# taz.de -- Recycling von Verpackungsmüll: Wurst mit Wasserzeichen
       
       > Menschen stopfen alles Mögliche in den Gelben Sack, das erschwert die
       > Wiederverwertung. Eine neue Technik könnte beim Sortieren Abhilfe
       > schaffen.
       
 (IMG) Bild: Sackaufreißer, Windsichter und Schüttelsiebe bei der Arbeit: Ein Blick in die Erftstädter Müllsortieranlage
       
       Der beißend säuerliche Geruch, der einem beim Betreten der
       Leichtverpackungssortieranlage entgegenschlägt, erinnert an verrottenden
       Fetakäse. Der Boden ist gespickt mit Nudelverpackungen, Tüten, Crèmetuben
       und Joghurtbechern, einige noch in gutem Zustand, andere komplett
       undefinierbar.
       
       Michelle Bongartz, die stellvertretende Leiterin der Sortieranlage im
       nordrhein-westfälischen Erftstadt, verteilt Warnwesten an die
       Besucher:innen und manövriert sie beiläufig aus der Fahrbahn eines Lkw.
       Die Ärmel ihrer Jacke in Neonorange sind schmutzig. Die 25-Jährige schreckt
       nicht davor zurück, selbst auch mal im Müll zu wühlen.
       
       33 bis 37 Lastwagenladungen Müll aus dem Gelben Sack werden hier täglich
       abgeliefert. Sie kommen hauptsächlich aus Köln und den umliegenden
       ländlichen Gebieten.
       
       Abfallunternehmen müssen [1][eine Recyclingquote erfüllen], sonst drohen
       ihnen Strafen: Mindestens 50 Prozent des angekarrten Mülls müssen in der
       Sortieranlage des Unternehmens Remondis so präpariert werden, dass
       Recyclingunternehmen ihn weiterverarbeiten können. Die Gelben Säcke
       gleichen oft Überraschungstüten. Müll, der in der Gelben Tonne nichts zu
       suchen hat, wird Fehlwurf oder „tote Katze“ genannt. Ein eindeutiger
       Spitzname. „Das Absurdeste, was hier jemals gefunden wurde, ist ein
       Rinderkopf“, sagt Michelle Bongartz.
       
       ## Plastik ist nicht gleich Plastik
       
       Unsachgemäß entsorgter Müll kann sogar gefährlich werden: Teilweise musste
       die Feuerwehr mehrmals pro Woche in der Sortieranlage anrücken.
       Hauptverursacher sind Akkus und Batterien, die eigentlich nichts im Gelben
       Sack zu suchen haben. Der „tote Katze“-Anteil liegt in Erfstadt bei etwa
       einem Drittel. Der restliche Müll soll irgendwie weiterverwendet werden:
       Aluminium beispielsweise geht nach Italien, Dosen werden von der
       Metallindustrie abgekauft und auch Kunststoffe lassen sich weiter verwerten
       – wenn vorher gut sortiert wurde.
       
       Die Verpackungsbranche ist zentral für eine [2][funktionierende
       Kreislaufwirtschaft]. Kunststoffverpackungen in den Kreis zu integrieren,
       ist jedoch kompliziert. Das Material verliert mit jedem Recyclingprozess an
       Qualität. Außerdem ist der Prozess aufwändig und teuer. Plastik ist eben
       nicht gleich Plastik, und Verpackungen können aus ganz unterschiedlichen
       Kunststoffsorten bestehen. Je nach Verwendungszweck sind die hart und
       stabil oder weich und beweglich, für jede Anforderung gibt es die passende
       Variante. Immer noch werden Verpackungen auch aus schlecht recyclebaren
       Kunststoffgemischen hergestellt.
       
       Am schlimmsten sind aber Verbundverpackungen aus mehreren Materialien,
       [3][etwa Joghurtbecher], bei denen Kunststoff, Aluminium und Pappe
       zusammenkommen. Wird der Becher als Ganzes in den Müll geschmissen,
       befördert ihn die Sortiermaschine zum Plastik. Die anderen Stoffe gehen
       fürs Recycling verloren und erschweren gleichzeitig den Recyclingprozess
       des Plastiks.
       
       ## QR-Codes sollen beim Sortieren helfen
       
       Ein neues Projekt könnte einige dieser Probleme bald lösen. Etwa 160
       Unternehmen unterstützen die Initiative mit dem schillernden Namen Holy
       Grail 2.0. Sie wollen jede Verpackung mit einem eigenen digitalen
       Wasserzeichen ausstatten. Ein kaum sichtbarer QR-Code soll die Außenseiten
       der Verpackungen bedecken. Kameras können dann die Informationen über
       Materialzusammensetzung, Recyclingfähigkeit und Art der Verpackung auslesen
       und so beim Sortieren helfen. Alleine die Verpackungen nach Food und
       Non-Food zu trennen, würde den Recyclingprozess revolutionieren. Damit
       könnten beispielsweise die Hygieneauflagen für recycelte Essensverpackungen
       erfüllt werden und Wurst bald eine Haut aus recyceltem Plastik bekommen.
       
       Aktuell durchläuft der Müll zahlreiche Stationen, in denen er nach
       einzelnen Eigenschaften aufwändig sortiert wird, soweit das mit den
       Maschinen möglich ist. In der Sortieranlage rüttelt, klopft und pfeift es
       aus allen Ecken, im Einsatz sind unter anderem Sackaufreißer, Windsichter
       und Schüttelsiebe. Alle Materialien und Formen können die Sensoren nicht
       zuordnen und die Müllteile laufen anschließend noch an
       Mitarbeiter*innen vorbei, die mit Händen und langen Eisenhaken falsche
       Teile herausfischen. Während Bongartz vom Anlagenalltag berichtet, pflückt
       sie beiläufig störenden Müllstücke vom Band: „Im Sommer sind Badetiere im
       Input zu finden, im Herbst Laubsäcke und im Winter Weihnachtsbaumnetze.“
       Auch Müll ist saisonal.
       
       Aus einem bunt gemischten Müllhaufen werden in der Anlage 13 verschiedene
       Produkte zu Ballen gepresst und stehen zur Weiterverarbeitung bereit. Was
       nicht verwendet wird, geht an Kraftwerke, Zementwerke oder wird in der
       eigenen Verbrennungsanlage energetisch verwertet.
       
       ## Bis 2030 muss in der EU viel mehr recycelt werden
       
       Die Ballen kaufen Recyclingunternehmen und stellen aus ihnen mit
       aufwändigen Verfahren neue Kunststoffprodukte her. Solches Rezyklat wird
       viel in der Bauindustrie verwendet. Abwasserrohre, Parkbänke und sogar
       Pflastersteine waren oft einmal Plastikverpackungen. Verpackungen von
       Putzmitteln, Waschpulver oder Kosmetikartikeln haben immer mehr
       Rezyklatanteil.
       
       2019 wurde laut dem Branchenverband Plastics Europe nur 5 Prozent des
       Kunststoffs in Verpackungen aus recyceltem Material hergestellt. Das neue
       EU-Verpackungsgesetz sieht jedoch vor, den Anteil bis 2030 auf mindestens
       25 Prozent zu erhöhen. Um dieses Ziel erreichen zu können, muss Rezyklat
       günstiger und qualitativ hochwertiger werden.
       
       Helfen könnte nun eben Holy Grail 2.0. Nachdem die Wasserzeichen die
       technischen Versuche erfolgreich bestanden haben, beginnt jetzt die
       Testphase am Markt. 2024 werden in Frankreich sieben Unternehmen die
       Wasserzeichen auf bestimmte Verpackungen drucken. In einer Sortieranlage in
       Brenouille können sie ausgelesen und extra sortiert werden.
       
       Die mit Wasserzeichen gekennzeichneten Verpackungen sollen in Waschmittel
       und Kosmetik aufgeteilt werden. Ziel ist es, ein Granulat herzustellen, das
       ohne viel Qualitätsverlust zur gleichen Verpackungsart geformt werden kann.
       Bevor Michelle Bongartz und ihr Team die Sortieranlage für die neue Technik
       umrüsten, muss die sich erst mal wirtschaftlich beweisen.
       
       Die Müllverarbeitungs- und Recyclingbranche arbeitet meist abseits der
       Öffentlichkeit. Dabei ist sie sehr stark auf alle Menschen angewiesen, die
       Müll verursachen. Die können auch jetzt schon einiges dazu beitragen, dass
       wichtige Rohstoffe im Kreislauf bleiben. Zum Beispiel den [4][Deckel vom
       Behälter trennen], bevor er im Müll landet, und sich darüber informieren,
       welcher Abfall in welche Tonne gehört.Korrekturhinweis: In einer vorherigen
       Version dieses Textes war von einem Windtrichter die Rede, richtig ist aber
       der Begriff Windsichter. Die Anlage produziert 13 verschiedene
       Sortierprodukte, allerdings bestehen sie nicht, wie fälschlicherweise
       ursprünglich erwähnt, alle aus Plastik, sondern beinhalten auch
       beispielsweise Metall und Papier. Wir haben die beiden Fehler korrigiert.
       
       9 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Kreislaufwirtschaft-kommt-nicht-in-Gang/!5907541
 (DIR) [3] /Pfand-auf-Joghurtdrinks/!5981799
 (DIR) [4] /Studie-zu-Restmuell/!5699352
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Melina Moehring
       
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