# taz.de -- Wendung in Affäre um Lockdown-Parties: Partygate-Gate in Großbritannien
       
       > Ein Parlamentsausschuss wirft Boris Johnson Lügen vor. Die einstige
       > Partygate-Untersuchungschefin Sue Gray geht zur Labour-Opposition.
       
 (IMG) Bild: Haarige Situation: Boris Johnson in London, 3. März
       
       LONDON taz | Mit einer abwertenden Bemerkung zur [1][Nordirlandeinigung]
       zwischen dem britischen Premierminister Rishi Sunak und
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beabsichtigte Boris Johnson
       am vergangenen Donnerstag noch, die Oberhand über die Schlagzeilen zu
       gewinnen und seinem ehemaligen Finanzminister und Nachfolger Sunak eins
       auszuwischen. Doch bereits am Freitag war alles anders.
       
       Da veröffentlichte der [2][Parlamentsausschuss], der prüft, ob Ex-Premier
       Boris Johnson das Parlament bezüglich des „Partygate“-Skandals
       rechtswidriger Zusammenkünfte in 10 Downing Street belogen hat, einen
       [3][Zwischenbericht]. Auf 23 Seiten deutete dieser an, dass Johnsons
       politische Tage womöglich gezählt sind.
       
       Nicht nur ein einziges Mal habe Boris Johnson vor dem Parlament geflunkert,
       sondern insgesamt bei vier Begebenheiten, heißt es. Die Rechtsverstöße in
       seinem Amtssitz hätten dem ehemaligen Premier bewusst sein müssen. Das
       bewusste Verbreiten von Unwahrheiten vor dem Parlament gilt als Verstoß
       gegen die Abgeordnetenregeln.
       
       Johnsons Behauptung am 8. Dezember 2021, kurz nach den ersten Berichten
       über Partys im Lockdown, es habe keine Regelverstöße in der Downing Street
       gegeben, sei falsch gewesen. Dies habe bereits die Ermittlung der Londoner
       Polizei festgestellt, die Johnson schließlich mit einem Bußgeld belegte.
       Ebenso der von Johnson selbst in Auftrag gegebene [4][Untersuchungsbericht
       der Spitzenbeamtin Sue Gray], ehemalige Ethikchefin im Büro des
       Premierministers.
       
       Johnson habe über persönliches Wissen über rechtswidrige Treffen verfügt,
       das er hätte offenlegen können. Statt bei der ersten Gelegenheit die
       Wahrheit zu sagen oder auch frühere Aussagen selbst zu korrigieren, habe
       Boris Johnson immer wieder auf Sue Grays laufende Untersuchung verwiesen.
       
       In zwei Wochen muss sich Johnson selbst vor dem Ausschuss äußern. Sollte
       dieser am Ende empfehlen, dass Johnson für zehn Tage oder länger vom
       Parlament suspendiert wird, und dies auch geschieht, können die Wähler
       seines Wahlkreises mittels eines Volksbegehrens [5][Nachwahlen ansetzen
       lassen]. Dafür müssten sich 10 Prozent der Wählerschaft aussprechen. Ob es
       so weit kommt, muss jedoch das Unterhaus entscheiden. Wie sich dabei die
       Konservativen ausrichten und streiten, bleibt abzuwarten.
       
       ## Von der Johnson-Inquisitorin zum Starmer-Stabschef
       
       Für Johnsons Verteidiger gibt es seit Donnerstag ein nicht minder
       bemerkenswertes Argument. [6][Sue Gray], die den ersten
       Untersuchungsbericht zum Partygate verfasste und damals als unerbittlich
       strenge und unparteiische Gestalt galt, hat am Donnerstag ihr Amt in der
       Downing Street niedergelegt und will Stabschefin des
       Labour-Oppositionschefs Keir Starmer werden.
       
       Nun wollen viele Leute wissen, ob Gray nicht schon längst insgeheim für
       Labour agiert haben könnte und ob ihre Erkenntnisse jetzt überhaupt noch
       für die laufende Untersuchung gegen Boris Johnson tauglich sind. Für hohe
       Beamte gilt eigentlich eine Neutralitätspflicht. Die könnte Gray gebrochen
       haben, zumal sie bis Donnerstag noch ganz normal in der Regierungszentrale
       gearbeitet hat.
       
       Bisher ist nicht bekannt, seit wann Keir Starmer und Sue Gray über einen
       Jobwechsel in Kontakt waren. Aber schon während der Partygate-Untersuchung
       hatte der Labour-Chef gesagt, dass er Sue Gray persönlich kenne und
       schätze.
       
       In Presseberichten am Wochenende hieß es, Sue Gray habe sich nach einem
       neuen Job umgesehen, nachdem sie enttäuscht über den Umgang mit ihr während
       der Partygate-Untersuchung war. Es wurde jetzt aber auch berichtet, dass
       ihr Sohn bereits als Labour-Wahlkämpfer in Boris Johnsons Wahlkreis aktiv
       ist.
       
       Sue Grays Wechsel muss erst noch von einem [7][Komitee] überprüft werden,
       das über die Zulässigkeit des Wechsels hoher Beamter in die freie
       Wirtschaft befindet und Karenzzeiten empfehlen darf. Die endgültige
       Entscheidung liegt dann bei Rishi Sunak.
       
       5 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Einigung-um-Nordirland-Protokoll/!5919151
 (DIR) [2] https://committees.parliament.uk/committee/289/committee-of-privileges/
 (DIR) [3] https://committees.parliament.uk/committee/289/committee-of-privileges/news/186508/privileges-committee-publish-in-advance-of-evidence-session-summary-of-issues-to-be-raised-with-boris-johnson-mp/
 (DIR) [4] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1078404/2022-05-25_FINAL_FINDINGS_OF_SECOND_PERMANENT_SECRETARY_INTO_ALLEGED_GATHERINGS.pdf
 (DIR) [5] https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/sn05089/
 (DIR) [6] /Grossbritanniens-Spitzenbeamtin-Sue-Gray/!5832088
 (DIR) [7] https://www.gov.uk/government/organisations/advisory-committee-on-business-appointments
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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