# taz.de -- Lampedusa-Geflüchtete in Hamburg: Der lange Kampf
       
       > Seit mehr als einem Jahr kämpft die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ für
       > eine Perspektive. Die Solidarität ist groß, aber nicht unendlich. Der
       > Senat kann sich zurücklehnen.
       
 (IMG) Bild: So weit die Solidarität trägt: Demonstration für ein Arbeits- und Bleiberecht für die "Lampedusas" Anfang Juli vor dem Hamburger Rathaus
       
       HAMBURG taz | Selten hat das Schicksal von Geflüchteten in Norddeutschland
       die Menschen so aufgerüttelt wie das der Hamburger Lampedusa-Gruppe. Dabei
       hätte es gerade in Hamburg schon vorher genug Gelegenheiten gegeben,
       erschüttert zu sein: Ob unter SPD, CDU oder dem rechtspopulistischen
       Innensenator Ronald Schill – die Stadt hat schon immer versucht,
       [1][Flüchtlinge möglichst schnell loszuwerden]. Interessiert hat das aber
       meistens kaum jemanden.
       
       Das änderte sich, als letztes Jahr die „Lampedusas“ auf den Straßen von St.
       Pauli auftauchten und die regierende SPD in Erklärungsnöte brachten. Die
       „Lampedusas“, das ist eine Gruppe von etwa 300 aus Libyen geflohenen
       Afrikanern, die den Spielregeln der EU-Flüchtlingspolitik trotzen und
       gegenüber dem Hamburger Senat auf eine kollektive Regelung ihrer Zukunft
       beharren. Seither, so könnte man meinen, ist die Solidarität mit den
       Geflüchteten zu einem Hauptanliegen der Hamburger linken Szene geworden.
       Und auch die Zivilgesellschaft begehrt plötzlich auf.
       
       „Wir sind den Leuten von ’Lampedusa in Hamburg‘ dankbar, dass sie dem
       Protest gegen dieses Grenzregime Stimme und Gesicht gegeben haben. Sie
       haben dieser Stadt klargemacht, dass das mit dem Rosinenpicken nicht
       funktioniert“, schreiben die Autoren des [2][im Juni veröffentlichten
       „Manifests für Lampedusa in Hamburg“]. Eine treibende Kraft hinter dem
       Manifest war der Journalist und „Recht auf Stadt“-Aktivist Christoph
       Twickel, Prominente wie Bela B., Jan Delay, Fatih Akin und
       Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard unterstützen die Forderung des
       Manifests, den Geflüchteten hier eine Zukunft zu ermöglichen.
       
       Die Tatsache, dass Flüchtlinge sich dieses Mal nicht als Bittsteller an die
       Behörden wenden, sondern öffentlich ihre Interessen vertreten, hat
       Innensenator Michael Neumann bereits Ende Oktober [3][in einem Interview
       mit der Welt am Sonntag] zu der Aussage verleitet, dass es ein Problem sei,
       „wenn vermeintliche Berater fortwährend unerfüllbare Hoffnungen schüren“.
       Neumann drehte also den Spieß um und nannte die Unterstützer
       „verantwortungslos“, weil diese Flüchtlinge für politische Interessen
       instrumentalisierten.
       
       Im gleichen Atemzug stellte Neumann klar: „Wenn diese Geschichten, die wir
       nur aus den Medien gehört haben, so stimmen, gibt es hier keine Perspektive
       für diese Menschen.“ Denn aus Sicht des Senats ist Italien für „diese
       Männer“ zuständig, die angeben, Anfang 2013 als Bürgerkriegsflüchtlinge aus
       Libyen über die italienische Insel Lampedusa nach Italien und von dort nach
       Hamburg gekommen zu sein – ausgestattet mit Reisepapieren, die für die
       Mitgliedsstaaten des Schengener Abkommens gültig sind, und 500 Euro
       Reisegeld.
       
       Seitdem fordert die Lampedusa-Gruppe ein Arbeits- und Bleiberecht. Ihre
       Losung: „Wir haben nicht den Nato-Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs
       Straßen zu sterben.“
       
       Ein Versuch des Senats, die Geflüchteten loszuwerden, scheiterte im Juni
       2013 am Widerstand der Nordkirche: „Die Kirche und die Diakonie beteiligen
       sich nicht an einem Abschiebelager“, erklärten Bischöfin Kirsten Fehrs und
       Landespastorin Annegrethe Stoltenberg, nachdem der Senat eine Unterbringung
       unter kirchlicher Obhut an die Bedingung geknüpft hatte, dass sich die
       Flüchtlinge erkennungsdienstlich behandeln lassen. Kurz darauf öffneten die
       St.-Pauli-Kirche und weitere Gemeinden ihre Pforten und gaben den Männern
       eine Unterkunft, um ihre Abschiebung zu verhindern.
       
       Die anschließenden Verhandlungen liefen zäh: Nach monatelangen Protesten
       gegen die harte Linie des Scholz-Senats machte Innensenator Michael Neumann
       (SPD) der Nordkirche im Oktober 2013 wenigstens ein kleines Zugeständnis.
       Er räumte eine - andernorts selbstverständliche - aufschiebende Wirkung für
       laufende Verfahren ein: Wer sich bei den Behörden mit Namen melde, bekomme
       eine "klare, transparente Einzelfallprüfung" sowie die Chance auf ein
       Aufenthalts- und Arbeitsrecht.
       
       Innerhalb der Flüchtlingsgruppe gab es von da an unterschiedliche
       Vorstellungen über das weitere Vorgehen: Die Sprecher und viele Mitglieder
       der Lampedusa-Gruppe lehnten Neumanns Weg ab und hielten an der geforderten
       Gruppenlösung fest - aus Angst, dass der Senat ihre Identitäten nur deshalb
       haben will, um sie anschließend abzuschieben. Laut Innenbehörde haben sich
       bis Ende Juni, als das Ultimatum auslief, 70 Flüchtlinge der Gruppe auf die
       Bedingung eingelassen und einen Antrag auf Aufenthalt aus humanitären
       Gründen gestellt.
       
       Dass es auch Lösungen geben kann, bei der die Geflüchteten nicht ihre
       Identität preisgeben und damit eine Abschiebung nach Italien riskieren, hat
       Berlin gezeigt: Der dortige Senat hat den hungerstreikenden Flüchtlinge vom
       Brandenburger Tor ein Bleiberecht gewährt, ohne dass die Flüchtlinge sich
       registrieren lassen mussten. Auch wenn die Zuständigkeit formal beim Bund
       und bei der EU liegt, haben Länder und Kommunen kleine Handlungsspielräume,
       Gruppen von Betroffenen nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes ein
       humanitäres Bleiberecht zu gewähren.
       
       Dennoch, einen ersten Sieg hat die Hamburger SPD bereits erzielt: Ihr ist
       es gelungen, mit dem Verweis auf "rechtsstaatliche Grundsätze" die
       Marschrichtung in der öffentlichen Debatte vorzugeben, an der sich die
       Geflüchteten und ihre Unterstützer abarbeiten müssen. Ein Stück weit gehen
       sie dem Scholz-Senat also auf den Leim, wenn sie sich auf rechtliche
       Diskussionen und die Suche nach Paragrafen begeben, die doch noch einen
       legalen Aufenthaltsstatus zulassen.
       
       Es ist ein ungleiches Kräftemessen, das die Flüchtlinge nur mit der
       privaten Hilfe von Unterstützern durchhalten können. Das ist nicht immer
       einfach: Flüchtlinge und Unterstützer müssen mit Rückschlägen fertig
       werden, und sie müssen sich über die weitere Strategie verständigen
       ([4][siehe Reportage]). Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Michael
       Neumann dagegen können sich einfach zurücklehnen und abwarten, wie lange
       die Solidarität noch trägt. Sie könnten versuchen, sie einfach austrocknen
       zu lassen.
       
       Für die Lampedusa-Gruppe ist das vorrangigste Problem, endlich wieder
       arbeiten zu können, um ihre Familien in den westafrikanischen Staaten zu
       ernähren. "Die Lampedusa-Gruppe wirft für den Senat ganz neue
       aufenthaltsrechtliche Fragen auf", sagt Peter Bremme von der Gewerkschaft
       Ver.di. Es seien Flüchtlinge, die in Europa einen humanitären
       aufenthaltsrechtlichen Statuts hätten und nicht politisch verfolgt seien.
       Durch die italienischen Dokumente, die auch der UN-Flüchtlingskommissar
       anerkenne, genössen sie in der Europäischen Union Freizügigkeit.
       
       "Sie sind nicht illegal hier", sagt Gewerkschafter Bremme. Sich in Hamburg
       bei den Behörden zu melden und einem neuen Aufenthaltsverfahren zu stellen,
       verstoße nicht nur gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, es sei
       zudem riskant.
       
       Nach Ansicht von Bremme fehle nur noch das "Nadelöhr Arbeitserlaubnis",
       durch das die Flüchtlinge kommen müssten - dann könnten sie auch ihre
       Identität angeben. Auf diese Weise könnte der Senat vor den
       Bürgerschaftswahlen in acht Monaten einen Konfliktherd loswerden.
       
       Doch die Innenbehörde beharrt auf eine vorherige Registrierung durch
       Polizei und Ausländerbehörde. "Diejenigen, die sich gemeldet haben, haben
       gute Karten, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen", sagt der Sprecher der
       Innenbehörde, Frank Reschreiter. Die Bundesregierung plane ja, das
       Arbeitsverbot für Asylsuchende und Geduldete auf drei Monate zu verkürzen.
       Doch wer sich nicht melde, so der Sprecher, bei dem laufe auch keine Frist.
       
       Der Konflikt bleibt festgefahren.
       
       20 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.youtube.com/watch?v=sj20-D5rYcM
 (DIR) [2] http://manifest-fuer-lampedusa-hh.de/
 (DIR) [3] http://www.welt.de/regionales/hamburg/article121239059/Fluechtlinge-muessen-sich-entscheiden.html
 (DIR) [4] /!142712/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Kaiser
 (DIR) Kai von Appen
       
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