# taz.de -- Pussy Riot für Ukraine: Maria, erlöse uns von Putin
       
       > Einfache, aber keine vereinfachenden Wahrheiten: Die russische Punkband
       > Pussy Riot kam mit einem Drei-Punkte-Appell in die Berliner Volksbühne.
       
 (IMG) Bild: „Schau hin!“, schreien die PerformerInnen. Pussy Riot in der Volksbühne, Berlin
       
       Sind Sie frei?“ schreit Maria Aljochina ins Mikrofon. Auf der Leinwand sind
       die Aufnahmen eines russischen Gefangenentransporters zu sehen. Mit dieser
       Frage konfrontierte die Pussy Riot-Aktivistin einst eine Angestellte der
       Strafkolonie, die der politischen Gefangenen den Moment ihrer Entlassung
       mit genau denselben Worten – aber im Imperativ – ankündigte. Sind die
       Menschen, die für die Autokratie arbeiten oder sie geschehen lassen, frei?
       
       Aljochina hat, als sie diese Frage von der Bühne donnern lässt, die
       Geschichte ihrer feministischen Rebellion gegen die herrschenden Strukturen
       eines autokratischen Staates (bis zum Zeitpunkt ihrer Haftentlassung im
       Dezember 2013) zu Ende erzählt. Was im Raum stehen bleibt, ist diese Frage.
       Sie wandert mit den Bühnenscheinwerfern, die sich dem Saal zuwenden und ihn
       grell illuminieren, in die Zuschauerreihen, trifft einen unvorbereitet,
       schutzlos und geht genau darum rein in eine Bewusstseinsschicht, die sich
       weit unter dem antrainierten Schutzfilm befindet.
       
       ## Querflöte, die wie eine Sirene klingt
       
       Seit ihrer [1][spektakulären Flucht aus dem Moskauer Hausarrest im
       vergangenen April tourt Maria Aljochina] mit [2][„Pussy Riot perfoms Riot
       Days“ durch Europa. Ihren ersten Auftritt hatte sie im Mai im Berliner
       Funkhaus an der Nalepastraße]. Nach sieben Monaten Tour kehrte sie in die
       deutsche Hauptstadt zurück und rockte am Donnerstag die Volksbühne. Im
       Theater am Rosa-Luxemburg-Platz kommt die Pussy-Riot-Bühnenshow besser zur
       Geltung als im Funkhaus. Das zeigt sich vor allem in der größeren
       Videoleinwand und in der ausgefeilteren Lichttechnik. Auch passen hier auf
       die Bühne spielend fünf PerformerInnen, im Funkhaus waren es gedrängt vier.
       
       Tasso Pletner erweitert die Instrumentenpalette um die Querflöte, die bei
       ihr wie eine Sirene klingt. Diana Burkot ist am Schlagzeug und am Pult für
       die vorwärtspeitschenden Beats verantwortlich. Anton Ponomarew entlockt dem
       Saxophon hysterisch-kreischende Töne. Während Olga Borisova und Maria
       Aljochina den russischen Leadpart übernehmen. Die übertitelte Performance
       enthält zu einem großen Teil dieselbe Erzählung wie im Mai, es ist die
       Vertonung und Bebilderung von Aljochinas biographischen Aufzeichnungen
       „Riot Days“.
       
       ## Maria und Maria Magdalena
       
       Es sind einfache, aber alles andere als vereinfachende Wahrheiten, die mit
       schnellen Bässen unterlegt im packenden Punk-Aufklärungs-Agitprop verkündet
       werden: So ist es vor allem die Verzahnung von kirchlichen und staatlichen
       Machtstrukturen, die Pussy Riot, 2011 gegründet, von Anfang an in ihrer
       Heimat Russland kritisieren.
       
       Ein Jahr später gibt es dann den großen Skandal mit dem (41 Sekunden
       dauernden) Punk-Gebet in der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale. Einem
       nach dem Zerfall der UdSSR neuerbauten gigantischen Gotteshaus, in dem
       Patriarch Kirill und Wladmir Putin gern den Schulterschluss zwischen
       orthodoxer Kirche und autokratischem Herrschertum demonstrieren. Maria
       Aljochina unterlegt die stummen Bilder mit den Worten von damals: „Maria,
       erlöse uns von Putin!“ Pussy Riot ordnete im Punk-Gebet Maria und Maria
       Magdalena, zwei zentrale Frauenfiguren des Neuen Testaments, in einen
       feministischen Kontext ein.
       
       ## In der Ukraine gibt es keine Nazis
       
       „Schau hin!“ schreien alle PerformerInnen immer wieder, als in schneller
       Folge Fotos von politischen Gefangenen gezeigt werden, die momentan in
       Russland ihrer Freiheit beraubt werden. Als Zugabe gibt es den neuen
       Ukraine-Song, der am 24. Dezember auf Youtube gestellt wurde. Es ist auch
       die Vertonung eines Telefongesprächs zwischen einem russischen Soldaten und
       seiner Mutter: „Mama, bitte schalte den Fernseher nicht ein! In der Ukraine
       gibt es keine Nazis.“ In dem Lied wirft Pussy Riot dem Westen vor, Russland
       in den letzten zehn Jahren Waffen geliefert zu haben.
       
       Und so endet der Abend mit einem radikalen Drei-Punkte-Appell, der so auch
       auf dem Youtube-Video zu finden ist: 1. Embargo auf russische Waffen, Gas,
       Erdöl und Kohle. 2. Einfrieren aller Konten und Immobilien von russischen
       Funktionären und Oligarchen. 3. Putin und allen für den Angriffskrieg
       Verantwortlichen wird der Prozess gemacht. „Ukraine, ich liebe dich“,
       singen Aljochina und Borisowa.
       
       Pletner hat unterdessen ein Putin-Porträt an den Tisch gelehnt, stellt sich
       auf den Tisch, blickt auf das Poträt runter, nimmt eine Wasserflasche,
       schüttet sich den Inhalt in den Ausschnitt und wartet, bis das Wasser sich
       auf Putins Kopf ergießt, als würde sie auf ihn pissen. Die
       Pussy-Riot-T-Shirts und Hoodies gehen nach dem Konzert weg wie warme
       Semmeln. Man weiß, mit den Einnahmen wird ein Kiewer Krankenhaus
       unterstützt, und wird gern zum Gratis-Werbeträger für einen David, der
       einfach nicht aufhört, sich mit Goliath anzulegen.
       
       30 Dec 2022
       
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