# taz.de -- EU-Pläne gegen Flüchtlinge: Schiffeversenken im Mittelmeer
       
       > Die EU möchte mit allen Mitteln gegen Schlepper vorgehen – auch mit
       > Gewalt. Völkerrechtlich ist das problematisch.
       
 (IMG) Bild: Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ und ein Speedboot auf dem Weg zur Seenotrettung zwischen Italien und Libyen.
       
       BERLIN/BRÜSSEL/ROM/GENF taz | Die Bundeswehr machte es schon mal vor: Am
       Freitag versenkte sie vor Lampedusa drei Flüchtlingsboote, nachdem sie die
       insgesamt 419 Insassen evakuiert hatte. Die Fregatte „Hessen“ und der
       Versorger „Berlin“ waren von der italienischen Rettungsleitstelle gerufen
       worden, weil die Migranten in Seenot geraten waren.
       
       Das Vorgehen könnte ein Vorgeschmack auf einen neuen Kurs der EU im
       Mittelmeer sein – die italienische Marine hatte evakuierte Boote zuletzt
       meist nach Italien mitgeschleppt.
       
       Am Montagabend sprach die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vor dem
       UNO-Sicherheitsrat in New York. Schon Ende April hatte sie bei der
       damaligen Vorsitzenden, der jordanischen Botschafterin Dina Kawar,
       vorgefühlt, ob die UNO militärischen Angriffen auf die libyschen Schlepper
       ihren Segen geben würde.
       
       Vor allem Deutschland und Frankreich wollen ohne ein UN-Plazet bei solchen
       Angriffen nicht mitmachen. Doch Kawar winkte ab: Eine Zustimmung sei „lange
       nicht in Sicht“, sagte sie, schließlich gehe es „nicht darum, Europa zu
       schützen, sondern die Flüchtlinge“. Ihre Amtszeit allerdings endete
       turnusgemäß Ende April, seither sitzt dem Gremium ein litauischer Diplomat
       vor.
       
       Was genau Mogherini am Montag beantragen wollte, war in Brüssel ein sorgsam
       gehütetes Geheimnis. „Top secret“, hieß es bei der EU-Kommission. Klar war
       nur, dass sich Mogherini auf einen britischen Resolutionsentwurf stützen
       will. Der sieht vor, „alle Mittel zu nutzen, um das Geschäftsmodell der
       Schmuggler zu zerstören“ – einschließlich militärischer Gewalt.
       
       Großbritannien ist das EU-Land, das sich am vehementesten gegen die
       Aufnahme von Flüchtlingen nach einer Quotenregelung sträubt. Laut
       Presseberichten wollen die Briten Kampfhubschrauber einsetzen, die die
       Schlepperboote vor oder an der Küste Libyens zerstören sollen, noch bevor
       sie Flüchtlinge aufnehmen.
       
       ## Was ist mit dem libyschen Geheimdienst
       
       Wie die Boote identifiziert und wie Unbeteiligte vor Schaden bewahrt werden
       sollen, ist völlig unklar. Bei der maltesischen Armee heißt es hinter
       vorgehaltener Hand, man werde möglicherweise auf den libyschen Geheimdienst
       zurückgreifen müssen – räumt aber gleichzeitig ein, dass dies kaum
       realistisch sei.
       
       Bisher ist nur von britischen Helikoptern die Rede; ob Deutschland
       mitmachen würde, ist unklar. Bis zu zehn EU-Länder sollen sich insgesamt
       beteiligen. Die Nato erklärte sich zur Hilfe bereit. Der amerikanische
       Nato-Botschafter Douglas E. Lute hatte schon am Freitag angedeutet, dass
       amerikanische Nato-Kräfte mit Aufklärungskapazitäten dabei sein könnten.
       Möglichkeiten der Zusammenarbeit sollen bei einem Treffen der
       Nato-Außenminister ab Mittwoch in der Türkei besprochen werden.
       
       Für das Szenario einer militärischen Bekämpfung von Schleppern gibt es
       bislang keinen Präzedenzfall. Am nächsten käme das Interventionsszenario
       noch der „Atalanta“-Mission. Die bekämpfte Piraten und ihrer Boote in
       somalischen Hoheitsgewässern sowie an den Küsten des Landes. Dieser
       Eingriff in die Souveränität Somalias und die Verletzung seiner
       territorialen Integrität wurde seinerzeit ohne Antrag oder Zustimmung einer
       somalischen Regierung beschlossen – denn es gab keine.
       
       ## Komplizierte Lage
       
       Die Lage in Libyen ist komplizierter. Hier gibt es eine gewählte und nach
       ihrer Wahl 2011 auch völkerrechtlich anerkannte Regierung, die Libyen auch
       in der UNO vertritt. Sie befindet sich allerdings infolge
       bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen im Exil, außerhalb der
       Hauptstadt Tripolis. Sie kontrolliert nur noch einen Teil des libyschen
       Hoheitsgebietes.
       
       Eine von Rebellen gebildete Gegenregierung stellt sie in Frage. Diese
       kontrolliert die Teile der libyschen Küsten, von denen Schlepperboote mit
       Flüchtlingen starten. Doch solange die gewählte Regierung völkerrechtlich
       anerkannt ist, könnte der UN-Sicherheitsrat ein Mandat für militärische
       Maßnahmen gegen Schlepper nur mit vorheriger Zustimmung dieser Regierung
       beschließen.
       
       Das gilt ebenso für Luftangriffe auf die Boote der Schlepper, die sich in
       der 12-Meilen-Zone vor der libyschen Küste oder an Land befinden und erst
       recht für Bodentruppen. Über die Umsetzung der militärischen Maßnahmen
       müsste sich die EU aber auch mit der Gegenregierung verständigen.
       
       ## Welche Bedrohung sich feststellen lässt
       
       Die EU will offenbar, dass die UNO ein Mandat nach dem Kapitel VII ihrer
       Charta erteilt. Das erlaubt Militäraktionen bei „Bedrohung oder Bruch des
       Friedens und bei Angriffshandlungen“. Im Fall Somalia sah der Rat diese
       Voraussetzung als erfüllt an, weil die Piraten Handelsschiffe in
       internationalen Gewässern bedrohen und gegen das Seerecht verstoßen.
       
       Eine solche Bedrohung lässt sich mit Blick auf die Schlepper und die von
       ihnen Richtung EU transportierten Flüchtlinge allerdings nicht feststellen.
       Auch dürfte es der EU schwerfallen, den UN-Sicherheitsrat davon zu
       überzeugen, dass Menschen, die aus Bürgerkriegen, Hunger und Not nach
       Europa zu fliehen versuchen, eine „Bedrohung des Friedens und der
       internationalen Sicherheit“ darstellen.
       
       Notfalls könne man zwar auch mit der Zustimmung der Regierung der
       nationalen Einheit in Libyen leben, sagte ein EU-Diplomat. Doch die
       Zustimmung ist nicht in Sicht: Libyens UN-Botschafter Ibrahim Dabbashi
       sagte der BBC, Libyen lehne die EU-Pläne ab. Sein Land sei nicht von der EU
       angehört worden. „Sie haben uns im Dunkeln über ihre Absichten gelassen,
       das ist sehr besorgniserregend.“ Libyen wolle wissen, wie die EU Fischer-
       von Schlepperbooten unterscheiden wolle.
       
       Offen ist weiter, ob die EU-Grenzschutz-Aktion „Triton“ räumlich
       ausgeweitet wird, um Flüchtlinge schon vor der Küste Libyens zu retten. Der
       Einsatzplan werde wohl erst Ende Mai fertig werden, sagte ein Sprecher der
       EU-Kommission. Offenbar haben sich die EU-Grenzschutzagentur Frontex und
       Italien noch nicht darauf einigen können, wer die geretteten Migranten
       übernimmt. Großbritannien hat schon klargemacht, dass es nur dann hilft,
       wenn die Migranten in Italien bleiben.
       
       11 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
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 (DIR) Christian Jakob
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