# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Die Anti-Agrarmolochsause
       
       > Auf der „Wir haben es satt“-Demo trifft sich eine riesige
       > Protestbewegung. Warum ist dieses Durcheinander von Aktivisten eigentlich
       > so erfolgreich?
       
 (IMG) Bild: Heile Welt auf der Agrarmesse.
       
       Schwer mobilisierbar – so lautet das Urteil über uns alte Säcke, wenn’s ums
       Demonstrieren geht. Okay, die Critical-Mass-Radlerdemo macht richtig gute
       Laune, weil die Straße im großen Pulk nicht mehr Feindesland ist. Ansonsten
       gilt: Transparente hochhalten gegen Klima-Tunix, Atommüllereien, Pegida und
       andere multiple Nekrosen fällt zunehmend schwer. Bis auf eine Ausnahme: die
       Demonstration der Agraropposition – „Wir haben es satt!“ – zum
       Jahresbeginn. Da latschen wir ganz selbstverständlich jedes Jahr freudig
       mit. Aber warum ist die Agrarsause so attraktiv?
       
       Zunächst: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Innerhalb weniger Jahre
       ist das neue, Ehrfurcht gebietende Durcheinander aus Vegetariern,
       Tierschützern, Gentechnikgegnern und anderen Anhängern gesellschaftlicher
       Restvernunft zur relevantesten und erfolgreichsten Protestbewegung der
       Republik aufgestiegen. Die grüne Gentechnik? Hat kapituliert oder ist ins
       Ausland geflohen. Die Fischerei? Reformiert und auf nachhaltigeren Kurs
       geschwenkt. McDonald’s und Burger King? Große Krise.
       
       Der Fleischkonsum ist das dritte Jahr hintereinander zurückgegangen, das
       über den Tellerrand wabernde Schnitzel wird immer schwerer verdaulich. Und
       überall, wo Agrarbarone mit neuen Puten-, Hähnchen- oder Schweineknästen
       auftauchen, kriegen sie von 250 Bürgerinitiativen martialisch Zunder.
       Hunderte Megaställe wurden verhindert. Inzwischen sehen sich auch
       Bio-Großmastanlagen fetten Protesten gegenüber. Gut so! Und: CDU-Landräte
       sind eifrige Kooperationspartner, wenn’s gegen Tierfabriken geht, das alte
       Lagerdenken bröckelt.
       
       Aber nicht nur der Erfolg ist anziehend. Da ist noch ein anderer Grund.
       Weil unser Empörungspotenzial ohnehin eine knappe Ressource ist,
       konzentrieren wir uns angesichts des täglichen Overkills schlechter
       Nachrichten ganz selbstverständlich auf das Naheliegende, das wir
       beeinflussen können: auf die Ernährung, den täglichen Einkauf, die Kreatur,
       den Erhalt von Landschaft und Heimat.
       
       ## Agrarporno mit Lämmerstreicheln und Häppchenkost
       
       „Aber!“, grummeln jetzt ein paar schlecht gelaunte LeserInnen: 50.000
       demonstrieren und 500.000 rennen auf die Grüne Woche zum Agrarporno mit
       Häppchenkost und Lämmerstreicheln. Stimmt! Na und? Das ist kein
       Widerspruch. Erstens: Die halbe Million Besucher der Grünen Woche wollen ja
       nicht die alte Landwirtschaft oder die Massentierhaltung unterstützen. Sie
       sind ohnehin zu großen Teilen Idioten (im griechischen Sinn!), die sich um
       die Politeia und das Allgemeinwohl nicht weiter kümmern. Sie würden auch
       kommen, wenn die Agrarwende schon vollzogen und ein strammer Veganer
       Landwirtschaftsminister wäre.
       
       Zweitens: Die Grüne Woche ist seit Jahren gezwungen, den Besuchern eine
       heile Welt im Stall vorzugaukeln, um sie in die Messehallen zu locken. Mit
       Kälbchen Peter im sonnengelben Strohbett und mit Lämmern und Zicklein an
       Mamas Eutermilchbar zeigen Organisatoren und Besucher, wenn auch unbewusst,
       dass sie die Ziele der Bauernopposition für eine bessere Tierhaltung
       anerkennen. Sie zeigen, wie es sein sollte. Sie werden damit wider Willen
       zum Botschafter einer anderen Landwirtschaft, denn die Realität – von der
       Antibiotikaspritze bis zur Küken-Schreddermaschine – müssen sie schamhaft
       verbergen. Sie sind in der Defensive.
       
       Und drittens treten auch Bauernopposition und Bios zunehmend selbstbewusst
       auf der Grünen Woche auf und klopfen dort inhaltlich den Takt. Die
       Begleitmusik dazu liefern ohne Unterbrechung die immer neuen
       Landwirtschaftsskandale, die damit auch immer neue Munition für Veränderung
       nachschieben. Die „Grüne Woche demaskieren!“ heißt es in einem Aufruf.
       Keine Angst, die demaskieren sich schon selber. „Wir haben es satt!“. Am
       17. Januar. In Berlin. Gegen Monsterställe, Chlorhühnchen, gegen Küken
       umbringen, Schnäbel kürzen, Ferkel kastrieren, Schwänze kupieren und das
       übrige Bestiarium. Macht Spaß. Ehrlich!
       
       17 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Kriener
       
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