# taz.de -- Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge: Selbstzufrieden und kaltschnäuzig
       
       > Die medizinische Behandlung von Flüchtlingen verstößt gegen die
       > Menschenrechte, rügt die UNO. Die Regierung gibt sich unbeeindruckt.
       
 (IMG) Bild: Steinerne Mienen beim 7. Integrationsgipfel der Bundesregierung
       
       BERLIN taz | Ein plötzlicher schwerer Durchfall, eine Blinddarmentzündung,
       ein Beinbruch – wer akut erkrankt als Flüchtling in Deutschland, der hat
       Aussicht auf eine angemessene ärztliche Behandlung: Die medizinische
       Notfallversorgung ist nach dem Asylbewerberleistungsgesetz garantiert und
       wird vom Staat bezahlt. Doch anstatt einfach zum Arzt zu gehen, müssen
       Asylsuchende in den meisten Bundesländern bei den zuständigen
       Flüchtlingsbehörden eine Behandlungsgenehmigung einholen.
       
       Dramatischer ist es bei chronischen Krankheiten wie etwa Diabetes oder bei
       psychischen Leiden aufgrund von Folter oder anderer Traumata: Während der
       ersten 15 Monate ihres Aufenthalts haben Asylbewerber mit derlei
       Erkrankungen keinerlei gesetzlichen Anspruch auf Gesundheitsversorgung, wie
       sie allen anderen im Land nach dem Sozialgesetzbuch gewährt wird. Solange
       keine akuten Schmerzen da sind, müssen sie sehen, wie sie mit ihren Leiden
       klarkommen.
       
       Nur im Ausnahmefall gewährt das Asylrecht die Bewilligung von Therapien
       chronischer Erkrankungen. Selbst die jüngsten Flüchtlingsdramen auf dem
       Mittelmeer haben an dieser Praxis nichts geändert. Die Bundesregierung
       sieht eine Ausweitung der Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge weiterhin
       „als nicht notwendig an“. Das geht aus der Kleinen Anfrage der
       Linksfraktion an die Regierung hervor, die der taz vorliegt.
       
       Es gebe keinen Handlungsbedarf, „da die geltenden Regelungen (…) bereits
       derzeit eine angemessene gesundheitliche Versorgung der
       Leistungsberechtigten erlauben“, schreibt die Parlamentarische
       Staatssekretärin im Bundessozialministerium, Gabriele Lösekrug-Möller. Eine
       restriktive Auslegung des Gesetzes hätten einzig die Länder zu
       verantworten: „Zu Auslegungsfragen bzw. zur Anwendung (…) in einzelnen
       Leistungsfällen kann die Bundesregierung keine Aussagen treffen, da die
       Länder das Asylbewerberleistungsgesetz als eigene Angelegenheit (…)
       ausführen.“
       
       ## Manche sind gleicher als andere
       
       ## 
       
       Diese Einschätzung hält nicht nur die oppositionelle Linken-Abgeordnete
       Birgit Wöllert für „an Kaltschnäuzigkeit kaum zu überbieten“. Der
       Rechtswissenschaftler Markus Kaltenborn von der Ruhr-Universität Bochum,
       Experte für internationalen Menschenrechtsschutz und das Recht sozialer
       Sicherungssysteme, warnt: „Das Sonderregime, das die Regierung für
       Asylbewerber bereithält, ist unvereinbar mit dem Völkerrecht.“
       
       Im Völkerrecht gebe es „einen menschenrechtlich begründeten Anspruch auf
       Gesundheitsleistungen – und ein Diskriminierungsverbot“. Ohne
       nachvollziehbaren Grund dürfen Menschen demnach nicht unterschiedlich
       behandelt werden, schon gar nicht aufgrund ihres Rechtsstatus oder ihrer
       Ausweispapiere. „Die Bundesregierung indes stellt sich auf den Standpunkt,
       man dürfe Menschen, die nur kurzfristig hier sind, anders behandeln als
       Menschen, die länger hier sind“, so Kaltenborn.
       
       Dies sei ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte: „Wenn ein Mensch
       krank ist, muss er behandelt werden wie jeder andere Mensch auch.“ Aus
       „gleichheitsrechtlicher Perspektive“ sei es „kaum nachvollziehbar“, warum
       etwa Sozialhilfeberechtigten eine medizinische Versorgung im nahezu
       gleichen Umfang wie gesetzlich versicherten Patienten eröffnet werde, der
       Zugang zu Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz jedoch
       auf eine Notversorgung beschränkt bleibe. „Erkrankungsrisiken und
       medizinischer Behandlungsbedarf hängen selbstverständlich nicht vom
       aufenthaltsrechtlichen Status der betroffenen Personen ab“, sagt
       Kaltenborn.
       
       Zuletzt im Jahr 2011 hatte der zuständige UN-Ausschuss, der über die
       Einhaltung des völkerrechtlich bindenden „Internationalen Pakts über
       wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ (WSK-Pakt) wacht,
       Deutschland für die gesundheitliche Versorgung von Asylbewerbern gerügt,
       „dass diesem Personenkreis lediglich eine medizinische Notfallversorgung
       gewährt“ werde. Auch andere EU-Staaten wie Großbritannien, Frankreich, die
       Niederlande und Österreich wurden damals gescholten.
       
       ## Eine Provokation
       
       Doch die Bundesregierung gibt sich unbeeindruckt: „Der WSK-Pakt (…) enthält
       allerdings kein leistungsrechtliches Gleichstellungsgebot“, behauptet sie,
       und: „Insbesondere lässt sich aus dem WSK-Pakt kein generelles Verbot
       ableiten, für bestimmte Personengruppen ein besonderes Versorgungsrecht zu
       schaffen, sofern die verfassungs- und völkerrechtlich vorgegebenen sozialen
       Mindeststandards eingehalten werden.“
       
       Und diese „existenznotwendigen Gesundheitsbedarfe“ seien „grundsätzlich
       hinreichend gewährleistet“. Seit dem 1. März müssten Asylbewerber in
       Deutschland zudem nicht mehr vier Jahre warten, um Zugang zu allen
       medizinischen Leistungen zu erhalten, sondern nur noch 15 Monate, rühmt
       sich die Regierung. Ganz freiwillig ist dieser Schritt nicht erfolgt:
       Vorausgegangen war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im
       Dezember 2014. An den sonstigen Regelungen zur medizinischen Versorgung
       änderte das zu Jahresanfang 2015 verabschiedete „Gesetz zur Verbesserung
       der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern“ indes
       nichts – trotz vielfacher Kritik.
       
       Immerhin will die Regierung nach eigenen Angaben auf die Kritik des
       WSK-Ausschusses von 2011 „im nächsten Staatenbericht eingehen, dieser ist
       2016 fällig“. Für die Linkenpolitikerin Wöllert eine Provokation. „Wer im
       Inland fortgesetzt die Einhaltung international bindender Standards
       sozialer Menschenrechte verweigert, sollte auf internationalem Parkett bei
       der Forderung der Einhaltung der Menschenrechte den Ball besser
       flachhalten“, findet sie.
       
       ## Weniger Bürokratie
       
       Mit ihrer Forderung, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und
       Flüchtlinge in die diversen Leistungssysteme des Sozialgesetzbuchs
       einzugliedern – was auch deren Gesundheitsversorgung verbessert hätte –,
       konnten sich die Oppositionsfraktionen von Grünen und Linken im vergangenen
       Herbst in der Debatte über den Asylkompromiss nicht durchsetzen. Allerdings
       sagte der Bund damals zu, den Ländern und Kommunen insgesamt eine Milliarde
       Euro für 2015 und 2016 zur Verfügung zu stellen – als Ausgleich für
       Mehrbelastungen bei der Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern.
       
       Vereinbart wurde auch, dass Bund und Länder gemeinsam prüfen sollten, wie
       interessierte Bundesländer eine Gesundheitskarte für Asylbewerber einführen
       könnten. Das Ziel dahinter: den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu
       entbürokratisieren, denn die zeitaufwändige Genehmigung eines Arztbesuchs
       durch die Behörden entfiele.
       
       Bremen und Hamburg praktizieren bereits seit einigen Jahren ein solches
       Modell. Die Bundesregierung indes sieht keine Eile, eine flächendeckende
       Einführung voranzutreiben. Sie habe die Bundesländer um Stellungnahme
       gebeten; am 26. Februar habe es eine Bund-Länder-Besprechung gegeben.
       Seither würden die Notwendigkeit der Gesundheitskarte und mögliche
       rechtliche Regelungen geprüft: „Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“
       
       11 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
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