# taz.de -- Umgang der Union mit der AfD: CDU definiert Zusammenarbeit neu
       
       > Unionspolitiker*innen rechtfertigen, dass die Thüringer CDU
       > erstmals mithilfe der AfD die Regierung überstimmte. Kritik kommt kaum.
       
 (IMG) Bild: Der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt vor der Abstimmung im Thüringer Landtag am 14.09.2023
       
       BERLIN taz | Die CDU in Thüringen jubelt: Am Donnerstag brachte die
       Oppositionspartei einen Antrag auf Senkung der Grunderwerbssteuer durch den
       Landtag – [1][mit den Stimmen von FDP und AfD]. Noch vor Kurzem hatte der
       Bundesvorsitzende Friedrich Merz jede Zusammenarbeit mit der
       Rechtsaußenpartei kategorisch abgelehnt. [2][Das scheint nun Makulatur zu
       sein] – und der allergrößte Teil der Union zieht mit.
       
       Öffentlich dominiert unter den Äußerungen prominenter
       Parteivertreter*innen das Narrativ: Einen Antrag durchzubringen, der
       ohne AfD-Stimmen chancenlos wäre, sei überhaupt keine Zusammenarbeit. Diese
       Meinung vertritt auch der CDU-Parteichef: [3][„Wir machen das, was wir in
       den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von
       anderen Fraktionen abhängig“], hatte Merz schon am Donnerstagmorgen dem
       Sender RTL gesagt. Die thüringische CDU habe ihr Vorgehen mit ihm
       abgesprochen.
       
       Das sind deutlich andere Töne, als Merz sie noch im Dezember 2021 bei
       seinem Amtsantritt angeschlagen hatte. Damals hatte er eine „Brandmauer“
       gegen die AfD angekündigt und erklärt: „Die Landesverbände, vor allem im
       Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns
       die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten
       Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“
       
       Doch viele Unionsleute scheinen „Zusammenarbeit“ inzwischen sehr eng
       auszulegen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder gab Merz
       Recht, und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der Rheinischen
       Post: „Wie andere Fraktionen sich dazu verhalten, darf für uns nicht
       Maßstab sein.“ So sieht es auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn: „Wir können
       als CDU richtige Positionen nicht aufgeben, nur weil auch die Falschen sie
       richtig finden“, schrieb dieser auf „X“, vormals Twitter.
       
       ## Union in Verteidigungshaltung
       
       Die CDU-Vizevorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein Karin
       Prien [4][sagte im Deutschlandfunk]: Es gebe keine Zusammenarbeit, aber die
       CDU müsse „konstruktive Sacharbeit in Thüringen machen können, ohne dass
       gleich dieser Vorwurf erhoben wird“.
       
       Als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich in Thüringen mit den Stimmen von CDU
       und AfD 2020 kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, sah Prien
       das offenbar noch anders. [5][Damals twitterte sie:] „Um Schaden von
       unserem Land und unserer Partei @CDU abzuhalten, müssen diejenigen, die
       dieses Desaster in Thüringen heute angerichtet haben, jetzt Verantwortung
       übernehmen und den Weg freimachen für einen Neuanfang.“
       
       Nur wenige Unionspolitiker*innen haben sich bislang kritisch zum
       Vorgehen ihrer Thüringer Parteikolleg*innen geäußert. Zu ihnen zählt
       Priens Vorgesetzer, Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel
       Günther.
       
       „Die zunehmende Radikalisierung der AfD erfordert eine noch konsequentere
       Haltung gerade einer konservativen Partei. Ein Vorgehen wie aktuell in
       Thüringen widerspricht dieser Haltung“, erklärte dieser am
       Freitagvormittag. „Ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken mit der AfD
       ist ausgeschlossen. Das gilt auch für eigene Initiativen, die absehbar nur
       mit Hilfe dieser Partei Aussicht auf Erfolg haben.“
       
       Doch auch die rot-rot-grüne Thüringer Minderheitenregierung habe einen
       „schweren Fehler“ gemacht, so Günther. Sie habe es versäumt, „eine Mehrheit
       der demokratischen Mitte mit der CDU zu organisieren“. Die demokratischen
       Kräfte in Deutschland hätten eine „gemeinsame Verantwortung, der AfD
       entgegenzutreten“ und sollten dieser gerecht werden und mit dem
       „Fingerzeigen“ untereinander aufhören.
       
       ## Kritik an naiver Haltung
       
       Das sind klare Worte – aber unter führenden Unionspolitiker*innen
       ist Günther damit ziemlich allein. Kritik am Verhalten der Thüringer CDU
       kommt, wenn überhaupt, aus der zweiten und dritten Reihe. Etwa vom
       ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten und heutigen
       CDU-Landtagsabgeordneten Tobias Hans. „Es ist und es bleibt falsch, mit der
       AfD politische Mehrheiten durchzusetzen. Es braucht doch viel mehr den
       Kompromiss unter den Demokraten, auch um zweifelsohne richtige Ziele zu
       erreichen“, [6][schrieb Hans] auf dem Kurznachrichtendienst „X“, ehemals
       Twitter.
       
       Die CDU-Politikerin und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag,
       Elisabeth Winkelmeier-Becker, [7][erklärte ebenfalls dort:] „Auch nach 1x
       drüber schlafen nicht besser: bin enttäuscht und entsetzt über die
       Abstimmung in #Thüringen! #noafd“.
       
       Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz bezeichnete die Aussage
       vieler Parteikolleg*innen, die Abstimmung stelle keine Zusammenarbeit mit
       der AfD dar, auf „X“ als „naiv“. Anders als von der Landtagsfraktion
       verkündet sei die beschlossene Grunderwerbssteuer [8][„überhaupt keine gute
       Nachricht“, so Polenz:] „Diesen Preis hätte die @cdu_thueringen NIE
       bezahlen dürfen. Klarer Verstoß gegen den Beschluss des CDU-BPT
       (Bundesparteitags, d.Red.), der JEDE politische Zusammenarbeit mit der AfD
       ausschließt“.
       
       „Die Thüringische AfD ist nicht irgendein Landesverband. Es ein klar
       rechtsradikaler der von Höcke geführt wird“, [9][schrieb der
       CDU-Lokalpolitiker Benjamin Daniel Thomas aus Essen.] „Das macht es noch
       schlimmer. Eine #Brandmauer bedeutet auch, dass man keine Anträge stellt
       die wissentlich nur mit der AfD eine Mehrheit bekommen.“
       
       ## Schweigende Union
       
       Indirekter, aber erkennbar mit Bezug auf die Abstimmung in Thüringen
       schrieb der [10][CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich]: „Für eine
       christdemokratische Partei sind die politischen Hauptgegner nicht jene
       Kräfte, mit denen wir zwar im Wettbewerb stehen – und doch auf
       verschiedenen Ebenen auch koalieren, sondern Populisten und Rechtsextreme,
       welche die Demokratie und den Staat selbst attackieren.“
       
       Noch zaghafter äußert Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter und
       ehemaliger Ostbeauftragter der Bundesregierung sein Missfallen. [11][Er
       teilte auf „X“ lediglich die Posts von Ullrich und Winkelmeier-Becker]
       sowie einen kritischen Kommentar aus der Magdeburger Volksstimme, Titel:
       „In Thüringen fällt die Brandmauer gegen Rechts“. Diverse taz-Anfragen an
       Unionspolitiker*innen blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet
       oder wurden abgelehnt. Die Abgeordneten könnten es „nicht einrichten“ oder
       seien „beschäftigt“.
       
       Der Soziologe Matthias Quent sieht in der Thüringer Abstimmung einen
       „weiteren Schritt in Richtung Normalisierung von Rechtsextremismus“, wie er
       der taz sagte. Die Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD sei nur ein weiterer
       Baustein einer Entwicklungslinie, zu der Quent beispielsweise auch den
       Antisemitismus-Skandal in Bayern rund um Hubert Aiwanger und die teils
       offene rechte Flanke von CDU-Parteichef Friedrich Merz rechnet.
       
       ## Sie wissen, was sie tun
       
       Das Argument, man habe lediglich den eigenen Antrag eingebracht, dem die
       AfD zufällig auch zugestimmt habe, will Quent nicht gelten lassen: „Es war
       klar, dass die AfD zustimmt, sie hat extra einen eigenen Antrag von der
       Tagesordnung genommen, damit der CDU-Antrag noch verhandelt werden konnte.“
       
       Die CDU wisse genau, was sie tue, so Quent: „Sie wollte mit der Abstimmung
       das Spektrum des Machbaren erweitern.“ Weil die Mehrheitsverhältnisse in
       Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern extrem kompliziert seien
       und die Bundespartei eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei weiter
       ausschließe, sei eine Annäherung an die AfD die einzige Machtoption, die
       der Union noch bleibe.
       
       15 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zusammenarbeit-mit-der-AfD-in-Thueringen/!5960413
 (DIR) [2] /Schwarz-braune-Allianzen-in-Thueringen/!5957057
 (DIR) [3] https://www.rtl.de/videos/wir-machen-uns-nicht-von-anderen-fraktionen-abhaengig-6502ac9895eea3464a0d8eb8.html
 (DIR) [4] https://www.deutschlandfunk.de/die-cdu-und-die-brandmauer-zur-afd-interview-mit-karin-prien-cdu-bundesvize-dlf-855f54d4-100.html
 (DIR) [5] https://twitter.com/PrienKarin/status/1225132732440883200
 (DIR) [6] https://twitter.com/tobiashans/status/1702376165564993786
 (DIR) [7] https://twitter.com/ElisabethWinke4/status/1702548668081955000
 (DIR) [8] https://twitter.com/polenz_r/status/1702374835496620089
 (DIR) [9] https://twitter.com/BenjaminDThomas/status/1702354661821362248
 (DIR) [10] https://twitter.com/VolkerUllrich/status/1702384545884934277
 (DIR) [11] https://twitter.com/wanderwitz
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
 (DIR) Jana Ballweber
       
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