# taz.de -- Repressionen gegen Letzte Generation: Wer gefährdet hier die Demokratie?
       
       > Nach der Großrazzia bei der Letzten Generation zeigt sich: Behörden
       > bekämpfen Aktivist:innen statt Missstände. Das hat Tradition in
       > Deutschland.
       
 (IMG) Bild: 600 Menschen zeigen Solidarität mit der Letzten Generation am 24. Mai in Berlin
       
       „Man kennt es nur aus dem Film. Plötzlich wacht man auf, weil gegen deine
       Tür gedonnert wird. Und plötzlich steht ein Polizist mit schusssicherer
       Weste vor deinem Bett und richtet eine Waffe auf dich.“ So schildert die
       Klimaaktivistin Carla Hinrichs in einem Video die Durchsuchung ihrer
       Wohnung durch die Polizei am Mittwoch in Berlin-Kreuzberg. Sie habe noch
       geschlafen als die 25 Beamt_innen ihre Wohnungstür aufgebrochen haben. „Sie
       machen mir Angst“, sagt sie dann noch.
       
       Law-and-Order-Methoden im Umgang mit der Letzten Generation sind kein
       Novum. Doch der Großschlag im Auftrag des bayerischen Landeskriminalamts
       und der Generalstaatsanwaltschaft München am Mittwochmorgen hatte eine neue
       Qualität: 15 Hausdurchsuchungen in sieben Bundesländern, zwei
       beschlagnahmte Konten und sichergestellte Vermögenswerte, eine
       beschlagnahmte und auf die Adresse der Polizei Bayern umgeleitete Webseite
       sowie mehrere gesperrte E-Mailadressen. Auf der Seite der
       Generalstaatsanwaltschaft wurde die Großaktion wie folgt begründet: „Die
       Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß §129 StGB dar!“
       
       Doch das ist eine Lüge. Denn auch für linke Aktivist_innen gilt die
       Unschuldsvermutung, und bislang laufen lediglich Ermittlungsverfahren. In
       Bayern und Brandenburg wird der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung nach
       Paragraf 129 geprüft.
       
       Der sogenannten Schnüffelparagraf ist ein hartes Kaliber, er ermöglicht
       verdeckte Ermittlungen und andere Überwachungsmethoden, kam schon bei
       Mitgliedern des IS, der Hells Angels oder bei Holocaustleugnern zum
       Einsatz. Die Entscheidung, ob die Letzte Generation auch darunter fällt,
       obliegt Gerichten.
       
       ## Großer Einschüchterungsversuch
       
       Dass ihre Aussage falsch war, [1][hat mittlerweile auch die
       Generalstaatsanwaltschaft München einräumen müssen.] Doch auch davon
       abgesehen, scheint das Vorgehen dieser Woche maßlos übertrieben. Mit 25
       zumindest teilweise bewaffneten Polizist_innen die Wohnung einer
       schlafenden Klimaaktivistin stürmen? Die durch die Letzte Generation
       verursachten Staus mögen nerven, aber macht sie das wirklich zu einer
       „kriminellen Vereinigung“? Oder hält die Politik dem Druck, den die
       Aktivist_innen seit Monaten aufbauen, einfach nicht mehr stand? Das
       Ganze wirkt wie ein großer Einschüchterungsversuch.
       
       Seit 2022 blockieren die Aktivist_innen Flughafenrollfelder, kleben
       sich auf Straßen, beschmutzen Mahnmale oder bewerfen Gemälde mit
       Lebensmitteln. Nicht aus Spaß an der Freude, sondern um darauf hinzuweisen,
       dass die Ampelregierung als aktive Umsetzungsblockade von wirksamen
       Klimaschutzmaßnahmen agiert. Und damit haben sie einen Punkt: Die
       Klimamaßnahmen in Deutschland reichen nicht aus, [2][um das 1,5-Grad-Ziel
       zu halten], und die Regierung bekommt nicht mal ein Heizungsgesetz auf die
       Kette. Die Aktivist_innen protestieren friedlich und wehren sich nicht
       einmal dann, wenn sie von Passant_innen beschimpft, bespuckt oder
       gewalttätig angegangen werden.
       
       Die eigenen Fehler und Untätigkeiten vorgeführt zu kriegen, mag schmerzhaft
       sein. Und die Ministerien und Behörden reagieren darauf wie bockige Kinder.
       Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Aktionen der Letzten Generation
       kürzlich erst als „völlig bekloppt“ bezeichnet. Und auch sonst scheint kaum
       jemand einen angemessene Reaktion einzufallen. Die Großrazzia wirkt dabei
       wie eine Verzweiflungstat, um die eigene Ideenlosigkeit zu überdecken.
       Selbst die UN forderte nach den Razzien besseren Schutz für
       Klimaaktivist_innen.
       
       Staatliche Repression als Antwort auf linken Widerstand hat in Deutschland
       Tradition. Während rechtem Treiben oft Gewähr gelassen wird, ist die
       Reaktion auf linken Aktivismus unverhältnismäßig. Das zeigte sich diese
       Woche auch an einem ganz anderen Fall. [3][Die Lehrerin Bahar Aslan] verlor
       nach einem antirassistischen Tweet nicht nur ihren Lehrauftrag an der
       Polizeihochschule, auch ihr Job als Hauptschullehrerin ist nun in Gefahr.
       
       ## Polizeihochschule selbstentlarvend
       
       Aslan twitterte vergangenen Samstag: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen,
       wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil
       der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht.
       Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem
       Land. #Polizeiproblem.“ Es folgte ein rechter Shitstorm, angefeuert nicht
       nur durch einzelne Medien und die Polizeigewerkschaft GdP, sondern auch
       durch Politiker_innen der AfD und CDU.
       
       Infolgedessen entschied sich die Polizeihochschule, die geplante
       Verlängerung von Aslans Lehrauftrag zu widerrufen. In einer
       Pressemitteilung begründete sie das selbstentlarvend wie folgt: Der Tweet
       habe „durch eine pauschalisierende Unterstellung das sensible und wichtige
       Thema Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden unangenehm in den Fokus
       gerückt“.
       
       Mittlerweile steht für Aslan auch eine Entlassung als verbeamtete Lehrerin
       im Raum. Die Bezirksregierung Münster prüft, ob Aslans Tweet
       dienstrechtliche Konsequenzen hat. Juristisch haltbar ist das vermutlich
       nicht, doch als Drohgebärde natürlich wirksam. Unterstützung gab es dabei
       für Aslan weder aus dem CDU-geführten Innen- noch aus dem
       Bildungsministerium. Im Gegenteil.
       
       Man könnte doch meinen, dass es eine demokratische Pflicht sei auf
       gesellschaftliche und politische Missstände aufmerksam zu machen. Doch wer
       bereit ist, für eine bessere Welt – sei es für Klimaschutz oder gegen
       Rassismus – zu kämpfen, erfährt Hass und Repression. Statt diese mutigen
       Menschen zu schützen, kämpft der Staat mit überzogenen Mitteln gegen sie,
       um sie mundtot zu machen. Denn unangenehm sind hier eben immer nur die, die
       gegen Missstände aufbegehren, nicht die, die sie produzieren. Am Ende macht
       der Staat dann das, was er seinen Kritiker:innen vorwirft: Demokratie
       gefährden.
       
       ## Viel Solidarität
       
       Doch nicht alle sind bereit, das hinzunehmen. Bahar Aslan und die Letzte
       Generation haben in den vergangenen Tagen viel Solidarität erfahren. [4][Am
       Freitagvormittag veröffentlichte Zeit Online einen offenen Brief,] in dem
       sich Hunderte Politiker_innen, Polizist_innen, Lehrer_innen und auch
       Angehörige der Opfer des rechtsextremen Attentats von Hanau hinter Aslan
       stellten. Die Letzte Generation hatte nach der bundesweiten Razzia um
       Spenden gebeten, Tausende waren der Bitte nachgekommen. In verschiedenen
       Städten war es auch zu Protestmärschen gekommen.
       
       Dass die Härte der Verfolgung gegen linke Aktivist_innen so viel
       Aufmerksamkeit und Solidarität generiert, ist gut. Doch mit der Härte
       stellt sich die Politik selbst ein Bein. Ihre Aktionen haben eine
       Signalwirkung für andere: Vertrauen in staatliche Institutionen und
       Sicherheitsbehörden wird so geschwächt. Nach der Angst folgt Resignation.
       Wenn sich Aktivist_innen dann beginnen abzuschotten und zu radikalisieren,
       darf sich niemand mehr wundern.
       
       27 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/letzte-generation-website-behoerden-bayern-100.html
 (DIR) [2] /Juristische-Lage-beim-Klimaschutz/!5898660
 (DIR) [3] /Polizei-Dozentin-ueber-Rassismus/!5933417
 (DIR) [4] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-05/bahar-aslan-polizei-entlassung-offener-brief
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carolina Schwarz
       
       ## TAGS
       
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