# taz.de -- ZDF-Moderatorin übers Gendern: „Es setzt Gewöhnung ein“
       
       > Petra Gerster moderiert die „heute“-Nachrichten und gendert dabei seit
       > Kurzem. Im Interview erzählt sie, warum das Thema besonders bei älteren
       > Männern umstritten ist.
       
 (IMG) Bild: Um Gendern tobt ein ideologischer Kampf, sagt Petra Gerster von den „heute“- Nachrichten
       
       taz: Frau Gerster, in Ihren Moderationen hört man Sie immer öfter gendern.
       Sie sprechen von „Länderchefs und -chefinnen“, von „Regierenden“ und seit
       Neuestem auch von „Apotheker*innen“. Wie leicht geht Ihnen das über die
       Lippen, [1][nach 30 Jahren Moderation mit generischem Maskulinum]? 
       
       Ich beschäftige mich schon mein ganzes Leben mit Frauenfragen, habe ja
       schon vor über 30 Jahren angefangen, “Mona Lisa“ zu moderieren, das erste
       bundesweite Frauenmagazin mit emanzipatorischem Anspruch. Klar, dass es mir
       auch bei den Nachrichten ein Anliegen war, Frauen sichtbar zu machen, wo
       immer sie beteiligt sind. Das Gendern mit Sternchen ist aber neu für mich.
       Ich sperrte mich lange dagegen, weil ich fand, gesprochen funktioniere das
       nicht. Dann brachte Claus Kleber im letzten Jahr die Minipause ab und zu in
       seinen Moderationen im heute journal unter und kam dabei sehr
       selbstverständlich rüber. Da ist er mal feministisch an mir vorbeigezogen
       (lacht).
       
       Warum ist Ihnen das [2][Gendern] wichtig? 
       
       In Gesprächen mit der Großfamilie wurde mir bewusst, wie wichtig das Thema
       vor allem für junge Frauen ist. Ich selbst hatte nie ein Problem mit dem
       generischen Maskulinum, fühlte mich tatsächlich immer mitgemeint. Aber
       meine Großnichte, sie ist 20, fühlt sich dadurch diskriminiert.
       Ausgeblendet sozusagen. In dieser Generation – und nicht nur da – hat sich
       also die Wahrnehmung verändert. Und wenn das viele so empfinden, sollte das
       die Sprache widerspiegeln. Sprache ist ja etwas Lebendiges. Sie verändert
       sich mit der Gesellschaft.
       
       Welche Reaktionen bekommen Sie? 
       
       Nach meiner ersten Sendung mit Gendersternchen, im Oktober, haben sich um
       die 60 Leute beschwert. Das ist schon sehr viel. Böse Briefe gab’s vor
       allem von Männern. Aber auch eine Frau schrieb mir polemisch, ob ich jetzt
       auch von der „Papierkörbin“ sprechen wolle. Mittlerweile sind die
       Beschwerden pro Sendung nur noch im einstelligen Bereich, es setzt also
       eine Gewöhnung ein.
       
       Auch andere Redaktionen, die das Gendern eingeführt haben, berichten, dass
       sie sehr emotionale Reaktionen bekommen. Wie erklären Sie sich, dass das
       Sternchen so ein Reizthema ist? 
       
       Um das Thema tobt ein ideologischer Kampf, der vornehmlich von – wie ich
       vermute – älteren Männern geführt wird. Manchmal geradezu hasserfüllt.
       Offenbar geht es hier um eine Machtfrage, um Deutungshoheit. Und um die
       Angst dahinter, etwas von dieser Macht an Frauen und „andere Minderheiten“
       abgeben zu müssen. Ich verstehe nur nicht, was jemand durch
       geschlechtergerechtes Sprechen verlieren könnte.
       
       Sie werden auch öffentlich angegriffen. Der Chefredakteur der rechten
       Wochenzeitung „Junge Freiheit“ twitterte, das ZDF hätte „ohne demokratische
       Legitimation putschartig linksradikales Gendersprech im Sendebetrieb“
       durchgesetzt. Wie gehen Sie damit um? 
       
       Die Behauptung ist schlicht falsch. Mein Sender ist dem Gendern gegenüber
       aufgeschlossen, es gab mehrere Sitzungen dazu, auch mit dem Chefredakteur.
       Ergebnis: Es steht uns frei zu gendern, aber es gibt keinen Zwang.
       Schließlich sind wir gelernte Journalist*innen, die täglich mit der Sprache
       arbeiten. Das ist unser Handwerkszeug. Dass die Junge Freiheit sich auf das
       Thema einschießt, zeigt, wie bedeutsam das Thema für die Rechte ist. Das
       macht mir Sorgen, weil die unsere Freiheit und alles, was wir an
       Fortschritt erarbeitet haben, wieder infrage stellt.
       
       Sie sagen, Gendern sei besonders den jüngeren Menschen wichtig. Die
       „Heute“-Nachrichten werden aber eher von älteren gesehen. 
       
       Das stimmt, und deshalb sollte man auf die Hörgewohnheiten der
       Zuschauer*innen auch Rücksicht nehmen und das Gendern nicht mit dem
       Bulldozer durchdrücken. Außerdem gibt es verschiedene Möglichkeiten,
       Diversität zum Ausdruck zu bringen. Das Wichtigste ist und bleibt der
       Inhalt der Nachrichten, von dem man nicht durch zu viele Veränderungen
       ablenken sollte.
       
       Gibt es Begriffe, die Sie nicht gendern? 
       
       Ich würde beispielsweise nicht von Neanderthaler*innen sprechen, das
       entbehrte nicht einer gewissen Komik. Und bei Delikten wie der
       Kinderpornografie würde ich wohl in den meisten Fällen von Tätern sprechen.
       Gendern sollte man nicht aus Prinzip, um seiner selbst willen, sondern
       kontextabhängig und sensibel.
       
       Der Mediendienst Kress hat gezählt, dass Frauen in den Nachrichtensendungen
       des Jahres 2020 noch seltener eine Rolle spielten als vorher. In den
       „Heute“-Nachrichten kamen auf acht gezeigte männliche Experten, Politiker,
       Wissenschaftler nur zwei Frauen. Wie passt das zu Ihrem Gendern? 
       
       Ich denke, das passt gut zusammen. Offenbar ist das Bedürfnis nach einer
       geschlechtergerechten Sprache ja eben deswegen so groß, weil Frauen –
       wieder oder immer noch – weniger präsent sind. Wir erleben derzeit ja nicht
       nur einen neu belebten jungen Feminismus, sondern auch einen Roll-Back in
       Sachen Gleichberechtigung. Ich bin Feministin seit meinem 14. Lebensjahr
       und hatte immer die naive Vorstellung, Geschichte verlaufe linear, in
       Richtung Fortschritt. Den gibt es zweifellos. Heute müssen Frauen nicht
       mehr, wie in den 70ern, ihren Ehemann fragen, ob sie arbeiten dürfen. Aber
       im Bundestag sitzen heute weniger Frauen als vor 20 Jahren. Das ist
       ernüchternd. Wie die Tatsache, dass in unseren Nachrichtenfilmen immer noch
       viel zu wenige Frauen auftreten.
       
       Woran liegt das? 
       
       Nun, zum einen an der noch immer männerdominierten Realität, die wir
       abbilden müssen, oft ist es aber einfach auch Bequemlichkeit. Man braucht
       einen O-Ton, und als erstes fällt einem der Mann ein, den man schon hundert
       Mal als Experten gesehen und abgespeichert hat. Das war auch zu Beginn der
       Coronapandemie so. In den ersten Monaten kamen nur Virologen und
       Epidemiologen zu Wort, und alle Welt bekam den Eindruck, das sei eine rein
       männliche Domäne. Inzwischen wissen wir es besser und sehen auch in den
       Talkshows immer öfter eine Corona-Expertin. Nach den kompetenten Frauen
       muss man eben suchen, weil sie sich oft auch selbst nicht in den
       Vordergrund drängen, und das kostet Zeit und Mühe. Daher haben wir bei den
       Nachrichten inzwischen Listen angelegt, auf denen Expertinnen und ihr
       Fachgebiet gesammelt werden, um sie als O-Tongeberinnen ins Programm holen
       zu können. Nur so geht es.
       
       17 Jan 2021
       
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