# taz.de -- Rot-grüne Energiepolitik in Schweden: Zehn neue Atomreaktoren möglich
       
       > Schwedens Regierung verabschiedet sich in einem Abkommen vom
       > Atomausstieg. Zugleich will man ab 2045 ein „klimaneutrales Land“ sein.
       
 (IMG) Bild: Dieses Archivfoto vom AKW Ringhals ist von 1994. Und ein Ende ist nicht in Sicht
       
       STOCKHOLM taz | Eine Stromproduktion, die ab 2040 zu 100 Prozent auf
       erneuerbaren Quellen beruhen soll und ein Land, das ab 2045 keinerlei
       Klimagase mehr an die Atmosphäre abgibt. Das sind die ehrgeizigen Ziele
       eines Energie- und Klimaabkommens, auf das sich die Schwedens rot-grüne
       Regierung mit einer Mehrheit der Oppositionsparteien geeinigt hat.
       
       Das am Freitagnachmittag in Stockholm präsentierte Programm enthält aber
       auch einen Punkt, der aus einem längst vergangenen Zeitalter zu stammen
       scheint: Es dürfen bis zu zehn neue Atomreaktoren gebaut werden. Deren
       Produktion wird im Prinzip der von Erneuerbaren gleichgestellt, sie dürften
       also gegebenenfalls auch nach 2040 weiterlaufen. Wie überhaupt jedes
       Atomausstiegsdatum gestrichen wurde. Mit dem ausdrücklichen Zusatz: „Es
       wird kein neues mehr geben.“
       
       Spinnen nach den Finnen nun auch die Schweden und wollen wirklich neue
       Reaktoren bauen? Das scheint gegenwärtig eher unwahrscheinlich zu sein.
       Gleichzeitig betont das Energieabkommen nämlich, das es „weder direkte noch
       indirekte Subventionen“ für Atomkraft geben soll. Und beispielsweise Magnus
       Hall, Chef des staatlichen Energiekonzerns Vattenfall hat schon vor
       längerer Zeit einen AKW-Neubau als „Nichtfrage“ bezeichnet: Zu teuer, nicht
       lohnend.
       
       Aber allein die Tatsache, dass auf dem Papier die Tür für Neubauten offen
       gehalten wird, lässt die Atomkraftlobby jubeln. Und dieses Zugeständnis,
       ohne das für die Minderheitsregierung die Zustimmung der
       atomkraftfreundlichen Opposition zum Energiegesamtpaket nicht zu haben
       gewesen wäre, ist nicht das einzige: Gleichzeitig soll auch die Produktion
       der vorhandenen Altreaktoren durch Steuererleichterungen profitabler
       gemacht werden.
       
       Hierzu wird die im Jahre 2000 eingeführte „Effektsteuer“ auf die technische
       Leistung der Reaktoren ab 2017 wieder abgeschafft werden. Was die
       Atomstromproduktion um fast ein Drittel billiger machen dürfte.
       
       ## Von der Atomlobby erpresst
       
       Diesen Beschluss haben sich die Reaktorbetreiber Vattenfall und Uniper –
       die Abspaltung, in die E.ON zwischenzeitlich ihr Schweden-Geschäft
       ausgelagert hat – regelrecht erpresst. Schon im vergangenen Jahr hatten sie
       angekündigt, die vier ältesten ihrer zehn Reaktoren bis spätestens 2020
       stillzulegen, weil diese rote Zahlen schreiben.
       
       Doch auch auf die restlichen sechs kommen Investitionen von mehreren
       hundert Millionen Euro pro Reaktor zu, wenn sie über 2020 hinaus am Netz
       bleiben sollen. Sie müssen bis dahin dann nämlich mit einem neuen
       zusätzlichen unabhängigen Kühlsystem nachgerüstet sein. Das hatte nach
       Fukushima und auf entsprechenden Druck der EU hin die schwedische
       Atomaufsichtbehörde SSM bereits 2014 angeordnet.
       
       Werde das geltende Recht nicht geändert und die „Effektsteuer nicht
       vollständig abgeschafft“, könne man diese Investionen in die „neueren“
       Reaktoren – auch die haben schon bis zu 36 Jahre auf dem Buckel – aus
       wirtschaftlichen Gründen nicht verantworten, drohte Vattenfall an. Vielmehr
       werde man dann „gezwungen sein“ am 31.12. 2019 alle Reaktoren abzuschalten.
       Hall: „Das ist ein endgültiger Bescheid von uns.“
       
       Die Erpressung wirkte. Und Vattenfall & Co konnten erpressen, weil Schweden
       zwar über weite Teile des Jahres ein Stromexportland ist und es Studien
       gibt, wonach es eigentlich recht unproblematisch wäre, acht der zehn
       Reaktoren umgehend stillzulegen. Aber eben nicht alle. Sonst müsste man in
       der kalten Jahreszeit noch auf Importe zurückgreifen. Womit vor allem für
       die industriellen Grossverbraucher die Zeit nahezu kostenlosen Strombezugs
       vorbei sein könnte.
       
       ## Schon 1980 gab es einen Atomausstieg – für 2010
       
       Es rächt sich nun, dass Schweden den Atomkraftausstieg immer wieder auf die
       lange Bank geschoben hat. Dabei hatte das Parlament schon nach einer
       Volksabstimmung im Jahre 1980 beschlossen, dass der letzte Reaktor 2010 vom
       Netz gehen sollte. Doch der Aufbau alternativer Stromproduktion wurde von
       den Stromkonzernen – mit Vattenfall an der Spitze – bewusst verschleppt.
       
       Die längst abgeschriebenen Altreaktoren so lange wie möglich am Netz zu
       lassen, war natürlich ein glänzendes Geschäft. Weshalb nun immer noch fast
       ein Drittel der Stromproduktion aus diesen Reaktoren kommt. Und mit den
       jetzigen Beschlüssen dürften es die Atomstromproduzenten geschafft haben,
       ihr Geschäftsmodell noch ein paar zusätzliche Jahre über Wasser zu halten.
       
       Den weiteren Ökostrom-Ausbau will Schweden mit einem nun zunächst bis 2030
       verlängertem und erweitertem „Stromzertifikationssystem“ erreichen, das in
       etwa der Wirkung der deutschen EEG-Umlage vergleichbar ist. Greenpeace gibt
       sich in seiner Beurteilung gespalten: Einerseits seien die „Samen für eine
       erneuerbare Zukunft gesät“, andererseits gieße man aber die
       Energieproduzenten jährlich mit Milliarden an Steuererleichterungen für
       Atomstrom. Das sei ein Kompromiss der riskiere, dass Schwedens
       Energiepolitik „auf der Stelle tritt, während andere Länder eine
       Energierevolution durchführen“.
       
       11 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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