# taz.de -- Lamya Kaddor über Drohbriefe und Hass: „Die Hasserfüllten sind zu laut“
       
       > Weil Rechte sie mit Drohungen überfluten, hat die Islamwissenschaftlerin
       > sich beurlauben lassen. Sarrazin, AfD und Pegida hätten zu einer
       > Enthemmung geführt.
       
 (IMG) Bild: „Das ist irre“: Lamya Kaddor hat die Sicherheitsbehörden eingeschaltet
       
       taz: Frau Kaddor, Sie erhalten in den letzten Tagen viel Hasspost, bis hin
       zu Morddrohungen. Wie erklären Sie sich das? 
       
       Lamya Kaddor: Es ist ziemlich eindeutig, woher das stammt: von rechts. Ob
       das klassische Rechtsradikale oder irgendwelche Deutschomanen sind, wie ich
       sie nenne, das weiß ich nicht so genau. Aber ich erhalte seit Tagen eine
       Flut von Zuschriften voller Häme, Hass, Verunglimpfungen und
       Gewaltfantasien – auf Facebook, per Twitter oder Hassmails ins Haus.
       
       Steckt da eine Kampagne dahinter? 
       
       Das weiß ich nicht. Ich bin auch keine Anhängerin von
       Verschwörungstheorien. Aber viele beziehen sich ausdrücklich auf
       diffamierende Artikel, die in den letzten Tagen auf rechten Blogs wie
       „Tichys Einblick“, der „Achse des Guten“ oder in der FAZ erschienen sind
       und in denen ich massiv angegriffen werde. Dabei werden die abstrusesten
       Anschuldigungen gegen mich erhoben: da wird bezweifelt, dass ich überhaupt
       Islamwissenschaftlerin bin, oder die deutsche Staatsbürgerschaft besitze.
       
       Das erinnert an das Gerücht, US-Präsident Barack Obama sei in Wirklichkeit
       ein Muslim oder Islamist und gar nicht in den USA geboren. Ist das
       vergleichbar? 
       
       Das hat schon Züge einer Schmutzkampagne. Und weil ehemalige Schüler von
       mir nach Syrien gegangen sind, wird der Eindruck erweckt, ich sei eine
       heimliche IS-Sympathisantin und hätte diese Schüler rekrutiert. Das ist
       völlig irre. Die waren schon lange nicht mehr auf der Schule, als sie sich
       radikalisiert haben, bleiben aber dennoch sogenannte ehemalige Schüler.
       
       Womit, glauben Sie, haben Sie diesen Hass provoziert? 
       
       Weil ich gesagt habe, auch die deutsche Gesellschaft habe eine Bringschuld
       gegenüber integrationswilligen Menschen. Oder, dass wir als
       Einwanderungsland eine neue Identität heraus entwickeln müssen, natürlich
       auf Grundlage unserer bisherigen Identität. Das sind zwei Sätze, die manche
       offenbar zur Weißglut gebracht haben – und dass eine „Ausländerin“, die ich
       in deren Augen ja bin, es wagt, überhaupt Ansprüche an die deutsche
       Gesellschaft zu stellen.
       
       Sie haben sich jetzt vom Schuldienst beurlauben lassen, aus
       Sicherheitsgründen. Warum? 
       
       Weil die Bedrohungen zu massiv geworden sind. Ich bekomme schon seit Jahren
       Anfeindungen, zum Teil auch von Islamisten. Aber das hat jetzt solche
       Ausmaße angenommen, dass ich das nicht mehr verantworten kann. Dafür liegen
       mir meine Schülerinnen und Schüler und meine Kollegen zu sehr am Herzen.
       Einer der Drohbriefe kam aus Essen, das ist nicht weit von meiner Schule
       entfernt.
       
       Wie reagiert man darauf? 
       
       Dieser Mann hat sich inzwischen bei mir entschuldigt: Er ist angeblich
       betrunken gewesen, als er mir schrieb. Dazu hat ihm sicher sein Anwalt
       geraten, denn das wirkt sich strafmildernd aus.
       
       Sich zu entschuldigen, das macht ja jetzt sogar Beate Zschäpe. 
       
       Ja, daran musste ich auch denken. Aber in vielen Fällen lässt sich die
       Identität der Absender leider nicht ermitteln, weil die Server im Ausland
       stehen, zum Beispiel in Russland. Und da muss erst mal ein Richter einem
       Gesuch im Ausland zustimmen, bevor die Sicherheitsbehörden ermitteln
       können. Dieser behördliche Aufwand ist oft zu hoch, darum verläuft das im
       Sand. Aber mir reicht es jetzt. Ich habe unsere Sicherheitsbehörden
       eingeschaltet, ich will das nicht mehr ertragen müssen.
       
       Erhalten Sie auch viel Unterstützung, seit Sie das öffentlich gemacht
       haben? 
       
       Ja, sehr viel, und das gibt einem Kraft und Mut. Es gibt viele Menschen,
       die mir zusprechen und mir sogar ihre Tür öffnen, sogar im Ausland! Das
       Problem ist, dass diese anderen, hasserfüllten Leute zu laut sind. Dagegen
       muss man etwas tun.
       
       Aber was? 
       
       Solche Publizisten wie Roland Tichy oder Henryk M. Broder müssen
       anerkennen, dass ich das gleiche Recht habe, meine Meinung zu äußern wie
       jeder andere im Land. Und sie müssen eine klare Grenze ziehen zu
       Diffamierung, Verunglimpfung und indirekten Aufrufen zur Gewalt. Und wir,
       die wir für eine andere Streitkultur stehen, wir müssen lauter werden.
       Vielleicht sollten Medien auch Kommentarspalten bei diesen emotionalen
       Themen wie Integration moderieren oder gar schließen.
       
       Hat sich der Ton der Integrationsdebatte in den letzten Jahren verschärft? 
       
       Rassismus gab es schon immer und nicht nur in Deutschland. Aber die
       Sarrazin-Debatte war ein Dammbruch, seitdem ist diese „Deutschmanie“
       salonfähig geworden. Und seitdem glauben manche, dass man einfach alles
       sagen kann, egal, wie menschenverachtend es ist. Mit Pegida und der AfD hat
       sich das weiter zugespitzt. Das eine ist, dass diese Art der Debatte die
       Gesellschaft spaltet.
       
       Das andere ist die strukturelle Benachteiligung, die dadurch zunimmt. Eine
       Frau beispielsweise, die ein Kopftuch trägt, die wird einfach nicht
       eingestellt, selbst wenn sie eine hoch qualifizierte Fachärztin ist und
       Ärztemangel herrscht, egal: Viele Krankenhäuser wollen keine Ärztin mit
       Kopftuch, Punkt. Und der alltägliche Rassismus nimmt zu, wenn Muslimen
       aufgrund ihrer Religion oder Herkunft offen abgesprochen wird, überhaupt
       Deutsche sein zu können. Und das betrifft auch andere Bevölkerungsgruppen
       und nicht nur Muslime.
       
       30 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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