# taz.de -- Aufarbeitung der NS-Historie: Kanzleramt blickt nicht zurück
       
       > Mehrere Bundesbehörden lassen ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten – das
       > Kanzleramt nicht. In der Linkspartei hat man dafür kein Verständnis.
       
 (IMG) Bild: Aufarbeitung düsterer Geschichte? Nicht hier, im Kanzleramt.
       
       BERLIN taz | Das Kanzleramt sieht keine Notwendigkeit, die eigene
       Geschichte nach 1945 von einer Historikerkommission aufarbeiten zu lassen.
       Dies sei Aufgabe der Forschung, heißt es von der Bundesregierung.
       Historiker könnten „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften die
       Aktenbestände beim Bundesarchiv zu Forschungszwecken einsehen“. Eine eigene
       Kommission brauche es da nicht.
       
       Damit steht das Kanzleramt freilich fast allein da. Denn andere
       Bundesinstitutionen – das Auswärtige Amt, Bundesnachrichtendienst,
       Bundeskriminalamt, Arbeitsministerium und Verfassungsschutz – ließen sehr
       wohl ihre Geschichte von einer Kommission aufarbeiten oder sind gerade
       dabei. Die Linksfraktion, auf deren Anfrage die Regierung nun antwortete,
       wirft dem Kanzleramt „Scheinheiligkeit“ vor. „Entgegen aller
       Lippenbekenntnisse wird sich einer systematischen, kritischen Reflexion
       verweigert“, moniert Innenexperte Jan Korte. Statt auf die freie Forschung
       zu verweisen, müsse sich das Amt „aktiv um wissenschaftliche Expertise
       bemühen“.
       
       Die Regierung verweist dagegen auf die Historikerkommission, die seit 2011
       die Geschichte des BND erforscht. Die habe auch Zugriff auf Akten des
       Kanzleramtes, die im Zusammenhang mit dem BND und dessen Vorgänger, der
       Organisation Gehlen (benannt nach dem SS-Sturmbannführer Reinhard Gehlen),
       stehen.
       
       Nur: Zwischen BND und der Historikerkommission wurde ein Vertrag
       geschlossen, der den Aktenzugang sichert. Ein nützliches Privileg, über das
       Forscher, die im Bundesarchiv nachfragen, nicht verfügen. Dabei zeigte die
       BND-Kommission mit ihrer letzten Veröffentlichung, welche Vorteile ein
       weitgehend uneingeschränkter, formal abgesicherter Aktenzugang haben kann.
       Ein Historiker stieß bei Recherchen zufällig auf Pläne von rund 2.000
       ehemaligen Wehrmachtsoffizieren und Mitgliedern der Waffen-SS, die nach
       1949 eine Geheimarmee ins Auge gefasst hatten – jedenfalls zuerst ohne
       Wissen von Kanzler Adenauer. So sollte die Republik gegen Angriffe aus dem
       Osten verteidigt werden. Die Exmilitärs sammelten auch Informationen über
       SPD-Politiker und andere Linke, die als fünfte Kolonne Moskaus verdächtigt
       wurden.
       
       Das Kanzleramt galt schon in den 50er Jahren als Symbol der
       Karrierekontinuität früherer Nationalsozialisten. Hans Globke, Kommentator
       der antisemitischen Nürnberger Rassegesetze, war zehn Jahre lang, bis 1963,
       Kanzleramtschef und einer der engsten Adenauer-Vertrauten.
       
       Jan Korte hält die Blockade des Kanzleramts in eigener Sache für
       unverständlich. Es sei nicht einsehbar, warum „alle untergeordneten
       Ministerien und Behörden nach und nach ihre Geschichte aufarbeiten, die
       exekutive Schaltzentrale aber ausgeklammert wird“. Um ein „Gesamtbild der
       zweiten Schuld, also der quasi übergangslosen Integration weiter Teile der
       Elite des NS-Regimes zu entwerfen“, so Korte, komme man „um das
       Bundeskanzleramt nicht herum.“
       
       30 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundeskanzleramt
 (DIR) Bundesregierung
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) BND
 (DIR) Historiker
 (DIR) Jan Korte
 (DIR) Bundeskanzleramt
 (DIR) Aufarbeitung
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) Bundeskanzleramt
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) BND
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Forschung über NS-Beamte in der BRD: Globkes Netzwerk unter der Lupe
       
       Die Bundesregierung will die NS-Belastung zentraler Behörden untersuchen
       lassen. Das Bundeskanzleramt ist endlich auch mit dabei.
       
 (DIR) Kommentar NS-Geschichte im Kanzleramt: Schaltstelle des Schweigens
       
       Etliche Ministerien und Behörden haben inzwischen ihre NS-Kontinuitäten
       aufgearbeitet. Dass sich das Kanzleramt weigert, ist grotesk.
       
 (DIR) NS-Kontinuitäten in deutschen Behörden: Regierung will Kanzleramt schonen
       
       Kulturstaatsministerin Monika Grütters will keine eigene
       HistorikerInnenkommission zur NS-Aufarbeitung. Dabei hätte gerade das
       Kanzleramt es nötig.
       
 (DIR) Vergangenheit des Bundeskanzleramtes: Was genau tat Hans Globke?
       
       Etliche Ministerien haben inzwischen braune Flecken ihrer Geschichte
       aufarbeiten lassen. Ausgerechnet das Bundeskanzleramt fehlt bislang.
       
 (DIR) Aufarbeitung Nachkriegszeit: Gegen den Mythos der Stunde Null
       
       Erfolgsnarrativ infragegestellt: In Berlin tauschten sich Historiker über
       die Nazi-Präsenz in den Ministerien der Bundesrepublik nach 1945 aus.
       
 (DIR) BND-Zentrale in Pullach: Was wird aus diesem Täterort?
       
       Der BND räumt seine Zentrale, die einstige „Reichssiedlung Rudolf Heß“.
       Seit das Gelände unter Denkmalschutz steht, wird darüber gestritten.
       
 (DIR) Alt-Nazis beim Bundesnachrichtendienst: Code-Name "Uranus"
       
       Der Historiker Peter Hammerschmidt enthüllt, wie der
       Bundesnachrichtendienst Altnazis deckte und auch für sich nutzte. Als
       Doppelagenten und Waffen-Verkäufer.