# taz.de -- Porträt Fotograf afrikanischer Megacitys: Sein Weg ist der rote Faden
       
       > Aus seinem Hobby wurde sein Beruf, daraus seine Berufung: Ein Gespräch
       > mit Akinbode Akinbiyi, der am 28. August die Goethe-Medaille erhält.
       
 (IMG) Bild: Akinbode Akinbiyi: Will sich bei seinen Wanderungen bewusst verirren
       
       Aus der angekündigten Viertelstunde ist fast eine Stunde Verspätung
       geworden, als Akinbode Akinbiyi schließlich erscheint. Der Fotograf wirkt
       angespannt. Er hat in diesen Tagen viel um die Ohren. „Es tut mir leid, ich
       bin gerade ein wenig überfordert“, sagt er, während er sich auf die
       Sitzbank fallen lässt. „Ich fliege morgen nach Nigeria und muss noch so
       viel organisieren.“ Als wäre er auf dem Sprung, behält er seine Lederjacke
       an. Ob er überhaupt noch Zeit für ein Gespräch hat? „Ich bin spät dran,
       also vielleicht noch zwanzig Sekunden“, antwortet er erst, um dann kichernd
       hinzuzufügen: „Nein, alles cool, alles cool.“
       
       Akinbode Akinbiyi bestellt sich ein Mineralwasser, trinkt einen Schluck und
       blickt aus dem Fenster des Cafés im Berliner Stadtteil Kreuzberg, das er
       als Treffpunkt vorgeschlagen hat. „Ich habe früher hier gewohnt. Wurde
       leider gentrifiziert.“ Derzeit lebt er im ruhigeren Charlottenburg, aber
       nur provisorisch, seine alte Kreuzberger Gegend vermisst er sehr. Weil er
       so viel unterwegs ist, kann er der Suche nach einer neuen Wohnung nicht
       konsequent nachgehen. Seit über dreißig Jahren bereist und fotografiert
       Akinbiyi die Megastädte Afrikas: Lagos, Kairo, Johannesburg, Kinshasa.
       Seine Bilder stellt er weltweit aus, von Brüssel über Havanna bis nach
       Tokio. Am 28. August wird er nun für sein Werk mit der Goethe-Medaille
       geehrt, die Auszeichnung wird seit 1955 jährlich vom Goethe-Institut für
       Verdienste um die Pflege der deutschen Sprache im Ausland und zur Förderung
       der internationalen kulturellen Zusammenarbeit verliehen.
       
       „Die Geschwindigkeit, mit der sich die afrikanischen Megastädte entwickeln,
       erweitern, umformen, das ist rasant. Aber im Grunde setze ich mich mit
       jedem Ort auseinander, den ich bereisen darf“, meint Akinbode Akinbiyi.
       „Also auch mit kleineren Städten wie London oder Paris“ – und natürlich
       auch mit Berlin, wo er seit 1991 lebt. Damals, kurz nach der Wende, war die
       deutsche Hauptstadt sehr spannend für den Fotograf. Wie der grüne Streifen,
       auf dem früher die Mauer stand, nach und nach bebaut wurde, das habe er mit
       großem Interesse verfolgt.
       
       Akinbode Akinbiyi wurde 1946 in Oxford geboren, dahin hatte es seine Eltern
       aus der damals noch britischen Kolonie Nigeria zum Studieren verschlagen.
       Die Grundschule absolvierte er in Lagos, das Gymnasium wiederum im
       englischen Internat. Mit einem abgeschlossenen Studium der Anglistik kam er
       dann nach Heidelberg, um in Literaturwissenschaft zu promovieren. Er wollte
       Schriftsteller werden. „Aber Fotografie ist ja Schreiben mit Licht“, sagt
       er. Die Formen an sich, egal ob ein Baum, das Meer, die Luft, seien
       Erzählungen, woraus zu lesen sich aber nur wenige Menschen die Zeit nähmen.
       
       ## Pfade, die er lief
       
       „Immer mehr sprach mich diese Art der Erzählung an. Das Hobby wurde zum
       Beruf und der Beruf zur Berufung.“ 1987 gewinnt der Autodidakt ein
       Reportage-Stipendium beim Stern. „Das hat einen Impetus, einen Schub
       gegeben“, erinnert er sich. „Seitdem habe ich mich vermehrt mit meiner
       persönlichen Arbeit beschäftigt. Das heißt, ich bin Künstler geworden.“
       Akinbode Akinbiyi hat eine kleine Auswahl seiner Fotografien mitgebracht.
       Das erste Bild, das er präsentiert, stammt aus den Neunzigern. Es zeigt ein
       weites Feld, das wie frisch gemäht aussieht. In der Mitte prangt ein
       Schild: „Welcome to the city of Happyland Happyworld“. In der linken Ecke,
       an der Straße, die entlang des Felds verläuft, steht ein Betonpfeiler, auf
       dessen Seite „LA 29“ zu lesen ist. „Das ist ein Meilenstein, der zeigt, wie
       viele Kilometer bis zum Zentrum von Lagos verbleiben – also 29.“ Die einst
       landwirtschaftliche Gegend im Osten der ehemaligen nigerianischen
       Hauptstadt sei aber inzwischen komplett zugebaut worden.
       
       Ein anderes Bild aus der gleichen Zeit zeigt eine Landschaft, die wie ein
       Schlachtfeld aussieht. „Da war ein großer Slum, in dem bis zu einer Million
       Menschen gelebt haben“, erzählt er. „Die Regierung hat den Leuten genau
       zwei Wochen gegeben, um wegzuziehen. Dann wurde alles niedergerissen.“ Der
       Slum lag nahe an einer reichen Gegend, mittlerweile stehen da teure Häuser
       und Shopping-Malls. Als er kurz nach dem Abriss zum Fotografieren kam, sah
       er, wie ehemalige Bewohner den Steinschutt abtransportierten, um ihre
       zerstörten Häuser woanders wieder aufzubauen.
       
       Beim Zeigen seiner Bilder deutet Akinbiyi immer wieder auf einen Pfad,
       einen kleinen Steig, eine Straße und sagt dazu: „Das ist der Weg, den ich
       gelaufen bin.“ Der Weg ist auch der rote Faden, der sich durch seine
       fotografischen Erkundungen von Menschen, von Architektur und Verkehr zieht.
       Beim Fotografieren konzentriert er sich oft auf eine Strecke, die er
       behutsam abschreitet, bis ihn das Labyrinth von Häusern und Gassen zu
       verschlucken scheint.
       
       ## Dokumentation des afrikanischen Alltags
       
       Allmählich wird das gemeinsame Sichten zum Rätselspiel. „Was macht der Mann
       da?“, fragt er im Flüsterton. Er verkauft Kleidung. „Richtig! Viele
       glauben, er kommt von der Reinigung. Doch den ganzen Tag läuft er so in der
       prallen Sonne, das ist heavy.“ Der Straßenverkäufer geht auf das
       Kameraobjektiv zu, während ein Paar an ihm vorbei in die entgegengesetzte
       Richtung läuft. Die Frau hält einen Sonnenschirm über sich, der Mann einen
       Aktenkoffer an der Hand. Reiche und Arme, zwei Welten kreuzen den Weg.
       
       Bei seinen Wanderungen will sich Akinbiyi bewusst verirren. „Ich freue mich
       auf den Weg nach vorne, um neue Ecken, neue Straßen zu entdecken, oder ich
       begebe mich auf alt bekannte Pfade, auf denen dann doch kein Moment dem
       anderen gleicht: Die Leute kommen und gehen, mal sind sie aufgeladen und
       aggressiv, mal traurig oder glücklich.“ Diese unterschwelligen Stimmungen –
       und auch die hintergründigen Strömungen, die Menschen und ihre urbane
       Umgebung bewegen und formen – versuche er, mit seiner Rolleiflex
       einzufangen.
       
       Neues Bild, neues Rätsel. „Und die Frau da, was macht sie?“ Sie verkauft
       Obst. „Ja, sie verkauft etwas, aber warum hält sie ihren Korb so hoch über
       den Kopf?“ Um gesehen zu werden? „Nein, um sich zu strecken und ihren
       Rücken von der schweren Last zu entspannen.“ Solche präzise komponierten
       Momentaufnahmen zeugen von einer ausgefeilten Wachsamkeit und machen sein
       Werk zu einer kunstvollen und unumgänglichen Dokumentation des
       afrikanischen Alltags.
       
       ## Schulen für visuelle Kunst
       
       Immer wenn Akinbiyi jungen afrikanischen Fotografen begegnet, die sich für
       das Thema Stadt interessieren, ermuntert er sie, weiterzumachen, gibt ihnen
       Tipps und Hinweise. In Afrika fehlt es an guten Schulen, die Fotografie und
       visuelle Kunst unterrichten. Die etablierten Kunsthochschulen seien
       generell zu traditionell ausgerichtet. Eine Ausnahme bilde dabei der Market
       Photo Workshop in Johannesburg, Südafrika.
       
       Die Schule und Galerie mit angeschlossenem Projektraum dient seit 2014 als
       sein Vorbild für die Entwicklung sogenannter Centers of Learning for
       photography in Africa, die überall auf dem Kontinent entstehen sollen.
       „Noch feilen wir am Finanzierungskonzept, denn die Centers müssen sich
       selbst tragen können, ohne dabei von den Studenten zu hohe Gebühren zu
       verlangen.“
       
       Der Anlass für die bevorstehende Reise in seine nigerianische Heimat ist
       aber zunächst die Documenta 2017 in Kassel und Athen, auf der Akinbode
       Akinbiyi neue Arbeiten ausstellen wird. Der Weg führt ihn diesmal nach
       Osogbo, „eine wichtige Binnenstadt meines Volkes, der Yoruba“. Dort will er
       Bilder vom jährlich stattfindenden Osun-Festival machen. „Mein Thema ist
       die Spiritualität“, verrät er noch: „Was wir heute darunter verstehen, wie
       wir sie praktizieren und uns dem oft unbewusst hingeben.“ Und am 28. August
       ist Akinbode Akinbiyi dann zur Preisverleihung in Weimar.
       
       20 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elise Graton
       
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