       > Die zwölf Männer sollen Mordaktionen geplant haben. Zu einer Tat ist es
       > nicht gekommen. Sind die zwölf Maulhelden oder brandgefährliche
       > Terroristen?
       
 (IMG) Bild: Kurz vor Prozessbeginn in Stuttgart: Die Angeklagten wollen ihr Gesicht nicht zeigen
       
       Wer Rechtsextreme weinen sehen will, hat dazu derzeit im Gerichtssaal von
       Stuttgart-Stammheim Gelegenheit dazu. Stefan K., ein schlanker
       Brillenträger mit kurz geschorenem Haar und weinrotem Ringelpulli, kommt am
       fünften Prozesstag ins Schluchzen, als er von seiner kleinen Tochter
       erzählt, die der 32-Jährige mit auf Nazitreffen genommen habe. Es sei ein
       dummer Fehler gewesen, mit ihr den Film „Er ist wieder da“ zu schauen. Ja,
       er hätte widersprechen sollen, als sie gesagt hat: „Papa, schade, dass der
       echte Hitler nicht mehr lebt.“ Er hätte nicht nur sagen sollen, dass sie
       das nicht in der Öffentlichkeit sagen darf.
       
       Auch Thorsten W., zuletzt Regierungsamtsinspektor im Polizeipräsidium Hamm
       in Westfalen, bekommt feuchte Augen, wenn er auf seine Tochter zu sprechen
       kommt. Seit er in Untersuchungshaft sitzt, habe er keinen Kontakt mehr zu
       ihr. Er habe doch nur gedacht, er beteilige sich an einem Treffen übers
       Mittelalter, beteuert W. Die zwei Ausgaben von Hitlers „Mein Kampf“ und
       andere NS-Devotionalien, mit denen er sein Arbeitszimmer daheim
       ausgestattet hatte, seien seinem geschichtlichen Interesse am Zweiten
       Weltkrieg geschuldet. Ja, das Foto mit dem Hakenkreuz-Handtuch aus dem
       Badezimmer sei eine Dummheit und auch das ein oder andere Bild, das auf
       seinem Computer gefunden wurde, sei vielleicht doch antisemitisch.
       
       Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer hat ein Talent, Beweismittel
       dramaturgisch so geschickt einzuführen, dass sich die Angeklagten immer
       mehr in ihren Rechtfertigungen verheddern. Anderer zeigt ein Bild von einem
       Hakenkreuz aus Bügelperlen, das bei Thorsten W. im Blumentopf steckte. Das
       sei ein missglücktes Experiment gewesen, sagt der Mittelalter-Fan. „Wenn
       ich gewusst hätte, dass es eine Durchsuchung gibt, hätte ich es weggetan.“
       Der Saal lacht.
       
       ## Der Vorwurf: Geplante Anschläge auf Moscheen und Politiker
       
       So irre ihre Rechtfertigungen klingen mögen, so gefährlich sind womöglich
       jene zwölf Männer, die seit Mitte April im Stammheimer Gerichtssaal hinter
       Panzerglasscheiben sitzen. Im Februar 2020 ließ die Bundesanwaltschaft sie
       in sechs Bundesländern festnehmen. [1][Der Vorwurf]: Sie hätten eine
       rechtsterroristische Vereinigung gebildet und Anschläge auf Moscheen und
       Grünen-Politiker geplant. So hätten sie Gegenreaktionen provozieren und
       einen Bürgerkrieg anstiften wollen.
       
       Angeführt wurde der Trupp von [2][Werner S.], einem 55-jährigen
       Trödelhändler aus dem kleinen bayerischen Dorf Mickhausen, vielfach
       vorbestraft und Mitangeklagte bezeichneten ihn als „charismatischen Typen“.
       Nach ihm benennen die Ermittler die „Gruppe S.“.
       
       All das klingt, als hätten die Behörden einen zweiten
       Nationalsozialistischen Untergrund ausgehoben und Anschläge wie in Hanau
       oder Halle verhindert. Ein halbes Jahr lang hatte das Landeskriminalamt
       Baden-Württemberg die Gruppe auf Schritt und Tritt überwacht, am Ende auch
       die Bundesanwaltschaft. Dann erfolgte der [3][Zugriff]. Die Ermittler
       stießen auf Handgranaten, eine Neun-Millimeter-Pistole, eine selbst gebaute
       Flinte, Dutzende Messer, eine Armbrust. Und massenweise brachialer Chats.
       
       Seit vier Wochen wird den zwölf Rechtsextremen deshalb in Stuttgart der
       Prozess gemacht. Bis auf Stefan K. und Thorsten W. schweigen alle
       Angeklagten. Sie sind Fliesenleger, Krankenpfleger, Installateure oder
       Arbeitslose. „Prekariat“ sei auf der Anklagebank versammelt, das zu
       komplexeren Planungen gar nicht in der Lage gewesen wäre, sagt ein
       Verteidiger. Aber so pauschal stimmt das nicht. Einige von ihnen hatten
       eine bürgerliche Existenz zu verlieren, sind selbstständig und
       Familienväter. Thorsten W. ist gar Verwaltungsangestellter bei der Polizei,
       im Verkehrskommissariat. Sie können sich ausdrücken, W. zum Beispiel
       debattiert mit dem Gericht über die Interpretation von Beweisstücken.
       
       Was die Angeklagten eint, ist ihre rechtsextreme Gesinnung, das stellen
       nicht einmal die Verteidiger in Frage. Ein Hass auf die Regierung, auf die
       liberale Gesellschaft, auf Linke und Migranten. Aber Gesinnungen sind,
       daran erinnert der in rechten Kreisen beliebte Anwalt Günther
       Herzogenrath-Amelung im Prozess, „nicht strafbar“. Und fügt sibyllinisch
       hinzu: „Wir wollen ja nicht zurück in die Diktatur des Herrn Hitler oder
       der SED.“
       
       ## Aktiv bei „Wodans Erben“ oder dem „Viking Security“
       
       Aber die Angeklagten beließen es nicht bei Privatmeinungen. Seit Jahren
       tummeln sie sich im rechtsextremen Milieu – in Bürgerwehrgruppen mit
       klingenden Namen wie „Freikorps Heimatschutz“, „[4][Wodans Erben
       Germanien]“ oder „Vikings Security Germania“. Mit ihnen liefen sie
       Patrouillen, um vermeintliche Migrantengewalt und einen Kontrollverlust des
       Staates zu inszenieren.
       
       „Wodans Erben“ machten Schlagzeilen, als sie in eine bayerische
       Asylbewerberunterkunft eindrangen und mit Fackeln zum Nürnberger
       NS-Reichsparteitagsgelände marschierten. Die „Vikings Security“ gab sich
       rockerähnlich mit Kutten, erklärte: „Freiheit wird nicht erbettelt, sondern
       erkämpft.“ Und beim „Freikorps Heimatschutz“ hieß es unverhohlen: „Die
       Mitglieder dieser Gruppe bereiten sich auf den Tag vor, an dem es zu einem
       Krieg kommt und es um die Verteidigung unserer Familien und dem Vaterland
       geht.“
       
       Folgt man der Anklage, sollte es nicht bei Streifzügen bleiben. Die Frage,
       die das Oberlandesgericht nun klären muss, lautet: Wie ernst waren die
       Terrorpläne der „Gruppe S.“? Der frühe Zugriff vom Februar 2020, der
       Menschenleben gerettet haben könnte, macht es für die Anklage knifflig. Was
       von den vielen Tausend Chatprotokollen und den stundenlangen
       Telefonmitschnitten war Maulheldentum? Was war echter Anschlagsplan?
       
       ## Ludwig U., der Spitzel
       
       Um dies zu klären, ist einer der Angeklagten entscheidend: [5][Paul-Ludwig
       U. Ein Spitzel.] Auch der 49-jährige Arbeitslose schweigt im Prozess. Mit
       seinem Dreitagebart und den kurzen grauen Haaren sieht er zehn Jahre älter
       aus, als er eigentlich ist. Er ist derjenige, dem die Behörden ihren
       Ermittlungserfolg verdanken. Über Monate hielt er die Ermittler über die
       Aktivitäten der „Gruppe S.“ auf dem Laufenden – und sorgte auch für den
       Zugriff. Seitdem befindet er sich in einem Zeugenschutzprogramm. Als
       Einziger der Angeklagten ist er nicht in U-Haft, sondern kommt auf freiem
       Fuß in den Saal.
       
       Paul-Ludwig U. ist eine schwierige Figur. Mehr als 20 Jahre seines Lebens
       verbrachte der Alleinstehende in Gefängnissen, voraus ging eine harte
       Drogenkarriere. U. wurde wegen zwei Geiselnahmen verurteilt, wanderte wegen
       angeblicher psychischer Probleme in den Maßregelvollzug. Er klagte dagegen
       und bekam recht.
       
       Auf freiem Fuß habe er das Internet für sich entdeckt, erklärte Paul-Ludwig
       U. den Ermittlern und sei zufällig in rechte Chatgruppen und an Werner S.
       geraten. Dort habe er von den Gewaltplänen erfahren. Er sei schockiert
       gewesen, habe diese verhindern wollen. Nur deshalb habe er bei der „Gruppe
       S.“ mitgemacht. Auch dies ist eine Behauptung, die der Stuttgarter Prozess
       überprüfen muss.
       
       Tatsächlich meldete sich Paul-Ludwig U. aus eigenem Antrieb beim
       Verfassungsschutz, zunächst ohne Reaktion, später ging er zur Polizei. Er
       tat dies nicht zum ersten Mal, schon in den Vorjahren hatte er der Polizei
       vermeintliche Straftaten gemeldet. Nun saß er am 1. Oktober 2019 im
       Polizeipräsidium Heilbronn. Laut Ermittlungsunterlagen eröffneten ihm die
       Beamten, dass er als Beschuldigter einer terroristischen Vereinigung
       geführt werde. Paul-Ludwig U. entgegnete: Dieser Status müsse sich ändern.
       Er könne sich vorstellen, als Quelle geführt zu werden. Die Beamten
       reagierten nicht direkt, ließen aber später klarstellen, dass U. auf eigene
       Initiative seine Meldungen mache. Und tatsächlich informierte dieser das
       LKA in den Folgewochen immer wieder über Treffen der „Gruppe S.“,
       übermittelte Chatnachrichten, verriet Pläne.
       
       Und er berichtete auch über ein erstes Treffen der „Gruppe S.“, das Ende
       September auf einem Grillplatz an einer Mühle im Wald stattfand. Die
       Begegnung an der „Hummelgautsche“ bei Alfdorf in Baden-Württemberg ist für
       die Ermittler das Gründungstreffen der „Gruppe S.“. Knapp 20 Rechtsextreme
       um Werner S. kommen hier zusammen.
       
       Man kennt sich aus Chatgruppen oder Bürgerwehren. Man müsse etwas tun und
       sich vernetzen, ist sich die Runde einig. Afrikaner und Asylheime werden
       laut Paul-Ludwig U. als Ziele deklariert, ebenso die grünen Politiker Anton
       Hofreiter und Robert Habeck. Einer der Angeklagten, der Niedersachse Tony
       E., habe geprahlt: 2.500 Leute bekomme man zusammen, wenn es ernst werde.
       Dann habe man Wurfübungen mit Äxten gemacht sowie mit Pfeil und Bogen
       geschlossen. Werner S., der Wortführer, habe auch eine Pistole aus einer
       Sporttasche in seinem Auto geholt. Er habe ihm das Magazin gezeigt,
       berichtete U. den LKA-Leuten. Es sei scharfe Munition darin gewesen.
       
       Paul-Ludwig U. beeindruckte die „Gruppe S.“ mit seiner Knastkarriere. Er
       sei ein „besonderes Kaliber“, sagt Werner S. später anerkennend in einem
       abgehörten Telefonat. „Der Mann hat nichts zu verlieren.“ In der Gruppe
       präsentiert sich Paul-Ludwig U. später als Vertreter der „Bruderschaft
       Deutschland“, einer Bürgerwehrtruppe aus Nordrhein-Westfalen mit einem
       Süd-Ableger. „Unser Blut für Familie, Volk und Vaterland“, lautet einer
       ihrer Slogans. Er habe eine Vollmacht des „Bruderschaft“-Anführers Ralf N.,
       prahlt Paul-Ludwig U.
       
       ## „Ohne Opfer wird's nicht gehen“
       
       Es bleibt nicht bei dem Treffen in Alfdorf. Nur wenige Tage später besuchen
       Werner S., Paul-Ludwig U. und weitere eine rechtsextreme Demonstration in
       Berlin, wo die Polizei dem Bayer verbotene Quarzsandhandschuhe abnimmt. Am
       8. Februar 2020 kommt es schließlich zu einem Treffen im westfälischen
       Minden, im Haus des Angeklagten Thomas N., einem Fliesenleger, wo die
       genauen Terrorpläne besprochen worden sein sollen.
       
       Es ist vor allem Werner S., der die Gruppe immer wieder anheizt. Im Prozess
       sitzt der schmale Mann mit schwarzem Bart und blau-schwarz-kariertem
       Holzfällerhemd unauffällig zwischen den anderen Angeklagten. Der
       Trödelhändler ist wegen Betrugs, Erpressung oder Missbrauch von Titeln
       vorbestraft. In einer der Chatgruppen, in denen er unter anderem als
       „Teutonico“ firmierte, ätzte er über „Schwätzerpatrioten“ und suchte
       Mitstreiter für einen „Freiwilligenverband zur Kräftemobilisierung“ und
       eine „Ausbildung im militärischen Sinne“. Einmal sagte S., er brauche
       Leute, die „intelligent, hart, brutal“ seien. Oder: „Ohne Opfer wird’s
       nicht gehen.“ Immer wieder beschwor er, man brauche Waffen, was er in
       Telefonaten mit Codes wie „Ebikes“ oder „Tretroller“ kaschierte.
       
       Auch das Treffen in Minden bewarb Werner S. damit, dort würde „Krieg
       besprochen“. Alle Angeklagten, auch Paul-Ludwig U., fanden sich dort ein.
       Thomas N. zeigte seine Messersammlung, seine Frau brachte Kartoffelsalat
       und Bockwurst. Handys blieben in den Autos, teils eingewickelt in Alufolie.
       Über mehrere Stunden wurde bei Tisch diskutiert. Am Ende soll Werner S.
       gedroht haben: Wenn Informationen den Raum verließen, dann werde diese
       Person getötet.
       
       Paul-Ludwig U. fuhr dennoch direkt nach diesem Treffen in ein Restaurant
       und rief beim LKA an. Anschläge auf Moscheen habe die Gruppe geplant, gab
       er durch. Auf Frauen und Kinder wolle man keine Rücksicht nehmen. Die
       Anwesenden hätten auch zugesagt, 50.000 Euro zusammenzulegen, um Waffen zu
       kaufen, in Tschechien und über einen bayrischen Mittelmann der „Wodans
       Erben“. Die Ermittler waren alarmiert. Sechs Tage später ließ die
       Bundesanwaltschaft die Rechtsextremen festnehmen.
       
       Doch wie glaubhaft ist dieser Paul-Ludwig U.?
       
       Die Verteidiger der anderen Angeklagten ziehen seine Glaubwürdigkeit
       gezielt in Zweifel. Er habe während der Treffen ständig harte Drogen
       konsumiert, sagen die beiden gesprächigen Angeklagten aus. Er sei es
       gewesen, der zur Gewalt aufgerufen habe. Der Angeklagte Stefan K. erklärt:
       „Werner S. hat das Feuer entfacht, U. hat Öl hineingeschüttet.“
       
       Tatsächlich räumte auch Paul-Ludwig U. vor Ermittlern ein, auf dem Mindener
       Treffen die Anschläge als „richtigen“ Weg bezeichnet zu haben. Man dürfe
       auf nichts Rücksicht nehmen. An anderer Stelle schrieb U.: „Ich kann auch
       nicht jeden N**** killen, den ich seh'. Würde es gern, aber das kommt
       noch.“ Vor den Ermittlern rechtfertigte er sich: Dies sei doch nur Teil
       seiner „Rolle“ gewesen.
       
       Die Ermittler halten seine Aussagen für glaubwürdig. Zwar neige er zu
       Übertreibungen, heißt es dort. Da aber auch die Kommunikation von U. über
       Monate überwacht wurde, waren seine Angaben überprüfbar – und hätten sich
       bewahrheitet.
       
       Die anderen Mitglieder der „Gruppe S.“ aber wurden nach dem Mindener
       Treffen misstrauisch gegen Paul-Ludwig U. Er selbst hatte berichtet, ihn
       habe ein schwarzer BMW verfolgt. Den Ermittlern sagte er, er bekomme Panik
       und würde sich am liebsten eine Waffe zum Eigenschutz besorgen. Dann
       tauchte er ab.
       
       Die Angst war nicht unbegründet. Noch aus der Haft heraus soll Werner S.
       einem italienischstämmigen Mithäftling, der mit Kontakten zur Mafia
       geprahlt habe, 50.000 Euro geboten haben, falls er Paul-Ludwig U. umbringt.
       Auch hier ist nicht klar, was Wahn und was realer Plan war. Gegen Werner S.
       läuft deshalb aber ein weiteres Verfahren.
       
       Vor Gericht wiederholt der Spitzel seine Aussagen bisher nicht. Stattdessen
       wird seine achtstündige Vernehmung durch die Ermittler gezeigt. Für seine
       Anwälte und die Anklage hat das einen Vorteil: U. kann so nicht durch die
       Fragen der anderen Verteidiger unglaubwürdig gemacht werden.
       
       Es sind aber nicht nur die Aussagen von Paul-Ludwig U., welche die
       Angeklagten belasten. Denn auch in ihren Chats und Telefonaten ließen sie
       kaum Zweifel an ihrem Willen zur Gewalt. „Ich bin zu allem, ausnahmslos
       allem bereit, unsere Feinde und deren Sympathisanten auszulöschen“, schrieb
       Werner S. in einem Telegramkanal. Selbst kurz vor der Festnahme, als S.
       bereits den Verdacht hatte, beschattet zu werden, heizte er die Gruppe an,
       man müsse „das Schiff jetzt auf Kurs halten“. Der Mindener Thomas N.
       versicherte Werner S., er wolle „nach Walhall“, wolle losziehen und nie
       wieder zurückkommen. Die Antwort: Genau das werde passieren. Man müsse
       „Geschichte schreiben“. Der Niedersachse Tony E. erklärte, er sei bereit,
       sein „Leben liegen zu lassen“.
       
       Letztlich sollen fast alle Angeklagten auf dem Mindner Treffen Geld für die
       Waffenverkäufe versprochen haben, rund 5.000 Euro pro Person. Auch der
       Polizeimitarbeiter Thorsten W., der sich angeblich unter
       Mittelalter-Freunden wähnte, muss dort bemerkt haben, dass es ernst wurde.
       Er soll in die Runde gefragt haben, ob sein Job bei der Polizei ein Problem
       sei, dann würde er gehen. Und laut Paul-Ludwig U. bot er an, auch mehr als
       die 5.000 Euro beisteuern zu können – was W. bestreitet.
       
       ## Für die Angeklagten sieht es finster aus
       
       Alles nur Gerede? Es ist durchaus möglich, dass das für eine Verurteilung
       reicht. Die Gruppe [6][„Revolution Chemnitz“] wurde 2020 allein aufgrund
       von Chats wegen Rechtsterrorismus verurteilt: Die acht Angeklagten wollten
       ebenso eine „Systemwende“ anzetteln, mit „effektiven Schlägen“ gegen
       „Linksparasiten“. Und schon 2017 wurde die vierköpfige Führung der
       [7][„Oldschool Society“] verurteilt, die ebenfalls über Anschläge auf
       Asylunterkünfte und Moscheen sinnierte, ohne bereits zur Tat zu schreiten.
       
       Bis es in Stammheim zum Urteil kommt, kann es aber noch bis ins nächste
       Jahr dauern. Wegen Coronafällen in einzelnen Vollzugsanstalten wurden
       Prozesstage immer wieder kurzfristig abgesagt. Zudem verfolgen einige der
       27 Verteidiger eine Zermürbungsstrategie. Vorn dabei ist der ehemalige
       AfD-Politiker Dubravko Mandic, der sich in seiner politischen Einstellung
       nur graduell von den Angeklagten unterscheiden dürfte. Mandic, der gerade
       aus dem Anwaltsverein ausgeschlossen wurde, nutzt die Maskenpflicht im
       Verhandlungssaal immer wieder für Scharmützel mit Richter Anderer. Aussagen
       der Angeklagten gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung rechtfertigt er
       politisch.
       
       Als Mandic von „Staatsmedien“ spricht und sein Anwaltskollege den 8. Mai
       1945 als Datum bezeichnet, „das nicht nur Befreiung, sondern vielen
       Deutschen auch Leid gebracht“ habe, wird es selbst einem der anderen
       Verteidiger zu viel. „Herr Vorsitzender, wenn man jetzt die Klappe hält,
       dann kuscht man“, bricht es aus Michael Ried heraus. „Staatsmedien“ sei ein
       Begriff, den er das letzte Mal von seinem Großvater gehört habe.
       
       Offen bleibt, ob in Stammheim wirklich alle Anheizer auf der Anklagebank
       sitzen. Zu dem Mindener Treffen wollte ursprünglich auch der Anführer der
       „Bruderschaft Deutschland“, Ralf N., anreisen. Wegen eines Umzugs hat er
       dann absagt. Laut Paul-Ludwig U. wollte die Gruppe aber auch ihn um Geld
       für ihre Waffenkäufe bitten. Auch zwei Hamburgern, Thorsten K. und ein
       Türsteher mit dem Spitznamen „Togger“, sollten ursprünglich nach Minden
       kommen. Eng verbunden mit einigen Angeklagten war auch Marion G., die
       wiederum an der „Hummelgautsche“ dabei war. Bei einigen dieser Personen gab
       es in den letzten Wochen Durchsuchungen – auf der Anklagebank aber sitzen
       sie nicht.
       
       Und während einige der Bürgerwehren der Angeklagten inzwischen stillgelegt
       sind, gehen bei anderen die Aktivitäten weiter. Die „Bruderschaft
       Deutschland“ etwa beteiligte sich zuletzt an rechtsextremen
       Demonstrationen, rief zu Teilnahmen an den Coronaprotesten auf. „Lasst uns
       unseren Widerstand auf eine neue nationale Ebene bringen“, forderte die
       Gruppe. Man müsse sich in Gruppen zusammenschließen und auf die Straße
       gehen. So hatte es bei Werner S. und seinen Leuten auch angefangen.
       
       26 May 2021
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] /Rechtsextreme-Terrorzelle/!5661403
 (DIR) [6] /Verfahren-gegen-Revolution-Chemnitz/!5673924
 (DIR) [7] /Oldschool-Society-Mitglieder-verurteilt/!5389581
       
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