# taz.de -- Sexualisierte Gewalt in Sachsen: Fast jede Frau erlebte Belästigung
       
       > Eine Studie zeigt, dass sexuelle Übergriffe zum Alltag der Frauen in
       > Sachsen gehören. Im Schnitt wurde jede dritte Frau schon vergewaltigt.
       
 (IMG) Bild: Sexualisierte Gewalt müsse aus der Tabuzone heraus, fordert Sachsens Gleichstellungsministerin Katja Meier (Grüne)
       
       LEIPZIG taz | Fast 90 Prozent von rund 1.300 befragten Frauen in Sachsen
       wurden in ihrem Leben schon mal gegen ihren Willen an intimen Stellen
       berührt, 70 Prozent davon mehrfach. Nahezu alle Befragten haben sexuelle
       Belästigungen wie aufdringliche Blicke, Hinterherpfeifen oder obszöne
       Sprüche erlebt. Das sind Ergebnisse der ersten sachsenweiten
       Dunkelfeldstudie „Viktimisierung von Frauen durch häusliche Gewalt,
       Stalking und sexualisierte Gewalt“, die Sachsens Gleichstellungsministerin
       Katja Meier (Grüne) am Donnerstag in Dresden vorgestellt hat.
       
       Für die Studie, die die Hochschule Merseburg durchgeführt hat, wurden von
       Mai bis Oktober 2022 Frauen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren anonym per
       Online-Fragebogen befragt. Die Forscher:innen wollten nicht nur wissen,
       welche Erfahrungen die Frauen mit sexueller Belästigung, Gewalt und
       Stalking gemacht haben, sondern auch, wie hoch sie das Risiko einschätzen,
       Opfer solcher Delikte zu werden. Darüber hinaus fragten sie die Betroffenen
       sexualisierter Gewalt, ob sie die Taten angezeigt oder ob sie selbst
       anschließend professionelle Hilfe in Anspruch genommen haben.
       
       Wie die Erhebung zeigt, fürchten sich viele der befragten Frauen davor, in
       der Öffentlichkeit sexuell belästigt zu werden. Fast die Hälfte der 16- bis
       30-Jährigen verzichtet deswegen häufig oder sehr häufig darauf, bestimmte
       Kleidung zu tragen. 47 Prozent aus dieser Altersgruppe gaben an, aus Angst
       um ihre Sicherheit nach einer Veranstaltung so gut wie nie alleine nach
       Hause zu gehen. Tendenziell verzichteten jüngere Frauen häufiger auf
       bestimmte Verhaltensweisen als ältere Frauen, heißt es in der Studie.
       
       Nicht nur in der Öffentlichkeit, auch im Internet erleben Frauen sexuelle
       Belästigung oder sexualisierte Gewalt. Die Hälfte der Befragten teilte mit,
       schon mal unerwünschte Nachrichten oder Penisbilder erhalten zu haben. Von
       sieben Prozent der Frauen wurden intime Bilder oder Videos gegen ihren
       Willen online veröffentlicht.
       
       30 Prozent der Befragten wurden vergewaltigt 
       
       Besonders alarmierend sind die Zahlen der versuchten und vollendeten
       Vergewaltigungen. 30 Prozent gaben an, schon mindestens einmal in ihrem
       Leben vergewaltigt worden zu sein. 51 Prozent haben der Studie zufolge
       mindestens einen Vergewaltigungsversuch erlebt, 27 Prozent davon mehrere.
       Die Täter:innen seien fast ausschließlich Männer gewesen, der Tatort
       meist das eigene Wohnumfeld, schreiben die Autor:innen. Sowohl bei den
       versuchten als auch bei den vollendeten Vergewaltigungen seien
       (Ex-)Partner:innen die meistgenannten Täter, gefolgt von Bekannten,
       Freund:innen und Familienmitgliedern.
       
       Wie aus der Erhebung hervorgeht, hätten besonders viele der heute über
       50-Jährigen sexualisierte Gewalt erlebt. Grund dafür seien den
       Autor:innen zufolge unter anderem Generationsunterschiede. Bereits in
       ihrer Kindheit und Jugend hätten die älteren Befragten häufiger Gewalt
       durch nahe Angehörige erfahren als die jüngeren.
       
       Neben sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt fragten die
       Forscher:innen auch nach häuslicher Gewalt. Fast jede zweite Befragte
       gab an, schon mindestens einmal in ihrem eigenen Zuhause psychische Gewalt
       erlebt zu haben. Als Beispiele nannten die Betroffenen Einschüchterung,
       Bedrohung, Erpressung, Manipulation oder Isolation. Körperliche Gewalt wie
       Schlagen oder Schubsen erfuhr der Studie zufolge jede dritte Teilnehmerin.
       
       Klammere man die partnerschaftliche Gewalt aus, sei die Mehrheit der
       Betroffenen häuslicher Gewalt zur Tatzeit minderjährig gewesen, schreiben
       die Autor:innen. Eine strenge Erziehung und Gewalterfahrungen zu Hause
       stünden in engem Zusammenhang. Darüber hinaus seien Befragte, die auf dem
       Dorf leben, häufiger von solcher Gewalt außerhalb der Partnerschaft
       betroffen als Städterinnen.
       
       Viele erleben Gewalt in festen Beziehungen 
       
       In Bezug auf Gewalt in Partnerschaften fanden die Forscher:innen heraus,
       dass Frauen aus Großstädten wie Leipzig und Dresden ebenso häufig
       partnerschaftliche Gewalt erleben wie jene, die in einer Kleinstadt oder in
       ländlichen Regionen wohnen. Mehr als die Hälfte der Befragten mit
       Beziehungserfahrung gab an, im Laufe ihres Lebens schon mal psychische,
       körperliche oder sexuelle Gewalt in einer festen Beziehung erfahren zu
       haben. Hatten die Betroffenen Kinder, richte sich in 50 Prozent der Fälle
       Gewalt auch gegen diese, heißt es in der Studie. Die Täter seien auch bei
       dieser Gewaltform überwiegend männlich.
       
       In der Studie heißt es weiter, dass Gewalt in der Partnerschaft oft [1][mit
       Stalking einhergehe]. 40 Prozent aller Befragten wurde schon gestalkt. In
       der Hälfte der Fälle sei der Stalker der aktuelle oder ehemalige Partner
       gewesen, heißt es. Mehr als die Hälfte der Betroffenen teilte mit, dass ihr
       Leben durch das Stalking „stark“ oder „sehr stark“ beeinflusst wurde.
       
       Eine weitere Erkenntnis der Erhebung: Viele Gewaltopfer nehmen keine
       professionelle Hilfe in Anspruch. Als Gründe nannten sie Scham und die
       Sorge, dass das Erlebte nicht geglaubt werde. Nur ein Drittel der
       Betroffenen gab an, sich an Psychotherapeut:innen oder
       Fachberatungsstellen gewandt zu haben.
       
       Nur wenige Betroffene erstatten Anzeige 
       
       Noch kleiner ist der Anteil der Betroffenen, die Anzeige erstattet haben.
       Je nach Tat liegt die Anzeigequote zwischen vier und 13 Prozent.
       Hauptgründe für eine Anzeige seien der Wunsch, die Gewalt zu beenden und
       den Täter zu bestrafen. Gründe gegen eine Anzeige seien Scham sowie [2][die
       Befürchtung, die Anzeige bewirke nichts.]
       
       „Das ist genau der Punkt, wo wir ansetzen müssen“, teilte
       Gleichstellungsministerin Katja Meier (Grüne) am Donnerstag in Dresden mit.
       Es dürfe nicht sein, dass Betroffene keine Hilfe in Anspruch nähmen oder
       die Taten nicht anzeigten, weil sie sich schämten oder fürchteten, ihnen
       glaube niemand. Es sei die Aufgabe der Politik, dies zu ändern.
       
       „Jedem Mädchen und jeder Frau muss klar sein, dass eben niemals ein
       Übergriff gerechtfertigt ist“, sagte Meier – und betonte, dass Gewalt nicht
       dadurch verursacht werde, dass man bestimmte Kleidung trage oder jemanden
       provoziert habe. „Wenn Gewalt als akzeptables Mittel gesehen wird, um
       eigene Interessen durchzusetzen, dann liegt da einfach eine falsche
       Rollenvorstellung zugrunde, und über genau die müssen wir reden.“
       
       Zusätzlich zur quantitativen Befragung haben die Forscher:innen acht
       qualitative Interviews mit Frauen mit Fluchterfahrung sowie 13 Interviews
       mit Frauen mit Behinderungen geführt. Letztere berichteten, aktuell
       psychische Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe zu erleben.
       
       Die Erfahrungen, die die Befragten in Kindheit und Jugend in Heimen gemacht
       hätten, seien „ausnahmslos negativ“ gewesen, heißt es in der Studie. Auch
       in Krankenhäusern und Psychiatrien hätten die befragten Frauen Gewalt
       erlebt, etwa Kneifen, Fixieren, Auslachen oder die Missachtung der
       Privatsphäre beim Toilettengang.
       
       Die Frauen mit Fluchterfahrung berichteten laut der Studie von Zwang zur
       Prostitution, Menschenhandel, Kidnapping und „erpresserischem Zwang in
       mafiösen Strukturen“. Sie seien etwa unter der Androhung von Kindesentzug
       dazu gezwungen worden, Verbrechen zu begehen. Die geschilderte Gewalt habe
       meist in den Herkunftsländern der Frauen stattgefunden. Keine der befragten
       Frauen habe Anzeige erstattet.
       
       Lucie Hammecke, gleichstellungspolitische Sprecherin der Grünenfraktion im
       sächsischen Landtag, teilte mit: „Die Zahlen zeichnen ein verheerendes
       Bild. Es ist erschreckend, dass fast alle befragten Frauen in ihrem Leben
       bereits sexuelle Belästigung erleiden mussten.“ Die Ergebnisse der Studie
       zeigten, wie wichtig es sei, „dass die sächsische Landespolitik bei
       geschlechtsspezifischer Gewalt nicht wegschaut, sondern aktiv handelt“.
       
       Gleichstellungsministerin Katja Meier kündigte an, auf Basis der
       Studienergebnisse nun Maßnahmen zu entwickeln, um Betroffene von häuslicher
       oder sexualisierter Gewalt oder Stalking gezielt unterstützen zu können.
       
       6 Apr 2023
       
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