# taz.de -- Debatte AfD und Populismus: Stolz auf den „Wirtschaftsstandort D“
       
       > Bei der AfD gehen Neoliberalismus und Rechtspopulismus eine Synthese ein.
       > Auch deshalb ist die Partei so erfolgreich.
       
 (IMG) Bild: Speerspitze des Rechtspopulismus: AfD-Vorsitzende Frauke Petry auf dem Stuttgarter Parteitag im Mai
       
       Was die „Republikaner“, der Bund freier Bürger (BfB) und die Schill-Partei
       nicht geschafft haben, könnte der Alternative für Deutschland (AfD) trotz
       heftiger Flügelkämpfe, zwischenzeitlicher Auswechslung des Spitzenpersonals
       und Abspaltung ganzer Richtungsgruppierungen gelingen: in alle ostdeutschen
       und mehrere westdeutsche Landesparlamente einzuziehen und damit eine solide
       Machtbasis für den Sprung in den Bundestag aufzubauen.
       
       Die überraschenden (Wahl-)Erfolge der noch jungen Partei verdanken sich
       nicht bloß der geschickten Rhetorik ihrer Führungsriege, die provokative
       Äußerungen mit schnellen Dementis einfängt, und einem guten taktischen
       Gespür, das sie nach den „Euro-Rettungspaketen“ zum richtigen Zeitpunkt die
       „Flüchtlingskrise“ sowie anschließend den Islam, kulturelle Überfremdung
       und Terrorgefahren auf die Agenda setzen ließ. Noch entscheidender ist die
       Synthese neoliberaler und rechtspopulistischer Argumentationsfiguren.
       
       Aus einer ökonomischen Theorie, die in den 1930er Jahren als Reaktion auf
       die damalige Weltwirtschaftskrise und den Keynesianismus als
       staatsinterventionistischem Lösungsansatz entstand, hat sich der
       Neoliberalismus zu einer Sozialphilosophie entwickelt, welche die
       Gesellschaft nach dem Modell von Markt und Leistungskonkurrenz
       (um)gestalten will.
       
       Mittlerweile ist der Neoliberalismus eine Weltanschauung, ja eine
       politische Zivilreligion geworden, welche die Hegemonie, das heißt die
       öffentliche Meinungsführerschaft, erobert hat. „Globalisierung“ fungiert
       als Schlüsselkategorie und darüber hinaus – neben dem demografischen Wandel
       und der Digitalisierung – als dritte große Erzählung unserer Zeit, die
       Neoliberale benutzen, um ihre marktradikale Ideologie zu verbreiten und den
       „Um-“ bzw. Abbau des Sozialstaates zu legitimieren.
       
       ## Ökonomisch verwertbar und gewinnträchtig
       
       Neoliberale reduzieren den Menschen auf seine Existenz als Marktsubjekt,
       das sich im Tauschakt selbst verwirklicht. Letztlich zählt für sie nur, wer
       oder was ökonomisch verwertbar und gewinnträchtig ist. Aufgrund dieses
       ausgeprägten Utilitarismus, seines betriebswirtschaftlichen
       Effizienzdenkens, seiner Leistungsfixierung und seines Wettbewerbswahns
       bietet der Neoliberalismus ideologische Anschlussmöglichkeiten zum
       Rechtspopulismus.
       
       Populistisch ist jene Gruppierung innerhalb des Rechtsextremismus wie des
       Brückenspektrums zwischen diesem und dem (National-)Konservatismus zu
       nennen, die besonders das verunsicherte Kleinbürgertum anspricht, dessen
       Vorurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat nährt, dabei wirtschaftsliberale
       Ziele verfolgt, Minderheiten abwertende Stammtischparolen aufgreift, den
       Stolz auf das eigene Kollektiv, die Nation beziehungsweise deren Erfolge
       auf dem Weltmarkt (Standortnationalismus) mit rassistischer Stimmungsmache
       oder sozialer Demagogie verbindet und die verständliche Enttäuschung vieler
       Menschen über das Parteien- beziehungsweise Regierungsestablishment für
       eine Pauschalkritik an der Demokratie schlechthin nutzt.
       
       Die wichtigste Schnittmenge zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus
       liegt in der Überzeugung, dass man auf den „Wirtschaftsstandort D“ stolz
       sein und ihn stärken müsse, um den Wohlstand aller zu mehren. Durch seine
       Fixierung auf den Leistungswettbewerb mit anderen Wirtschaftsstandorten
       schafft der Neoliberalismus einen idealen Nährboden für
       Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Wohlstandschauvinismus.
       
       Das in der Bundesrepublik Deutschland stärker lals in den meisten anderen
       Ländern verbreitete Bewusstsein, auf den internationalen Märkten einer
       „Welt von Feinden“ gegenüberzustehen und durch (den sprichwörtlichen
       deutschen) Erfindungsgeist, besondere Tüchtigkeit, größeren Fleiß und noch
       mehr Opferbereitschaft die Überlegenheit des „eigenen“ Wirtschaftsstandorts
       unter Beweis stellen zu müssen, bildet die Basis des Standortnationalismus.
       
       Je stärker die Menschen unter der sozialen Kälte einer Markt-,
       Hochleistungs- und Konkurrenzgesellschaft leiden, umso mehr sehnen sie sich
       nach emotionaler Nestwärme, die ihnen Rechtspopulisten im Schoß der
       Traditionsfamilie, der eigenen Nation und der „Volksgemeinschaft“
       versprechen.
       
       Da spielt es auch keine Rolle, dass sich die „Alternative für Deutschland“
       als Partei der „kleinen Leute“ zu profilieren sucht, obwohl sie die seit
       1997 nicht mehr erhobene Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer abschaffen
       will, was ausschließlich dem „großen Geld“ nützen sowie die auch von ihr
       beklagte Kluft zwischen Arm und Reich noch vertiefen würde.
       
       Wenn die Analyse des Verhältnisses von Neoliberalismus und Rechtspopulismus
       zutrifft, muss diesem mittels einer anderen Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs-
       und Sozialpolitik das materielle Fundament entzogen, die Standortlogik
       widerlegt und eine überzeugende Alternative zum Neoliberalismus entwickelt
       werden.
       
       ## Konkurrenzgesellschaft oder soziale Bürgergesellschaft
       
       Letztlich ist die Beantwortung der Frage entscheidend, in welcher
       Gesellschaft wir künftig leben wollen: Soll es eine Konkurrenzgesellschaft
       sein, die Leistungsdruck und Arbeitshetze weiter erhöht, Erwerbslose, Alte,
       Kranke, Drogenabhängige und Behinderte ausgrenzt sowie Egoismus,
       Durchsetzungsfähigkeit und Rücksichtslosigkeit eher honoriert, sich jedoch
       gleichzeitig über den Verfall von Sitte, Anstand und Moral wundert, oder
       eine soziale Bürgergesellschaft, die Kooperation statt Konkurrenzverhalten,
       Mitmenschlichkeit und Toleranz statt Gleichgültigkeit und Elitebewusstsein
       fördert? Eignet sich der Markt tatsächlich als gesamtgesellschaftlicher
       Regelungsmechanismus, obwohl er auf seinem ureigenen Terrain, der
       Volkswirtschaft, ausweislich einer sich verfestigenden
       Massenerwerbslosigkeit kläglich versagt?
       
       Darauf die richtigen Antworten zu geben heißt, den Neoliberalismus mitsamt
       seinem Konzept der „Standortsicherung“, aber auch den Rechtspopulismus
       wirksam zu bekämpfen.
       
       1 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Butterwegge
       
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