# taz.de -- Rom*nja-Künstlerin über Frauen: „Gegen Stereotype arbeite ich an“
       
       > Małgorzata Mirga-Tas' Kunst trifft in einer Berliner Ausstellung auf
       > deutschen Expressionismus. Ein Gespräch über Freundinnen, Nacktheit und
       > den Genozid.
       
 (IMG) Bild: Małgorzata Mirga-Tas setzt ihre Bilder aus Textilien zusammen
       
       Das Jahr 2022 war ein wichtiges Jahr für Małgorzata Mirga-Tas. Sie zeigte
       ihre Arbeiten [1][auf der documenta] und bespielte bei der [2][Biennale in
       Venedig] als erste Rom*nja-Künstlerin überhaupt einen Länderpavillon, den
       polnischen. Derzeit ist sie DAAD-Stipendiatin in Berlin, wo sie jetzt ihre
       erste Einzelausstellung in Deutschland eröffnete: Im Brücke-Museum treffen
       ihre farbenfrohen Textilcollagen auf Bilder der Expressionisten und
       deutsche Geschichte. 
       
       taz: Frau Mirga-Tas, mit Ihren Bildern geben Sie Einblicke in das Leben
       Ihrer Familie und der Rom*nja-Community, zum Beispiel beim Kartenspielen am
       heimischen Tisch. Warum? 
       
       Małgorzata Mirga-Tas: Ich will [3][die Kultur meiner Community] zeigen und
       ihre Geschichte erzählen. Ich will zeigen, dass es starke und mutige
       Menschen in dieser Community gibt. Und vor allem, dass Rom*nja ganz
       normale Menschen sind wie andere auch. Wenn sie in ihren Häusern zu sehen
       sind, ist das auch eine Gegendarstellung zum Klischee des Nomadenvolkes.
       Die Community des polnischen Ortes Czarna Góra etwa, wo ich herkomme, hat
       sich dort schon vor langer Zeit niedergelassen. Gegen solche Stereotype
       arbeite ich an. Die Kunst ist dafür ein probates Mittel – immerhin hat sie
       diese Stereotype selbst über Jahrhunderte befeuert. Ein Beispiel sind die
       Radierungen des französischen Grafikers Jacques Callot aus dem 17.
       Jahrhundert, auf denen auch meine Serie „Out of Egypt“ basiert.
       
       In dieser Serie deuten Sie die Grafiken Callots selbstermächtigend um, in
       farbenfrohen und an die Historienmalerei erinnernden Tapisserien. Die Serie
       war auf der documenta fifteen zu sehen. International erfährt Ihre Arbeit
       jetzt viel Aufmerksamkeit. Wie ist das in Polen, woher Sie selbst kommen? 
       
       Das stimmt, mich erreichen gerade sehr viele Ausstellungsanfragen. Aus
       Polen aber, gerade aus größeren Museen, kommen keine. Das war übrigens auch
       schon früher so. Ich musste mir anhören, meine Arbeiten gehörten ins
       ethnografische Museum und nicht ins Kunstmuseum. Die Situation ist
       schwierig. Ich habe zum Beispiel den Eindruck, dass es nicht willkommen
       ist, sich zu den aus der Ukraine geflohenen Rom*nja zu äußern, die in
       Polen ankommen. Doch das ist wichtig, denn sie werden schlechter behandelt
       als andere Geflohene und sind auf Hilfe aus der Community angewiesen. Und
       die kann Hilfsorganisationen wiederum nur mit Spendengeldern aus dem
       Ausland betreiben.
       
       Sie haben in Czarna Góra ein Programm für Roma-Künstler*innen initiiert. 
       
       Ja, schon 2011. Das Programm heißt „Jaw Dikh!“. Jedes Jahr kommen
       Künstler*innen aus Polen und anderen Ländern zu Arbeitsaufenthalten,
       auch bekannte, Delaine le Bas war zum Beispiel schon da. Wir tauschen uns
       aus, arbeiten zusammen, zeigen Ausstellungen. Es ist vor allem ein Angebot
       für Rom*nja-Künstler*innen, aber auch für andere marginalisierte
       Künstler*innen, etwa aus der polnischen LGTBIQ-Community.
       
       In Ihren Bildern verarbeiten Sie bunt bedruckte und kunstvoll bestickte
       Textilien. Woher kommen die Stoffe? 
       
       Viele der Kleidungsstücke sammle ich in meinem direkten Umfeld, zum
       Beispiel bei meiner Mutter oder Freundinnen. Oft nutze ich auch die
       Kleidungsstücke derjenigen, die ich porträtiere. So entstehen sehr
       persönliche Arbeiten.
       
       Sie zeigen vor allem Frauen – aus ihrer Familie, Freundinnen,
       Künstlerinnen, Aktivistinnen. Warum der Fokus auf Frauen? 
       
       Ich bin in einer patriarchalen Umgebung aufgewachsen, in der Frauen die
       ganze Arbeit machen, Männer aber die Entscheidungen treffen. Ich habe schon
       immer gegen dieses System aufbegehrt, zum Beispiel, indem ich mir die Haare
       kurz schnitt. Als ich nach meinem Kunststudium in Krakau zurück nach Czarna
       Góra kam, war mir klar: Ich will die mutigen Frauen aus meiner Community
       zeigen, diejenigen, die etwas verändern.
       
       Eine solche Frau war auch Zilly Schmidt. Sie wurde in einer Thüringer
       Sinti-Familie geboren und überlebte das Vernichtungslager Auschwitz,
       während viele ihrer Verwandten, darunter ihre 3-jährige Tochter, ermordet
       wurden. Im hohen Alter legte Sie öffentlich Zeugnis ab. Für Ihre
       Ausstellung im Brücke-Museum haben Sie ein mehr als drei mal zwei Meter
       großes Porträt von ihr geschaffen, das draußen an der Fassade hängt. Erst
       im vergangenen Jahr starb Zilly Schmidt. Kannten Sie sie vor der Arbeit an
       der Ausstellung? 
       
       Nicht persönlich. Aber mit dem Völkermord an den europäischen Rom*nja und
       Sinti*zze habe ich mich schon in einigen Projekten zuvor beschäftigt.
       Teil des großen Freskos, das ich für die Venedig Biennale geschaffen habe,
       war ein Porträt von Alfreda Markowska, einer polnischen Romni, die
       Widerstand gegen die Nazis leistete und zahlreiche jüdische und Kinder von
       Rom*ja rettete. In einer Ausstellung, die dieses Frühjahr in der Göteborgs
       Konsthall zu sehen war, habe ich die tragische Geschichte von
       Holocaust-Überlebenden thematisiert, die als Rom*nja in Schweden nicht
       willkommen waren. Auch wenn ich diese Menschen nicht persönlich kannte,
       fühle ich mich ihnen verbunden. Wir sind eine transnationale Community,
       teilen eine Geschichte und auch das Trauma des Genozids, das fühlen wir bis
       heute.
       
       In der Berliner Ausstellung beziehen sich einige Ihrer neuen Arbeiten auf
       fotografische Porträts von Rom*nja aus dem [4][Zwangslager
       Berlin-Marzahn]. Dort wurden 1.200 Berliner Rom*nja und Sinti*zze zur
       Zwangsarbeit gezwungen, viele später nach Auschwitz deportiert. 
       
       Mir war es wichtig, den Berliner Kontext einzubeziehen. Bei der Recherche
       stießen wir dann auf diese Fotos unbekannter Frauen aus dem Lager, über
       deren Schicksal wir weiter nichts wissen. Meine Adaption in bunten
       Textilcollagen zeigen sie ganz anders, streifen den rassistischen und
       ethnografischen Blick ab, der in die Schwarz-Weiß-Aufnahmen eingeschrieben
       ist.
       
       Einen solchen Blick warf auch der Expressionist Otto Mueller, der zur
       Brücke-Künstlergruppe gehörte, auf Rom*nja und Sinti*zze. In der
       Ausstellung zeigen Sie eine Mappe von Mueller mit solchen Darstellungen aus
       dem Jahr 1927, allerdings zugeklappt. Mit der Arbeit „Morning Tea“
       reagieren Sie auf eine Lithografie aus dieser Mappe. Was zeigen Sie? 
       
       Als mir Lisa Marei Schmidt, die Direktorin des Museums, die Mappe zeigte,
       hat mich besonders die darin enthaltene Darstellung zweier nackter Frauen
       berührt. Nacktheit ist in unserer Kultur ein Tabu. Die Exotisierung und
       Sexualisierung auf diesen Bildern funktioniert ganz ähnlich wie auf den
       Fotos aus dem Marzahner Zwangslager. Sie basieren auf jahrhundertelang
       kolportierten Stereotypen. Meine farbige Textilcollage zeigt ebenfalls zwei
       Frauen beim Teetrinken, allerdings vollständig angezogen und in häuslicher
       Umgebung. Mir ging es darum, den Frauen ihre Würde wiederzugeben. Ich
       musste daran denken, dass meine Großmutter ungefähr in der Zeit aufwuchs,
       in der Otto Mueller diese Bilder schuf. Nacktheit war für sie undenkbar.
       Solche Bilder sind schmerzhaft. Mit meiner Kunst will ich ihnen etwas
       entgegensetzen.
       
       29 Jun 2023
       
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