# taz.de -- Pussy Riot im Konzert in Berlin: Die Kraft des Verharrens
       
       > Die aktivistische russische Band Pussy Riot startet ihre „Anti-War-Tour“
       > in Berlin. Von Putin wollen sie sich nicht zum Opfer machen lassen.
       
 (IMG) Bild: Spektakuläre Flucht: Maria Aljochina von Pussy Riot in Berlin
       
       Ich heiße Anastassia und bin aus der Ukraine geflüchtet. Ich möchte euch
       daran erinnern, dass es in der Ukraine immer noch Leben gibt. Das zeigt
       euch dieses Video aus Kiew.“ Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen nun junge
       vereinzelte Menschen, die sich mit geschlossenen Augen an die Wände eines
       halb zerstörten Hauses schmiegen und Ruhe ausstrahlen.
       
       Man nimmt sie auf diesen Bildern nicht als Opfer wahr, sondern sieht die
       Kraft, die aus ihrem Verharren dort entsteht. Eine starke Setzung am Anfang
       des Pussy-Riot-Konzerts, dessen Erlöse in die Ukraine-Hilfe fließen, um
       minderjährige Geflüchtete und ein Krankenhaus vor Ort zu unterstützen.
       
       Dann betreten am Donnerstagabend Diana Burkot, Anton Ponomarew, Olga
       Borisova und Maria Aljochina die Bühne im Berliner Funkhaus. Es ist ihr
       erstes Konzert nach Beginn der Pandemie und der Auftakt der „Pussy
       Riot-Anti-War-Tour“, die unter anderem in Amsterdam, Barcelona und Zagreb
       Station machen wird. Und es ist die Wiederaufnahme einer Vor-Corona-Show,
       in der Texte aus Aljochinas Buch „Riot Days“ vertont werden. Ergänzt um
       einen frisch produzierten Ukraine-Song.
       
       Gedrängt stehen die Menschen vor der Bühne. Maria Aljochina hat viel
       Publicity bekommen in den letzten Tagen, nach dem Bekanntwerden [1][ihrer
       spektakulären Flucht] aus der von Sicherheitskräften bewachten Moskauer
       Wohnung. Nun steht sie im schulterfreien weißen Rüschenkleid vor der
       jubelnden Menge und nimmt dieser Aktion das Heldenhafte, indem sie darauf
       beharrt, nicht aus Russland geflohen zu sein, sondern dass sie nur wegen
       der Tour rauswollte bzw. -musste.
       
       „Jeder kann jederzeit nach Russland zurück, er riskiert nur etwas“, sagt
       sie im Interview, angesprochen auf die vielen russischen KünstlerInnen, die
       jetzt im Exil leben, nicht wissen, wann sie zurückkehren können, und
       darunter leiden. Für Maria Aljochina existiert dieses Problem nicht. „Ich
       war [2][zwei Jahre in der Strafkolonie,] bin in den letzten zwölf Monaten
       sechs Mal für 15 Tage inhaftiert gewesen, lebe sonst im Hausarrest und bin
       lange mit einer elektronischen Fußfessel herumgelaufen. Im Grunde ist das
       alles nicht so wahnsinnig tragisch, das kann man schon aushalten.“ Und so
       ist sie jetzt auf keinen Fall im Exil, sie ist auf Tour, sagt sie.
       
       ## Das Punk-Gebet
       
       Das Konzert ist im Prinzip ein mit „Riot Days“-Texten versehener
       Videoschnispel-Vortrag, der die Gründe für Pussy Riots Punk-Gebet benennt,
       das den Aktivistinnen 2012 einen spektakulären Prozess einbrachte. Auf der
       Bühne sind ein Laptop, ein Schlagzeug und ein Saxofon für die musikalische
       Gestaltung verantwortlich. Maria Aljochina und Olga Borisowa beherrschen
       als Leadsängerinnen die Bühne und kommen auch immer mal ganz nah zum
       Publikum.
       
       Immer wieder gibt es Fotos von Putin und dem Patriarchen Kyrill, die mit
       harten Beats unterlegt werden und dem Kommentar: „Beide sind Tschekisten.“
       Ein Synonym für den KGB.
       
       Aljochinas und Borisowas russischer Sprechgesang knallt von der Bühne wie
       eine Gewehrsalve, Schlagzeug und Laptop peitschen sie durch den Abend.
       Content ist wichtig für diese Punk-Band und so gibt es eine deutsche
       Übertitelung. Der erste Teil des Konzerts ist Widerstands-Agitprop at its
       best. Es ist klar, wer der Feind ist: Putin. Und es ist klar, was man tun
       muss: eine Revolution machen, aber nicht die von 1917. Aber erst mal auf
       die Verflechtung von Macht und Kirche in Russland hinweisen, darum das
       Punk-Gebet in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, der „Hofkirche“ des
       Kreml.
       
       ## Nicht kaputt machen lassen
       
       Fotos dieses Gebets werden jetzt im zweiten Teil von einem Reenactment auf
       der Bühne begleitet. Dann Fotos von der Verhaftung, im Gerichtssaal, vom
       Gefangenentransporter und der Strafkolonie. Begleitet von stampfenden
       Bässen und der Behauptung, keine Angst zu haben. Das Narrativ ist
       bestechend: Alles, was dich kaputt machen soll, macht dich nur noch
       stärker. Es ist die dezidierte Verweigerung, Opfer zu sein. Und so gewinnt
       Aljochina sogar einen Prozess gegen die Leitung der Strafkolonie. Ein Novum
       in Russland.
       
       Der dritte Teil des Acts ist im Prinzip eine Heldenerzählung, von der
       Heldin selbst vorgetragen. Eine russische Mutmachgeschichte, vergleichbar
       mit der von Alexei Nawalny.
       
       Dann streift sich Maria Aljochina ein T-Shirt mit den Farben der Ukraine
       über und singt: „Mama, ich bin in Gefangenschaft. Mama, hier sind wirklich
       keine Nazis.“ Dazu werden Fotos von blutjungen russischen Kriegsgefangenen
       eingeblendet. „Butscha“ steht groß auf der Leinwand. Es ist der Ort, der
       als Synonym für die russischen Kriegsverbrechen steht. „Slava Ukraini“,
       Ruhm für die Ukraine, ruft Aljochina ins Mikrofon, streckt die geballte
       Faust nach oben und geht.
       
       13 May 2022
       
       ## LINKS
       
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