# taz.de -- Die unsinnige Zweiteilung Afrikas: Weiße Perspektiven
       
       > Die Trennung von Nordafrika und Subsahara-Afrika mag gebräuchlich sein –
       > aber sie ist mörderisch. Und sie spaltet den Kontinent bis heute.
       
 (IMG) Bild: Die Sahara trennt nicht, sie verbindet: Nomaden in Mali
       
       Für deutsche Politiker, Diplomaten, Meinungsmacher und Journalisten ist
       Europas südlicher Nachbarkontinent zweigeteilt. Es gibt „Afrika südlich der
       Sahara“, auch Subsahara-Afrika genannt: Das ist der berühmte „schwarze
       Kontinent“, wo „Afrikaner“ leben und bittere Armut und Chaos herrschen,
       aufgrund der geringen politischen Bedeutung von Afrikanern allerdings ohne
       weitere Relevanz für das Weltgeschehen.
       
       Der Bereich an der Südküste des Mittelmeers jedoch, den man auf jeder
       Europakarte sieht – der gehört nicht zu Afrika, sondern ist ein Teil der
       „arabischen Welt“, bestenfalls „Nordafrika“. Jedenfalls ist er gedanklich
       nicht mit dem Afrika weiter südlich verknüpft, sondern mit dem Nahen Osten,
       in dem der Nahostkonflikt und der Islam herrschen und alle Krisen von
       globaler Bedeutung sind.
       
       Was in Afrika südlich der Sahara geschieht, ist nach dieser traditionellen
       Sicht der Dinge vernachlässigenswert und kann getrost Entwicklungshelfern
       und Abenteurern überlassen bleiben. Was im Nahen Osten geschieht, zu dem
       Nordafrika gehört, ist jedoch ein Kernbereich der Weltpolitik und muss auf
       höchster Ebene behandelt werden. So ordnet man sich die Welt in vielen
       Ministerien bis hin zum Auswärtigen Amt, den großen Medien und letztlich
       auch im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit zurecht.
       
       ## Das richtige, unterentwickelte Afrika
       
       Der Massenandrang afrikanischer Flüchtlinge und Migranten am südlichen Ufer
       des Mittelmeers und ihr tausendfaches Ertrinken auf hoher See ist nicht nur
       wegen des Ausmaßes des damit verbundenen menschlichen Leids so verstörend,
       sondern auch, weil es die Kategorien durcheinanderbringt, in denen sich
       Europäer Afrika vorstellen.
       
       Wer Afrikaner nur südlich der Sahara lokalisiert, wundert sich, wenn sie
       plötzlich einfach so in großen Mengen am Rande Europas auftauchen. Wer
       Nordafrika als einen arabisch-islamischen Gürtel von Hochkultur begreift,
       der Europa vom richtigen, unterentwickelten Afrika trennt, ist fassungslos
       darüber, dass die Sahara als Grenze so löcherig ist und die Menschen nicht
       aufgehalten werden. Plötzlich rückt uns Afrika nahe, und wir wissen nicht
       genau, wie wir damit umgehen sollen.
       
       Die Zweiteilung des Kontinents war und ist, das wird angesichts der
       Flüchtlingszahlen deutlich, ein gedanklicher Irrweg, der den Blick auf die
       Wirklichkeit verstellt. Afrika ist eins. Die Sahara ist keine Trennlinie,
       sondern eine Verbindung.
       
       Afrikaner sind nicht gleichzusetzen mit „Schwarzen“, der Kontinent ist
       multikulturell und multiethnisch. Afrika beginnt am Mittelmeer.
       
       ## Europa als Zentrum der Zivilisation
       
       Es ist der rassistische Blick früherer Jahrhunderte aus den Zeiten der
       kolonialen Expansion, der das noch heute gebräuchliche, reduzierte Bild
       Afrikas in der hiesigen Öffentlichkeit verwurzelte. Für Europäer, die nach
       Afrika kamen, waren „schwarze Afrikaner“ minderwertig, gerade mal eine
       Stufe über den Affen angesiedelt; ob sie Menschen sind, war lange
       umstritten. Wenn in Afrika Hochkulturen, mächtige Staaten und organisierte
       Königreiche angetroffen wurden, mussten diese somit von außen gekommen
       sein.
       
       Schon die in Deutschland und anderswo überlieferte klassische Form der
       Alten Geschichte erkennt das alte Ägypten und die Pharaonen nicht als
       Afrikaner an; das alte Reich Äthiopien wird einfach ausgeblendet und seine
       Ausstrahlung notfalls über das Rote Meer nach Jemen verlegt; Europa ist
       seit jeher das Zentrum der Zivilisation, notfalls eben Griechenland. Mit
       Rekurs auf das Alte Testament wird von Semiten und Hamiten philosophiert,
       denen alle Völker zuzuordnen seien, die in Afrika jemals funktionierende
       Staatswesen geschaffen haben – den „einheimischen“ Afrikanern, die Bantu,
       traut man so was nicht zu.
       
       Mörderisch wird so ein Denken, wenn es dazu führt, dass europäische
       Missionare und Lehrer in Afrika den Menschen weismachen, manche von ihnen
       seien eingewanderte Fremde aus anderen Kontinenten. Dieses Schicksal traf
       zum Beispiel Ruandas Tutsi, die in der deutschen und belgischen kolonialen
       Überlieferung als „Hamiten“ aus Äthiopien und Ägypten, also dem
       „nichtafrikanischen“ Teil Afrikas dargestellt wurden. Die Tutsi wurden als
       Invasoren und Unterdrücker der als „einheimisch“ geltenden Hutu
       gebrandmarkt, und 1994 versuchten diese, sich der „Fremden“ per Genozid zu
       entledigen.
       
       ## Unschuldiges, unbeflecktes Afrika
       
       Vielerorts in Afrika ist noch heute das verheerende Erbe der kolonialen
       Bildung geläufig, wonach es einheimische „Bantu-Völker“ und zugewanderte
       „nilotische Völker“ gibt. Das spaltet Kenia und Uganda, Sudan und Somalia.
       Zunehmend vermischt sich das mittlerweile mit der Charakterisierung des
       afrikanischen Islam als von außen eingeschleppter Fremdkörper und damit der
       muslimischen Volksgruppen Afrikas als Auswärtige, wogegen diese sich
       wiederum mit Gewalt zur Wehr setzen – ein Motor von Konflikten und Kriegen
       im Sudan, in der Zentralafrikanischen Republik, in Nigeria, in der
       Elfenbeinküste.
       
       Die Suche nach dem einen, „reinen“ Afrika, unschuldig und unbefleckt von
       den Irrungen und Wirrungen der Welt, ein wenig wie Adam und Eva im
       Paradies, spaltet den Kontinent bis heute. Sie führt von der kolonialen
       Herablassung in der Vergangenheit zum Massenmord in der Gegenwart. Die in
       Deutschland gebräuchliche Trennung zwischen Subsahara-Afrika und Nordafrika
       als Trennung zwischen minder- und höherwertigen Ländern ist nur eine von
       vielen Versionen dieses Denkens.
       
       Wo genau in Afrika soll denn die Trennlinie verlaufen? Nordafrika ist nicht
       ausschließlich arabisch geprägt, sondern mindestens genauso von seiner
       einheimischen Berber-Bevölkerung, die zum Teil noch viel „europäischer“
       aussieht, aber zugleich viel enger mit den Völkern weiter südlich in Afrika
       verbunden ist.
       
       Für die Araber sind die Berber minderwertig; für die Berber und Tuareg sind
       es die Nachbarvölker weiter südlich; in allen Ländern der Sahelzone
       wiederum gibt es Konfrontationen zwischen nördlichen Völkern, historisch
       der Sahara zugewandt, und den südlichen Völkern, historisch den Ozeanen
       zugewandt.
       
       ## Sahara verbindet
       
       Von Ägypten aus gesehen ist Sudan (arabisch für „schwarz“) schon tiefstes
       Afrika, aber in Sudan selbst erkämpfte sich Südsudan erst vor wenigen
       Jahren die Unabhängigkeit vom „arabischen“ Norden. Die Mauren Mauretaniens
       sind im eigenen Land eine sklavenhaltende Elite, die die „Afrikaner“
       unterdrückt, aber wenn sie hoch nach Marokko reisen, sind sie die
       Südländer.
       
       Die Sahara trennt nicht, sie verbindet, ebenso der Nil. Das koloniale
       Denken, das Afrikaner in „Stämme“ gliederte und gegeneinander aufhetzte,
       hat Afrika paradoxerweise enger zusammengeführt als es vor der europäischen
       Eroberung jemals der Fall war. Ein gemeinsames afrikanisches Bewusstsein
       gibt es erst seit dem Widerstand gegen die Kolonialherrschaft, und es
       umfasst den gesamten Kontinent, Sahara hin oder her.
       
       Die ersten antikolonialen Bewegungen und Befreiungskriege gab es in
       Nordafrika, vor allem in Algerien, mit beachtlicher und bis heute
       andauernder Ausstrahlung auf den Rest des Kontinents. Die algerische FLN,
       die von 1954 bis 1962 die Unabhängigkeit erkämpfte, und der Ägypter Nasser,
       der 1956 in der Sueskrise den Briten und Franzosen die Stirn bot, waren
       Helden für Afrikas Befreier, ähnlich bedeutend wie später Südafrikas ANC.
       
       ## Denkschablone Subsahara-Afrika
       
       Libyens Gaddafi versuchte vergeblich, in diese Fußstapfen zu treten, konnte
       aber seinen Rassismus gegenüber „schwarzen“ Afrikanern nie verbergen.
       Marokko, das einzige verbliebene alte islamische Königreich Afrikas,
       spielte ebenfalls eine zentrale Rolle in den panafrikanischen Institutionen
       sowie im kulturell-religiösen Bereich.
       
       Nichts unterstreicht die bis heute andauernde Geringschätzung für Afrika
       stärker als die Charakterisierung der Volksaufstände in Tunesien, Ägypten
       und Libyen gegen Gewaltherrscher 2011 als „arabischer Frühling“. Die
       Ereignisse in diesen drei nordafrikanischen Ländern sind viel besser als
       „afrikanischer Frühling“ zu verstehen, also als Aufstände gegen
       postkolonialen Autoritarismus, gegen die Konzentration von Macht und
       Wohlstand in den Händen schmaler Eliten ohne Verbreiterung der politischen
       Machtbasis.
       
       Jenseits des Sueskanals, im „asiatischen“ Nahen Osten, ist das in dieser
       Form nicht anzutreffen, und was es dort 2011 an Aufständen gab, war anders
       gelagert. Die in Europa zunächst als einfache Kopie wahrgenommene
       Ausstrahlung der nordafrikanischen Volksaufstände auf Syrien und Jemen
       birgt jede Menge konzeptioneller und politischer Probleme, die mittlerweile
       zu einer kompletten internationalen Ratlosigkeit beim Umgang mit diesen
       Ländern führen.
       
       Ihre viel weniger wahrgenommene Ausstrahlung auf viele Länder Afrikas wie
       Senegal, Burkina Faso, auch zum Teil Nigeria und überhaupt jedes Land, in
       dem Menschen heute mutiger als früher für ihre Rechte eintreten, ist
       langfristig bedeutsamer und es würde im Umgang mit Afrikas
       Demokratiebewegungen helfen, sie in dieser Tradition zu begreifen und zu
       unterstützen.
       
       Ein solcher gedanklicher Schritt würde vielleicht auch helfen, die
       Massenwanderung Richtung Mittelmeer besser zu verstehen, die in erster
       Linie eine individuelle Reaktion auf Perspektivlosigkeit in der Heimat ist,
       ein rationaler Umgang mit den oft lebensbedrohlichen Zwängen des
       Geldverdienens.
       
       Es ist viel die Rede von der Notwendigkeit, die Ursachen von Flucht und
       Migration zu bekämpfen, aber durch die Denkschablone „Subsahara-Afrika“
       wird dies lediglich als entwicklungspolitische Aufgabe der Verbesserung
       sozialer Verhältnisse gesehen.
       
       ## Afrika ist nicht weit weg
       
       Die Wahrnehmung, dass es um ein Problem ganz Afrikas geht, und dass dieses
       Problem auch die afrikanischen Mittelmeeranrainer betrifft, würde zu
       breiteren Schlüssen führen: die Notwendigkeit eines politischen Umgangs mit
       politischen Problemen in besonders problematischen Ländern wie Eritrea und
       Somalia; die Notwendigkeit einer besseren Integration „schwarzer“ Afrikaner
       in Nordafrikas Arbeitsmärkten und Gesellschaften; die bessere Erforschung
       der Verknüpfung zwischen Demokratieaufständen und Bevölkerungsbewegungen
       als zwei Manifestationen sozialen Wandels.
       
       Afrika liegt nicht am Rande der Welt, sondern in ihrem Zentrum. Es ist ein
       Kontinent von der Größe Europas, der USA, Chinas und Indiens
       zusammengenommen; er reicht von der Straße von Gibraltar bis zum Kap der
       Guten Hoffnung, zu seinen größten Städten gehört Kairo, zu seinen großen
       Flüssen der Nil.
       
       Er besitzt einen zentralen Tropenwaldgürtel am Äquator und an dessen Nord-
       und Südseite jeweils sehr heiße Savannen- und Wüstengebiete, jenseits derer
       sich wiederum klimatisch gemäßigte Zonen befinden, am Süd- wie am Nordrand,
       was insgesamt eine bemerkenswerte ökologische Symmetrie und Balance ergibt.
       Er hat eine jahrtausendalte und sehr vielfältige Geschichte von
       Staatlichkeit unterbrochen, durch ein paar verheerende Jahrzehnte
       europäischer Herrschaft, von denen er sich bis heute nicht wirklich erholt
       hat.
       
       Die Afrikaner, die in Libyen auf die Überfahrt warten, haben Afrika nicht
       verlassen. Sie stecken mittendrin. Zugleich stehen sie schon vor unserer
       Tür. Afrika ist nicht weit weg, weder geographisch noch gedanklich. Afrika
       ist nicht der „schwarze Kontinent“. Es ist Zeit, Afrika als Ganzes
       anzuerkennen.
       
       13 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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