# taz.de -- Verfahrensbeiständin über Familienstreit: „Manipulation spielt große Rolle“
       
       > Wenn Eltern sich vor Gericht streiten, sollten Kinder immer eine
       > Interessenvertretung bekommen, fordert Verfahrensbeiständin Kristina
       > Blaas.
       
 (IMG) Bild: Kristina Blaas, 33, ist nebenberuflich als Verfahrensbeiständin sowie in der Jugendhilfe tätig
       
       taz: Frau Blaas, mit was für Verfahren haben Sie an Berliner
       Familiengerichten zu tun? 
       
       Kristina Blaas: Unterschiedlich. Das fängt bei ganz kleinen Konflikten an
       wie einem Streit über eine Urlaubsreise und geht bis zum Entzug des
       Sorgerechts. Viele Fälle sind hochstrittig, den Eltern scheint es oft nur
       noch darum zu gehen, den anderen fertigzumachen. Die Kinder geraten hier
       schnell aus dem Fokus.
       
       Wie gehen Sie da vor? 
       
       Ich versuche, das Kind mindestens einmal mit der Mutter und einmal mit dem
       Vater zu treffen. Viele Kinder stecken in einem Loyalitätskonflikt, sie
       haben Angst, ihre Eltern zu verletzen oder zu verärgern. Nach einer kurzen
       Aufklärung im Beisein der Eltern spreche ich mit dem Kind allein. Im
       Gespräch ist es wichtig, empathisch zu sein und offen zu bleiben.
       Vorschnelle Urteile muss ich genauso vermeiden wie Fragen, die nur eine
       Antwort zulassen.
       
       Die Wohnung ist aufgeräumt und Sie werden gut bewirtet. 
       
       Ja, auch. (lacht) Häufig merke ich, dass die Kinder vorbereitet wurden,
       weil sie zum Beispiel Ausdrücke verwenden, die nicht altersgerecht sind.
       Meine Aufgabe ist es dann, den Kindern zu vermitteln, dass sie mir alles
       sagen können und dass ich helfe, ihre Wünsche den Eltern zu erklären. Auch
       mache ich ihnen klar, dass sie ihre Meinung jederzeit ändern können, auch
       noch bei der Anhörung vor Gericht.
       
       Aber ist es nicht schwer für Kinder, sich überhaupt eine Meinung zu bilden? 
       
       Manche wissen schlicht nicht, was sie sich wünschen. oder es ist ihnen
       egal. Und das schreibe ich dann auch so in meinen Berichten. Darin steht
       aber noch anderes, denn ich spreche ja nicht nur mit dem Kind, sondern
       beobachte es auch ganz genau. Wie es sich zu den Eltern verhält, wie es
       über sie und auch sich selbst spricht … Außerdem unterhalte ich mich mit
       beiden Eltern ausführlich und meist auch mit weiteren Personen aus dem
       Umfeld.
       
       Sind Sie also so etwas wie eine Detektivin? 
       
       Nein, auch wenn das viele Eltern denken. Ich spreche das ganz offen an und
       sage, dass ich nicht da bin, um den Konflikt der Eltern aufzuklären. Mir
       geht es allein um das Kind. Alles, was ich tue, dient dazu zu ermitteln,
       was es sich wünscht und welche Lösung am besten wäre.
       
       Woran machen Sie das Kindeswohl fest? 
       
       Das lässt sich so allgemein nicht sagen. Jedes Kind hat andere Bedürfnisse.
       Das gilt auch für Geschwister. Zum Beispiel hat mir neulich eine ältere
       Schwester gesagt, dass sie gerne alle paar Tage zwischen Mutter und Vater
       hin und her wechseln würde, ihr kleiner Bruder braucht dagegen ein festeres
       Modell. Für die Eltern bedeutet das mehr Aufwand, aber um die geht es hier
       nicht.
       
       Die Anwältin Asha Hedayati beklagt in ihrem Buch „Die stille Gewalt“, dass
       der Umgang beider Eltern eine Doktrin an Familiengerichten ist. Weshalb der
       Umgang mit gewalttätigen Vätern häufig aufrechterhalten wird. Erleben Sie
       das auch? 
       
       Ja, das kenne ich auch aus meiner Tätigkeit in einer
       Kleinkindkriseneinrichtung. Oft wird zu sehr auf die rechtliche Seite
       gehört – das Umgangsrecht wird sehr hoch bewertet –, anstatt das Wohl des
       Kindes zu priorisieren. Ich würde zwar nicht per se sagen, dass Kinder
       keinen Umgang mehr haben dürfen, wenn es in der Vergangenheit Gewalt gab,
       aber wenn das Kind deutlich macht, dass es keinen Umgang will, muss darauf
       auch gehört werden.
       
       Hat die Haltung der Familienrichter:innen damit zu tun, dass sie in
       Sachen häusliche Gewalt nicht ausreichend ausgebildet sind? 
       
       Bei Verfahrensbeiständen ist das auf jeden Fall so. Je nach Ausbildung wird
       dieses Thema mehr oder weniger stark bearbeitet. Teilweise werden häusliche
       Gewalt oder Kindesmissbrauch nur am Rande angeschnitten. Viele Beistände
       sind von Haus aus Jurist:innen und mit diesen Themen beruflich oftmals
       noch nie in Berührung gekommen.
       
       Müsste nicht schon bei Verdacht auf häusliche Gewalt der Umgang präventiv
       ausgesetzt werden? 
       
       In solchen Situationen plädiere ich für einen begleiteten Umgang, der in
       einem geschützten Rahmen, also im Beisein von Fachkräften, stattfindet. Das
       ist zwar auch kritisch zu betrachten, weil man sich hier natürlich
       verstellen kann, woraufhin der Umgang dann wieder unbegleitet wird …
       
       … und es wieder zu Gewalt kommt. Ein Grund, warum der Europarat Deutschland
       gerügt hat, das in der Istanbul Konvention festgeschriebene Recht auf
       Gewaltschutz für Frauen und Kinder zu vernachlässigen. Aber zu einem
       anderen Kritikpunkt Hedayatis: Stimmt es, dass Müttern bei Gericht häufig
       unterstellt wird, mit einem „Mutterbonus“ die Kinder an sich zu binden? 
       
       Die Manipulation der Kinder spielt natürlich eine große Rolle in den
       Verfahren, aber meiner Erfahrung nach machen das Mütter genauso wie Väter.
       
       Ihre Empfehlung beeinflusst den Richterspruch maßgeblich, Sie tragen eine
       große Verantwortung. Kann man da gut schlafen? 
       
       In der Regel: ja. Nur wenn ich mir nicht ganz sicher bin, bekomme ich
       Schlafprobleme. Dann weiß ich, dass ich noch weitere Gespräche führen muss.
       Das ist meistens auch möglich. Über besonders schwierige Fälle tausche ich
       mich außerdem mit einem Kollegen aus.
       
       Was muss sich an Berliner Familiengerichten verbessern? 
       
       Dass Kinder bei Verfahren immer einen Beistand bekommen, also nicht nur bei
       Bedarf. Meine Arbeit besteht auch darin, dem Kind zu erklären, wie das
       abläuft bei Gericht. So eine Vorbereitung braucht jedes Kind. Außerdem: Die
       Eltern haben doch auch Anwälte, warum dann nicht die Kinder? Schließlich
       geht es hier doch um sie.
       
       13 Feb 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karlotta Ehrenberg
       
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